Schachboxen

Erst denken, dann zuschlagen

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Künstler und Erfinder des Schachboxens Iepe Rubingh (zweiter von rechts) bei einer Weltmeisterschaft in Russland © picture alliance / dpa / Kirill Kallinikov / RIA Novosti
Von Thomas Jaedicke · 21.11.2014
Sechs Runden Schach, fünf Runden Boxen - so geht Chessboxing. Erfunden hat es der holländische Aktionskünstler Iepe Rubingh. Er kam als mittelloser Künstler nach Berlin und verwirklichte seinen Traum von einer Disziplin, die Denken und Kämpfen verbindet.
"Herzlich willkommen hier in der Kunsthalle Platoon…Mein Name ist Andreas Dilschneider, ich bin der Moderator und Schachkommentator dieses Abends. Und heute Abend werden wir zwei Schachboxkämpfe sehen…"
Die Platoon-Kunsthalle ist ein eckiger Kasten auf der Schönhauser Allee; da wo die Coolness der Hipster den Berliner Bezirk Prenzlauer Berg nicht nur veredelt, sondern fast schon versiegelt hat.
"Eine der Grundlinien durch mein Arbeitsleben ist, Ideen zu schaffen aus der Kunstwelt raus und die möglichst über die Grenze der Kunstwelt zu verbreiten."
Iepe Rubingh, die wuchtige 70er-Jahre-Sonnenbrille zurück ins dichte Haar geschoben, trägt weißes Hemd und dunklen Anzug. Heute ist für ihn Festtag: Der 40-jährige Holländer freut sich über 400 Zuschauer, die zu den Berliner Schachbox-Meisterschaften ins Platoon gekommen sind.
"War immer eine meiner Hauptleidenschaften und Themen, weil ich das Gefühl hab, dass eine gute Idee so wertvoll ist, dass sie auch ein größeres Publikum verdient hat."
Ohne Geld zum Traum
Vor 17 Jahren kam Iepe Rubingh von Rotterdam nach Berlin. Ein weiterer, abgebrochener Kunststudent, den das damals noch raue, unfertige Kreativ-Klima der Hauptstadt magnetisch angezogen hatte. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Kreativen hatte er einen Plan. Der junge Holländer wollte aus der Schachboxfantasie des Künstlers Enki Bilal, die er als Teenager im Bücherregal seines Vaters entdeckt hatte, unbedingt mehr machen: Einen richtigen Sport. Einen Supersport, der die Königsdisziplin des Denkens und des Kämpfens miteinander vereint. Aber wie soll so ein schöner Traum Wirklichkeit werden ohne Geld?
"Klar, man war immer sein eigener Unternehmer, außer dass einem keiner beigebracht hat, wie man Unternehmer ist. Keine Kunsthochschule bringt einem bei, wie man eine Firma führt."
Abgefahrene Kunstaktionen in Berlin und Tokio
Iepe Rubingh musste also klein anfangen. Vor seinem Durchbruch als seriöser Schachbox-Unternehmer, der hart daran arbeitet, seinen Sport weltweit zu vermarkten, machte er sich erstmal einen Namen als ziemlich durchgeknallter Aktionskünstler. Mal riegelte er – aus dringenden künstlerischen Gründen – viel befahrene Kreuzungen in Berlin und Tokio mit kreuz und quer gespanntem, rot-weißem Baustellenband ab. Oder er drängte mit dem "Wunder von Berlin", dem weltweit ersten regnenden Baum, in die Schlagzeilen. Dazu hatte er auf dem Hackeschen Markt, einer Top-City-Location, ein Ebereschenahorn mit allerlei Schläuchen manipuliert und in einen Springbrunnen verwandelt. Mit solchem Hokuspokus verzauberte Iepe Rubingh das staunende Publikum.
"Es gibt eine unglaubliche Überschneidung zwischen Startup-Unternehmen und Künstlern. Gewisse Startup-Unternehmen sind extrem kreativ und very passionate. Die haben eine unglaubliche Leidenschaft für die Firma, für das Produkt. Genauso wie ein Künstler."
Viel trashiger Glamour
"O.k....so, are you ready?.....Men will fight! Kings will fall....Before the end of the night one will stand before all...."
Das Publikum bei den Berliner Chessboxing-Meisterschaften ist begeistert. Viele Frauen sind da, recken Hälse, wippen nervös auf und ab, um einen Blick auf die durchtrainierten Schachboxer werfen zu können. Die wichtigsten männlichen Hauptdarsteller außerhalb des Rings, die Hemden lächerlich weit aufgeknöpft, tragen überwiegend Schwarz. Leder oder Anzug. In vielen Details gleicht der Abend den durchgestylten Profiboxshows: Der introvertierte Schachfreund wird bei so viel trashigem Glamour leicht übersehen. Iepe Rubingh hatte keine Skrupel, die künstlerische Idee unternehmerisch auszubeuten. Im Gegenteil:
"Ich hatte nie Probleme damit, das zu kommerzialisieren, weil es die Idee weiterfördert und tiefer in der Gesellschaft verankert. Ich hatte natürlich schon immer Sorge, dass die Grundidee des Schachboxens, die mir so wichtig ist als Künstler, das Gedankengut, die Philosophie, dass die verloren gehen kann oder, dass sie nicht sichtbar ist."
Weltweite Vermarktung der Sportart
Zehn Jahre nach den ersten Schachbox-Kämpfen ist Iepe Rubingh dabei, die Sportart auf der ganzen Welt zu vermarkten. Zwar lebt er - genau wie 1997, als er mit nur einem Koffer nach Berlin kam -, immer noch allein in einer kleinen Wohnung auf der Kastanienallee. Aber Chessboxing boomt; besonders in Indien, wo es inzwischen die meisten Athleten gibt. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, liegt auch an der Unterstützung von Enki Bilal. Vor drei Jahren traf Iepe Rubingh den geistigen Vater der Chessboxing-Fantasie. Der Comiczeichner war so begeistert von Rubinghs Plänen, dass er ein Schachbox-Bild malte und es in Paris in einer Galerie auf den Champs Élysées von der Schauspielerin Charlotte Rampling versteigern ließ. Der Erlös, 170.000 Euro, war das Startkapital für Iepe Rubings Marketing Firma.
"Das war wichtig, die Ironie wegzulassen, eine Idee zu schaffen, die Realität wird. Ansonsten bleibt man als Künstler immer in diesem Narrenstatus hängen. Es gibt nichts Schöneres, als Leute, die deine Idee annehmen und etwas damit machen. Das ist schöner, als dein Gemälde im Louvre hängen zu haben oder auf der Documenta zu sein."
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