Scanner statt Skalpell

Der Tatort, nachdem die Leiche schon abgeholt wurde: zur Obduktion
Der Tatort, nachdem die Leiche schon abgeholt wurde: zur Obduktion © Stock.XCHNG / Nate Nolting
Von Achim Killer · 13.03.2007
Die Gerichtsmediziner im Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus greifen nur noch selten zum Skalpell, stattdessen setzen sie auf Scanner und Computer. Der Vorteil der virtuellen Autopsie: Die Leichen werden bei der Untersuchung nicht mehr zerschnitten - und können deshalb mehrfach untersucht werden.
Der Keller des Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhauses. Die Gerichtsmedizin ist hier untergebracht, der Obduktionssaal ist weiß gekachelt. In der Mitte ein Seziertisch aus Edelstahl. Darauf die Leiche eines Mannes Mitte 50. Todesursache: ungeklärt.

Um den Seziertisch stehen ein halbes Dutzend Mediziner, darunter der Chefarzt Peter Fritz und Konstantinos Blatzonis. Sie virtualisieren die Leiche, bilden sie also im Computer ab, um sie später dort und nicht mehr auf dem Seziertisch weiter zu untersuchen. Zunächst tasten Lichtstreifen den Toten Millimeter für Millimeter ab, ein in der Industrie gängiges Verfahren, um die Oberfläche eines unregelmäßigen Körpers digital zu erfassen:

Dr. Peter Fritz: "Wenn die jetzt über eine Oberfläche laufen, dann ändern sich die Abstände... Ich weiß gar nicht, wo wurde dieses Verfahren zuerst eingesetzt in der Technik? Sie wissen das doch sicher."

Konstaninos Blatzonis: "In der Autoindustrie. Richtige Modelle hat man abgetastet und hat dann im Computer Modelle nachgestellt für Crash-Tests zum Beispiel... Jetzt können wir hier schon das Ergebnis sehen: Das ist wirklich jetzt ein dreidimensionales Bild."

Die Mediziner aber brauchen mehr als nur die räumliche Darstellung der Körperoberfläche. Sie müssen auch in den Toten schauen können. Technisch möglich ist dies mit Hilfe der Computertomographie, der zweiten und letzten Station auf dem Weg zur virtuellen Leiche. Der Tote wird durchleuchtet und die Quasi-Innenaufnahme, die dabei entsteht, im Rechner gespeichert. Professor Angela Geissler, die Leiterin des Zentrums für Diagnostische Medizin, Radiologie und Nuklearmedizin am Robert-Bosch-Krankenhaus:

"Die Computertomographie hat den großen Vorteil, dass sie verschiedene Gewebetypen abbildet - in einem Durchgang, in einem sehr schnellen zeitlichen Durchlauf. Also die reine Scann-Zeit liegt bei 30, 40 Sekunden. Also die Zeit, bis ich alles gemacht habe, sind wenige Minuten. Und das ist eben der große Vorteil der Methode, zumal die Datensätze – da gibt es eben inzwischen auch entwickelte Tools – sehr schön auch weiterverwendbar, weiteraufarbeitbar sind in virtuellen Umgebungen."

Der Gerichtsmediziner kann jetzt den Toten - bis auf die Entnahme von Gewebeproben – vollständig am Rechner untersuchen. Wo beispielsweise eine tödliche Kugel steckt, lässt sich so sehr leicht feststellen, und auch welchen Weg das Geschoss durch den Körper genommen hat.

Konstaninos Blatzonis: "Man sieht jetzt hier sehr gut zum einen die Verletzungen... und das ist das Geschoss... und wir können hier jetzt diesen Einschusskanal auch darstellen..."

Vor allem aber hat eine virtuelle Obduktion im Unterschied zur Untersuchung auf dem Seziertisch den Vorteil, dass der Körper des Toten nicht zerstört wird. Denn wenn ein Gerichtsmediziner ansonsten mal einen Fehler macht, dann wird dadurch zwar nicht die Gesundheit eines Menschen geschädigt, aber unter Umständen wichtiges Beweismaterial vernichtet:

Prof. Angela Geissler: "Ja, eine Obduktion bedeutet ja eine Eröffnung des Körpers und Betrachten der einzelnen Körperabschnitte, der Organe, auch der Entnahme der Organe. Je nachdem, was vorliegt, wird ja mal die ganze Leber entfernt, das Gehirn wird herausgenommen. Und damit ist natürlich - durch die Zugangswege, durch das Entfernen der Organe - die Möglichkeit, das wieder zusammenzusetzen, weg. Wenn ich also mit einer falschen Vorstellung beginne, und ich zerlege diese Person, diese Leiche, hab ich keine Möglichkeit, wenn ich mal begonnen habe, das wieder rückgängig zu machen."

"Rückgängig" - die meisten Computerprogramme haben so eine Funktion, der Mensch nicht, weder der lebendige, noch der tote. Wenn ein Toter aber virtualisiert worden ist, wenn aus ihm eine Datei für ein Computerprogramm geworden ist, dann sieht es anders aus:

Prof. Angela Geissler: "Es ist natürlich sehr angenehm, wenn man neue Erkenntnisse hat, diese Datensätze immer erneut betrachten und auch nachverarbeiten zu können. Wir können auch, wenn neue Erkenntnisse auftauchen, eine neue Rekonstruktion machen, wenn zum Beispiel der Tathergang ergibt, dass doch der Schlag oder der Schuss aus einer anderen Richtung erfolgt sein muss, zum Beispiel intern abgeprallt ist. Auch wenn die Leiche schon obduziert ist und diese Möglichkeit beim realen Objekt gar nicht mehr gegeben ist oder auch wenn die Leiche schon bestattet ist, können wir natürlich diesen Datensatz beliebig verwenden."

Und sogar die Zeit lässt sich mit Hilfe des Computers zurückdrehen. Zur Rekonstruktion einer Straftat kann der Tatort im Computer nachgebaut und mit den Daten aus der virtuellen Autopsie des Opfers ergänzt werden...

Dr. Peter Fritz: "...und dann noch das Ganze virtuell bewegt. Und dann könnten Sie sozusagen am Laptop - der Richter - den Tathergang in allen Varianten rekonstruieren. Das ist sozusagen das fiktive Endziel der Gerichtsmedizin. Und das wäre eine echte Bereicherung."