Satire

Ganz schön arm!

Ein Obdachloser liegt auf seinem Schlafplatz auf dem Bürgersteig vor einer Filiale der Emporiki Bank in Athen
Schlafplatz eines Obdachlosen: grau und unsexy © picture alliance / dpa / Michael Anhaeuser
Von Till Reiners · 10.06.2014
Rentner ziehen mit dem Köfferchen durch deutsche Innenstädte und kramen in Mülleimern, ganze Familien stehen bei den Tafeln Schlange, um Lebensmittel zu bekommen. Unser Umgang mit Armut ist ganz schön arm, sagt dazu der Kabarettist Till Reiners.
Es gibt keine Armut. Und wenn, dann ist sie viel schöner, als die Betroffenen wissen. "Distanz" lautet die Zauberformel für Objektivität. Die meisten Betroffenen sind schlicht viel zu dicht dran, um die ästhetische Schönheit der Armut zu erkennen. Denn ihren pittoresken Reiz offenbart Armut erst aus der Distanz – eben ohne die Armen.
Es braucht dabei keinen geografischen Abstand, es reicht eine lebensweltlicher, um die Anmut der Armut zu entdecken. Drei herausragende Denker sollen hier vorgestellt werden, die der Armut ein neues Image geben.
Die erste Kostprobe erschien neulich in der deutschen Presse. Der possierliche Reisebericht durch die Unterschicht wusste schon mit seinem Titel Magie zu versprühen: "Die faszinierende Welt der Pfandsammler". Aber Moment, was ist eigentlich ein Pfandsammler? Der Verfasser definiert griffig: "Pfandsammler zeichnen sich dadurch aus, dass sie öffentliche Abfallbehälter abweichend verwenden. Sie werfen nichts hinein, sondern nehmen etwas heraus." Ah! Der Autor hat mit eben diesem Thema seinen Soziologie-Doktor erworben. Und den Titel braucht man, um einen so unverstellt distanzierten Blick auf die Dinge zu bekommen.
Mit behänder Leichtigkeit kann so ein Thema angefasst werden, das viel zu oft grau und unsexy daherkommt. Lange genug sind wir gequält worden mit der Litanei der Moralapostel: Es sei erbärmlich, dass in einem reichen Land wie Deutschland Menschen für ihren Unterhalt Flaschen sammeln müssen. Nana! Das sind doch Klischees! Ein Blick durch das Kaleidoskop des Unbeteiligten macht wieder neugierig.
Obdachlose als "Menschen mit herausfordernder Wohnsituation"
Da schreibt der Soziologe: "Tag für Tag fischen sie leere Flaschen aus dem Müll. Viel Geld kommt dabei nicht zusammen." Und er fragt folgerichtig: "Was sind die wahren Motive der Sammler?" Das ist doch die spannende Frage! Ich persönlich wundere mich auch, warum es Leute gibt, die auf der Straße schlafen. Ist doch viel zu kalt, gerade im Winter!
Den tapferen Anti-Mainstream Köpfen geht’s darum, den Menschen die Augen zu öffnen. Schlimme Armut gibt es nämlich eigentlich nicht in Deutschland. Höchstens privilegierte Armut. Meint zum Beispiel der Politologe Klaus Schroeder. Die Welt schreibt über ihn: "alles unterliegt seinem kristallklaren Blick." Und mit dem sieht er nicht einfach, nein, er blickt durch: "Die Wohlfahrtsindustrie", erkennt er, "die ja einen Wahnsinnsumsatz hat, lebt davon, dass es weiterhin Armut gibt".
Es sind nämlich nicht etwa Arbeitgeber, die mit Unterschreitung des Mindestlohns von Existenzangst profitieren und für Armut sorgen. Nein, die Wohlfahrtsindustrie lebt von der Armut. All die Leute mit Wohlfahrtsjobs wollen deshalb in Wahrheit gar nicht wirklich helfen. Sie wollen lieber weiterhin einen festen, unbezahlten Job bei der Essensausgabe der Tafel haben, zum Beispiel. Das ist ganz schön arm.
Doch wenn man den ganzen Tag über vermeintliche Armut jammert, muss man sich auch nicht wundern, wenn man im eigenen Denken gefangen bleibt. Da fehlt die Distanz. Und damit kommen wir zum dritten Denker. Dem CDU-Abgeordneten Matthias Zimmer ist die Erkenntnis zu verdanken, dass die Armutsdebatte völlig falsch geführt wird, und zwar "zu sehr mit Blick auf lediglich materielle Faktoren".
Ganz Recht. Arme sollten sich mehr auf ihre Chancen fokussieren. Das fängt schon bei den Begriffen an. Warum heißt es denn bitte "Obdachloser"? Sprechen wir doch lieber von "Menschen mit herausfordernder Wohnsituation".
Anpackendes Handeln bringt uns voran! Dem nächsten Obdachlosen, dem Sie begegnen, geben sie eben mal kein Geld, sondern einen guten Tipp. Denn über allem prangt doch die bittere, aber wahre Erkenntnis: Das Gegenteil von Vermögen ist nicht Armut, das Gegenteil von Vermögen ist Unvermögen.
Till Reiners,Jahrgang 1985, ist Kabarettist. Für sein Programm "Da bleibt uns nur die Wut" wurde er seit 2012 mit fünf Kabarettpreisen ausgezeichnet, unter anderem dem Stuttgarter Besen und der St. Ingberter Pfanne. Hervorgehoben wurden seine "analytische Schärfe und gewandte Wortgewalt". Vor seiner Bühnenkarriere studierte Till Reiners Politikwissenschaften in Trier. Seine Soloauftritte sind im gesamten deutschsprachigen Raum zu sehen.
Till Reiners, Kabarettist und Slam-Poet
Till Reiners, Kabarettist und Slam-Poet© Agentur Die kulturBanausen
Weitere Informationen dazu sowie Videos von Auftritten auf seiner Homepage www.tillreiners.de