Satire auf männliche Entschlossenheit
Zwei Expeditionen stehen in "Die Entdecker des Jahrhunderts" im Wettbewerb, an den "Äußersten Erreichbaren Punkt" der Erde zu gelangen. In den beiden Männergruppen herrscht zwar eine Moral des "Einer-für-alle", doch zugleich haben sie einen unangreifbaren Anführer, dessen Befehle auch dann befolgt werden müssen, wenn sie unsinnig sind.
Die Welt ist eine Wüste, "eine trostlose Gegend, ohne jede Spur von Leben". Zwei Expeditionen haben sich aufgemacht, um in einem Wettlauf der Entdecker erstmals zum "ÄEP", dem "Äußersten Erreichbaren Punkt" zu gelangen. "Ihr alle wisst, wohin wir gehen und warum wir dahin gehen", sagt der Anführer der etwas größeren, aber später startenden Gruppe, die sich mit ihren Maultieren über ein endloses Geröllfeld auf der sogenannten "Westroute" vorwärts kämpft.
Der Witz der Sache besteht nun aber eben darin, dass der Sinn des Unternehmens sehr viel weniger gewiss ist, als vorgegeben wird, um den Männern als solider Ansporn zu dienen. Ihre Hoffnung, am Ziel auf ein grünes, besiedelbares Land Utopia zu stoßen, verflüchtigt sich im Lauf der Wochen und Monate in Dunkelheit und eisigem Wind. Und wenn sie dann endlich doch dort ankommen, werden sie buchstäblich nichts vorfinden. Die grüne Farbe, die sie im Gepäck mitführen, um die Landkarte zu vervollständigen, wird nicht benötigt.
Der Brite Magnus Mills, Jahrgang 1954, entwirft in seinen Romanen immer wieder neue skurrile Szenarien, mit denen er die Seltsamkeit des menschlichen Tuns im Allgemeinen und der Arbeitsgesellschaft im Besonderen sichtbar macht. Er schreibt eine Literatur der Arbeitswelt, doch nicht in Form eines gesättigten proletarischen Realismus, sondern als intellektuelles Spiel. In der großen Sinnlosigkeit der dargestellten Beschäftigungen und der Geschlossenheit der Systeme erinnert das eher an Kafka oder an Samuel Beckett. Sein Humor ist britisch: knapp und unterkühlt. Die Sprache ist betont schmucklos, das Erzählen geprägt von zahlreichen Dialogen und Wiederholungen, in denen die Unausweichlichkeit der Abläufe deutlich wird.
Mills hat als Zaunbauer im Norden Englands gearbeitet, als Busfahrer in London und als Lieferwagenfahrer. Seine Bücher verarbeiten diese Erfahrungen, ohne einfach nur soziale Milieus abzubilden. In "Ganze Arbeit" etwa entwarf er zuletzt einen ausgetüftelten Plan für Vollbeschäftigung: Da fuhren unermüdlich Lieferwagen durchs Land, die nichts anderes transportierten als Ersatzteile für eben diese Lieferwagen. Sein Busfahrer-Roman steht allerdings noch aus. Vielleicht liegt das daran, dass Mills, der diesen Beruf aufgab, um sich dem Schreiben zu widmen, vor ein paar Jahren wieder zum Busfahren zurückkehrte. Nichts als Schreiben war ihm auf Dauer dann doch zu langweilig.
Mit "Die Entdecker des Jahrhunderts" hat er nun eine Persiflage auf den klassischen Abenteuerroman und eine schöne Satire auf die zugehörige Haltung männlicher Entschlossenheit und Härte geschrieben. In den Expeditionstruppen herrscht zwar eine Moral des Miteinander und des "Einer-Für-Alle", doch zugleich sind sie militärisch organisiert und haben einen unangreifbaren Anführer, dessen Befehle auch dann befolgt werden müssen, wenn sie unsinnig sind. In einer der beiden Gruppen kommt es gar zu einer inquisitorischen Gerichtsverhandlung gegen einen, der des Hochverrats angeklagt wird. Und mehr und mehr wird deutlich, dass es in diesem skurrilen Buch nicht so sehr um das Entdeckertum geht, als um Freiheit und soziale Gerechtigkeit.
Dieses Problem wird anhand der Maultiere erörtert, die den Männern zunächst bloß als stumme Lasttiere dienen. Mit Verlusten ist zu rechnen; Hauptsache sie erfüllen ihren Nutzen. Doch mit diesen Maultieren stimmt etwas nicht. Etwa in der Mitte des Buches beginnen sie zu sprechen. Sie haben Hände und einen ausgeprägten eigenen Willen und werden allmählich als eine Art menschlicher Sklaven kenntlich: eine unterdrückte, zum Schweigen verurteilte Gattung, die nun am "ÄEP" angesiedelt werden soll. Grundlage ist die "Theorie der Verschickung" eines Professors mit dem Namen Childish.
Die Expeditionen entpuppen sich so als Großunternehmen der Entmischung und eines Versuchs, den Frieden auf Erden dadurch herzustellen, die Unterdrückten gewissermaßen auf den Mond zu verfrachten. Dass den Männern auch daran Zweifel kommen, ist klar. Dass es zu Diskussionen über all den "Wohlfahrtskram" und die "allgemeine Maultierverhätschelei" kommt, ebenfalls. Mills überdreht seine Idee dann leider etwas, wenn die Männer am Ende ihr letztes verbliebenes Maultier in einer Sänfte ihrem nebulösen Ziel entgegentragen, weil es sich weigerte, weiterzugehen. Aber so ist das mit zielgerichtetem Handeln: Wer das Ziel erreichen will, muss allerlei Paradoxien ertragen.
