Saskia Richter: "Die Aktivistin. Das Leben der Petra Kelly"

Im Dienst für Frieden und Menschenrechte

Petra Kelly
Petra Kelly © imago/Sven Simon
Von Klaus Pokatzky · 14.10.2010
Gründungsmutter, Ikone und Wahlkampfmagnet: Petra Kelly suchte bei den Grünen eine neue Glaubensgemeinschaft. Doch mit der Zeit hat sie sich von der Partei immer weiter entfremdet und versank in einer Art Götterdämmerung, wie die neue Kelly-Biografie der Politologin Saskia Richter zeigt.
Als Chefin hätte man sie nicht so gern gehabt. Die Bundestagsabgeordnete Petra Kelly pflegte nachts ihr verwaistes Büro heimzusuchen und ihre derweil friedlich daheim schlummernden Mitarbeiter mit Arbeit für den kommenden harten Arbeitstag zu versorgen.
"Am Morgen waren alle Schreibtische mit Vorgängen belegt, neben- und übereinander geschichtet", schreibt Saskia Richter in ihrer Kelly-Biografie:
"Zudem war das ganze Büro mit gelben Notizzetteln beklebt. Sie hingen am Telefon, an der Schreibtischlampe und an den Schränken."
Wenn sie damals, Mitte der 80er-Jahre, zu Vorträgen und Diskussionen etwa in die USA oder nach Australien eingeladen war, rief sie ihre Mitarbeiter auch mitten in der Nacht oder am frühen Morgen an.

Manchmal denkt man, mindestens ein Kapitel des Buches könnte auch mit "Die Autistin" überschrieben sein. Petra Kelly war immer im Dienst für die Menschenrechte und den Frieden. Petra Kelly erwartete das auch von ihren Mitarbeitern.

"Friedensreligion" als Ersatz für die Kirche

Sie gehörte zu den Gründungsmüttern der Grünen, war – so Saskia Richter – "Priesterin", "Demagogin", "Wahrsagerin" auf der "Suche nach einer neuen Glaubensgemeinschaft, die sie sich nach ihren eigenen Ansprüchen zu formen versuchte": "Friedensreligion" als Ersatz für die enttäuschende katholische Amtskirche…

Das ging jahrelang gut. Petra Kelly war eine Ikone und ein Wahlkampfmagnet der Grünen in ihren pubertierenden Jahren. Doch als nach der Wiedervereinigungswahl von 1990 die West-Grünen aus dem Bundestag flogen, war Petra Kelly von ihrer Partei, in der sie nie eine echte Basis hatte, schon entfremdet. Da waren grüne Taktik-Machos à la Joschka Fischer bereits auf dem Vormarsch. Saskia Richters ernüchterndes Fazit: "In ihrer Vorstellung blieb sie eine Wegweiserin, allerdings gingen ihr mit der Zeit die Zuhörer und Folgewilligen verloren."

Petra Kelly versank in Göttinnendämmerung, scheiterte mit einer Umweltsendung beim Privatsender SAT 1 – und pries sich, Hand in Hand mit ihrem Lebensgefährten, dem friedensbewegten Bundeswehrgeneral a. D., Gert Bastian, als Vortragsreisende an.
Anfang Oktober 1992, so ergaben die polizeilichen Ermittlungen, setzte Gert Bastian im Schlafzimmer ihrer gemeinsamen Wohnung in Bonn-Tannenbusch seine Pistole an die linke Schläfe der im Bett liegenden Petra Kelly und drückte ab – anschließend tötete er sich selbst.

Kritischer Blick

Saskia Richters Buch ist ihre Doktorarbeit. Sie geht erfreulich kritisch und distanziert mit ihrem "Gegenstand" um. Leider liest sich das Buch über (zu) weite Strecken auch wie eine Dissertation. Es beginnt fulminant mit der Schilderung, wie Petra Kelly mit einigen anderen aus der westdeutschen Friedensbewegung im Mai 1983 auf dem Berliner Alexanderplatz für "Abrüstung in Ost + West" demonstrierte – samt abschließendem Abtransport zur Volkspolizei.

Aber die "Aktivistin" wird länglich analysiert, das streng Politikwissenschaftliche kann man getrost überfliegen. So wie wir auch die ärgerlichen Flüchtigkeitsfehler überfliegen: Wo etwa aus dem Helmut Gollwitzer ein "Heinrich" wird. Wir freuen uns auf ein nächstes Buch von Saskia Richter – bei dem sie nicht den Zwängen einer Dissertation ausgeliefert ist.

Besprochen von Klaus Pokatzky

Saskia Richter: Die Aktivistin. Das Leben der Petra Kelly
Deutsche Verlagsanstalt
528 Seiten, 24,99 Euro

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