Satire in Zeiten der Empörungsspirale

Espritbefreites Bloßstellungsentertainment

Überlegungen von Christian Schüle · 31.12.2018
Lässt sich der Reifegrad einer Gesellschaft auch an der Brillanz ihrer Satire ablesen? Wenn dem so ist, müssen wir schlechte Zeiten für die Bundesrepublik konstatieren, meint der Philosoph und Publizist Christian Schüle.
Der traurige Zustand des scharfen Geistes angesichts von Hass und Hetze, Häme und Dauer-Empörung zeigt sich am beklagenswerten Mangel an Ironiefähigkeit und Hintersinn. Kabarett und Satire waren und sind mitunter die intelligentesten Waffen im Kampf gegen die Korruption des Geistes und die Plumpheit der Macht. Der allgemeinen Unfähigkeit zur Tumult-Bewältigung in der derzeitigen Kampfzone Deutschland entspricht leider die Degenerierung der Satire zur armseligen Witzischkeit.

Alles, außer langweilen

Einst war Satire Herrschafts- und Gesellschaftskritik auf doppeltem Boden, mutig, aufklärerisch, emanzipatorisch. Heute ist Satire teils platter Boulevard, teils politisierter Gesinnungsmoralismus und oft genug vulgäre Massen-Unterhaltung: Alltags-Schmunzeleien mit Genital-Humor gern unterhalb der Beschämungsgrenze.
Satire darf alles – nur nicht langweilen. Das war lange Zeit gutes und ungeschriebenes Gesetz, als es in Deutschland noch hochrespektables politisches Kabarett gab. Mit dem Verlust der Debatten und Diskurse aber kamen die Stimmen-Imitatoren und Persifleure, es zogen die Comedians ein und mit ihnen der Klamauk. Mit Klamauk, Sottisen und Schlüpfrigkeit kam letztlich die Langeweile, weil alles so plump und banal wurde.
Was ist aus der hohen Kunst der Satire geworden? Man könnte hundertfach beklagen, dass es heute keinen Hanns Dieter Hüsch oder Dieter Hildebrandt mehr gibt, dass Bruno Jonas und Volker Pispers sich zurückgezogen haben und wir es stattdessen mit Thorsten Sträter, Olaf Schubert*, Ingo Appelt, Michael Mittermeier, Carolin Kebekus, Kaya Yanar oder Serdar Somuncu zu tun haben.

Alltagsgeschichten-Verlaberung und Schmähkritik

Satire heute ist also entweder die espritbefreite Alltagsgeschichten-Verlaberung, mal nett, mal humorig, meist flach. Das hat zweifelsohne seine Berechtigung, mit Satire aber nichts zu tun.
Oder Satire ist krasse Schmähkritik, als deren begabtester Hohepriester Jan Böhmermann auftritt, der sich couragiert mit autokratischen Präsidenten anlegt. Eher als Satire ist das ein eitles Spiel mit der Persönlichkeitsverletzungsgrenze. Wenn Gerichte klären müssen, wo die Grenze der Kunstfreiheit verläuft, ist es schon keine gute Satire mehr.
Oder Satire ist Bloßstellungsentertainment wie in der "heute-show", wo Politiker konsequent der Lächerlichkeit preisgegeben oder durch heitere Interviewer vorgeführt werden. Das ist unerhört simpel und letztlich ein wenig dämlich.

Selbstgerecht und Tiefsinnbefreit

Oder Satire tritt schließlich als Moral-Aktivismus auf, wie ihn das Magazin "Titanic" gerne betreibt, welches vergangenes Jahr erst zum Mord an "Baby Hitler" aufrief und damit den konservativen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz meinte, und dessen damaliger Chefredakteur Monate später Mitarbeiter der Wochenzeitung "Die Zeit" erschießen lassen wollte. Warum? Weil die Zeitung eine – wie gelungen auch immer – jedenfalls dem "Titanic"-Chef aufstoßende Pro- und-Contra-Erörterung privater Seenotrettung zu drucken gewagt hatte.
Die heute so leichthändig auf Verletzung, Herabsetzung und Anklage angelegte Polit-Satire ist Teil des Problems, das sie zu attackieren vorgibt. Sie ist selbstgerecht, nicht entlarvend. Sie ist moralisch durchtränkt und ideologisch holzschnittartig, keineswegs aber im Tiefsinn verstörend. Sie regt nicht zum nachhaltigen Nachdenken an, sondern denkt alles flach. Sie ist ein gefälliger Akteur der Abwertung im allgemeinen Boulevard-Spektakel und seiner oberflächlichen Dümmlichkeiten, da nur noch gemeint und nicht mehr gewusst, nur noch bewertet und nicht mehr wertgeschätzt wird.
In unseren Tagen der hysterischen Erschöpfung wären kluges Kabarett und kunstvolle Satire wichtige Mächte einer Kritik, deren steter Tropfen Subversion alle schwerfälligen Steine höhlte.

Christian Schüle, 48, hat in München und Wien Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaft studiert, war Redakteur der "Zeit" und lebt als freier Essayist, Schriftsteller und Publizist in Hamburg. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter den Roman "Das Ende unserer Tage" (Klett-Cotta) und zuletzt die Essays "Heimat. Ein Phantomschmerz" (Droemer) sowie "Wir haben die Zeit. Denkanstöße für ein gutes Leben" (Edition Körber-Stiftung). Seit 2015 ist er Lehrbeauftragter im Bereich Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

Publizist Christian Schüle
© Markus Röleke

* In einer vorherigen Version war der Vorname von Olaf Schubert falsch
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