Rezensiert von Jörg Magenau
Magnus Mills: Die Entdecker des Jahrhunderts. Roman.
Aus dem Englischen von Katharina Böhmer.
Suhrkamp, Frankfurt/Main 2008, 196 Seiten, 19,80 Euro
Der Witz der Sache besteht nun aber eben darin, dass der Sinn des Unternehmens sehr viel weniger gewiss ist, als vorgegeben wird, um den Männern als solider Ansporn zu dienen. Ihre Hoffnung, am Ziel auf ein grünes, besiedelbares Land Utopia zu stoßen, verflüchtigt sich im Lauf der Wochen und Monate in Dunkelheit und eisigem Wind. Und wenn sie dann endlich doch dort ankommen, werden sie buchstäblich nichts vorfinden. Die grüne Farbe, die sie im Gepäck mitführen, um die Landkarte zu vervollständigen, wird nicht benötigt.
Der Brite Magnus Mills, Jahrgang 1954, entwirft in seinen Romanen immer wieder neue skurrile Szenarien, mit denen er die Seltsamkeit des menschlichen Tuns im Allgemeinen und der Arbeitsgesellschaft im Besonderen sichtbar macht. Er schreibt eine Literatur der Arbeitswelt, doch nicht in Form eines gesättigten proletarischen Realismus, sondern als intellektuelles Spiel. In der großen Sinnlosigkeit der dargestellten Beschäftigungen und der Geschlossenheit der Systeme erinnert das eher an Kafka oder an Samuel Beckett. Sein Humor ist britisch: knapp und unterkühlt. Die Sprache ist betont schmucklos, das Erzählen geprägt von zahlreichen Dialogen und Wiederholungen, in denen die Unausweichlichkeit der Abläufe deutlich wird.
Mills hat als Zaunbauer im Norden Englands gearbeitet, als Busfahrer in London und als Lieferwagenfahrer. Seine Bücher verarbeiten diese Erfahrungen, ohne einfach nur soziale Milieus abzubilden. In "Ganze Arbeit" etwa entwarf er zuletzt einen ausgetüftelten Plan für Vollbeschäftigung: Da fuhren unermüdlich Lieferwagen durchs Land, die nichts anderes transportierten als Ersatzteile für eben diese Lieferwagen. Sein Busfahrer-Roman steht allerdings noch aus. Vielleicht liegt das daran, dass Mills, der diesen Beruf aufgab, um sich dem Schreiben zu widmen, vor ein paar Jahren wieder zum Busfahren zurückkehrte. Nichts als Schreiben war ihm auf Dauer dann doch zu langweilig.
Mit "Die Entdecker des Jahrhunderts" hat er nun eine Persiflage auf den klassischen Abenteuerroman und eine schöne Satire auf die zugehörige Haltung männlicher Entschlossenheit und Härte geschrieben. In den Expeditionstruppen herrscht zwar eine Moral des Miteinander und des "Einer-Für-Alle", doch zugleich sind sie militärisch organisiert und haben einen unangreifbaren Anführer, dessen Befehle auch dann befolgt werden müssen, wenn sie unsinnig sind. In einer der beiden Gruppen kommt es gar zu einer inquisitorischen Gerichtsverhandlung gegen einen, der des Hochverrats angeklagt wird. Und mehr und mehr wird deutlich, dass es in diesem skurrilen Buch nicht so sehr um das Entdeckertum geht, als um Freiheit und soziale Gerechtigkeit.
Dieses Problem wird anhand der Maultiere erörtert, die den Männern zunächst bloß als stumme Lasttiere dienen. Mit Verlusten ist zu rechnen; Hauptsache sie erfüllen ihren Nutzen. Doch mit diesen Maultieren stimmt etwas nicht. Etwa in der Mitte des Buches beginnen sie zu sprechen. Sie haben Hände und einen ausgeprägten eigenen Willen und werden allmählich als eine Art menschlicher Sklaven kenntlich: eine unterdrückte, zum Schweigen verurteilte Gattung, die nun am "ÄEP" angesiedelt werden soll. Grundlage ist die "Theorie der Verschickung" eines Professors mit dem Namen Childish.
Die Expeditionen entpuppen sich so als Großunternehmen der Entmischung und eines Versuchs, den Frieden auf Erden dadurch herzustellen, die Unterdrückten gewissermaßen auf den Mond zu verfrachten. Dass den Männern auch daran Zweifel kommen, ist klar. Dass es zu Diskussionen über all den "Wohlfahrtskram" und die "allgemeine Maultierverhätschelei" kommt, ebenfalls. Mills überdreht seine Idee dann leider etwas, wenn die Männer am Ende ihr letztes verbliebenes Maultier in einer Sänfte ihrem nebulösen Ziel entgegentragen, weil es sich weigerte, weiterzugehen. Aber so ist das mit zielgerichtetem Handeln: Wer das Ziel erreichen will, muss allerlei Paradoxien ertragen.
Rezensiert von Jörg Magenau
Magnus Mills: Die Entdecker des Jahrhunderts. Roman.
Aus dem Englischen von Katharina Böhmer.
Suhrkamp, Frankfurt/Main 2008, 196 Seiten, 19,80 Euro