Sorge um die Gemeinschaft in Staufen
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Der Gemeinderat im Schwarzwaldstädtchen Staufen traf 2007 eine folgenschwere Entscheidung: Das Rathaus sollte zum Schutz der Umwelt mit Erdwärme geheizt werden. Nach den Bohrungen bekamen viele Häuser Risse. Und einige waren nicht mehr zu retten.
Mittelalterliche Häuser prägen den geschichtsträchtigen Ortskern. Die 1.250 Jahre alte Stadt vor den Toren Freiburgs ist ein begehrtes Ausflugsziel. Der schöne Blick in die Altstadt bekommt schnell Risse. Im Fall von Staufen ist das wörtlich zu nehmen: "Es gibt hier in dem Bereich kein Gebäude, wo man nicht spürt, dass da ein Schaden ist. Immer in den Anbindungen von den Gebäuden, da sieht man den ersten optisch nach außen wirkenden Riss."
Wolfgang Schuhmann kennt jeden Winkel der Stadt, der Mann Mitte 50 wurde hier geboren. Er beschreibt den Schaden nüchtern, immer wieder führt er Medienvertreter aus der ganzen Welt durch Staufen.
Die Fassaden der Häuser in der Altstadt sind mit Rissen überzogen. Im Inneren der Gebäude wölbt es Fußböden, bis heute verzieht es Schaufensterrahmen, Fensterscheiben zerbersten. Mitten in einem Schulgebäude hat sich eine Spalte gebildet.
"Wir haben nicht mehr über Risse gesprochen, es war dann wirklich so, die ersten Fotos, wo man die Hand reingemacht hat, in den Riss, hat man die Faust drehen können und man ist nicht mehr angestoßen."
Bagger mussten anrücken
Schuhmann steht vor dem heute stillgelegten Florianheim der Feuerwehr. Gleich daneben war einmal das Feuerwehrgerätehaus, in dem Schuhmann, als Sohn des Gerätewartes und Hausmeisters seine Jugend erlebte. Nach dem Umzug der Feuerwehr wurde das Gebäude zum technischen Rathaus umgewidmet.
Hier, in direkter Nachbarschaft zum Rathaus, nahm das Schicksal seinen Lauf. Die Schäden im umgebauten Feuerwehrhaus und einem benachbarten Bauwerk waren so groß, dass Bagger anrücken mussten. Während der Abrissarbeiten sagte damals Staufens Bürgermeister Michael Benitz den Kollegen der Badischen Zeitung:
"Das Haus war mit anderen Gebäuden sehr stark beschädigt. Das liegt direkt auf einer Risskante im Boden und hat sich in der Mitte aufgespaltet. Und eigentlich wäre der Aufwand, das Gebäude über den nächsten Winter zu bringen, nicht mehr verhältnismäßig gewesen."
Bohrung für Geothermie
Jetzt erinnert eine Schautafel an die Katastrophe, die bis heute andauert. Eher unscheinbar sind um die Tafel sieben Schachtdeckel im Boden eingelassen.
"Dort, wo Sie die Schachtdeckel sehen, da ist jede Einzelne eine Bohrung. Da gibt es sieben Bohrungen, die in den Boden gehen. Traurigerweise war es die letzte, siebte Bohrung, das war die Bohrung, die dann das Thema verursacht hat."
Als eine der ersten Gemeinden in Baden-Württemberg wollte Staufen CO2 neutral werden. Einstimmig beschloss der Gemeinderat der Schwarzwaldstadt vor dreizehn Jahren, das Rathaus mit Erdwärme zu heizen und zu kühlen. Dies sollte mittels Geothermie geschehen. Die Anlage ging nie in Betrieb.
Bei der siebten Bohrung stieß man auf das Mineral Anhydrit, auch Gipskeuper genannt. Kommt Anhydrit mit Wasser in Verbindung quillt es wie ein Hefeteig auf. Im Fall Staufen waren es undichte Bohrwände, die Grundwasser in die Mineralschicht eindringen ließen. Bei der Einweihung des frischrenovierten Rathauses ging der Spuk los:
"Wir hatten eine wunderschöne Eröffnung, an einem Frühjahrstag. Da kamen zum ersten Mal Risse zum Vorschein, wo man dann gesagt hat, das ist wahrscheinlich durch Senkungen, einfach durch die Baumaßnahmen, weil man auch Lasten anders verteilt hat, in dem historischen Gebäude."
Keine Erklärung für mysteriöses Treiben
Doch das Gegenteil war der Fall: Es waren Hebungen. Zuerst traf es das Rathaus und das benachbarte technische Rathaus. Die Erde hob sich zusehends, anfangs um monatlich bis zu 11 Millimeter.
Vom Rathaus ausgehend in einem Umkreis von 500 Metern bildeten sich Risse, an den Fassaden und in den Häusern. Bodenheizungen fielen aus, Treppen verzogen sich. Ratlosigkeit und Angst machten sich breit, es gab zunächst keine Erklärung für das mysteriöse Treiben:
"Wo kommt das her? Was passiert da?"
Kaum stand fest, der quellende Gipskeuper im Untergrund hebt den Altstadtbereich, folgte eine Zeit der guten Ratschläge. Angebliche Experten empfahlen etwa, die Einwohner umzusiedeln und die Fassaden des mittelalterlichen Ortskern a la Disneyland an einem anderen Ort aufzubauen. Geologen beschäftigten sich derweil mit der Frage, wie der Untergrund zur Ruhe gebracht werden kann. Mittendrin suchten die Bewohner den Schulterschluss. Eine Stiftung wurde ins Leben gerufen:
Weithin sichtbar kleben seit einigen Jahren große, rote, pflasterartige Streifen auf den Rissen der Gebäude. Die Stadt geht längst offensiv mit ihren Wunden um. "Staufen darf nicht zerbrechen" steht auch auf den Pflastern.
Eine Stiftung für die Gemeinschaft der Staufener
Zwischen Rathaus und dem Haus von Clemens Oberle liegen nur wenige Meter. Auch das Haus von Oberle hat es schwer getroffen. Er ist Vertreter der Geschädigten und Mitglied der Stiftung:
"Die Stiftung wurde von der Stadt Staufen gegründet. Und die prinzipielle Idee dahinter war zum einen, das Mögliche zu tun, um auch eigene Beiträge zur Schadensbeseitigung zu liefern, um auch Geld zu sammeln. Und zum anderen, um Geschädigten in Härtefällen mit diesem Geld beistehen zu können."
Die Stiftung steht auch dafür, dass die Gemeinschaft der Staufener nicht zerbrechen darf. Denn nicht alle der 7. 500 Einwohner sind gleichermaßen getroffen, manche haben keine Schäden. Doch für die Schadensbegrenzung müssen alle aufkommen. Geld das an anderer Stelle, etwa bei der Kultur fehlt. Die Leute seien an der Aufgabe gewachsen, sagt Oberle.
Boden hebt sich noch immer
Ein Schlichtungsverfahren wurde auf den Weg gebracht. Auf rund 50 Millionen Euro belaufen sich die Schäden in der Summe. Das Land Baden-Württemberg ist finanziell an den Hilfen beteiligt. Bislang werden die Gebäude allerdings nur Innstandgehalten, saniert soll erst dann werden, wenn der Boden zur Ruhe gekommen ist.
Aber noch immer hebt sich der Boden, mittlerweile jeden Monat nur noch um etwa einen Millimeter. Um die Hebungen zu reduzieren, muss das Grundwasser um die Unglücksstelle im Untergrund abgepumpt werden. Experten gehen davon aus, dass Staufen nie mehr ohne die Pumpen auskommen wird.