Sarrazin: "Die Braut, die keiner will"

Moderation: Marie Sagenschneider · 31.05.2006
Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin hat für eine grundsätzliche Neuordnung der Bundesländer plädiert. Berlin habe sich einer Fusion nie verweigert, sagte der SPD-Politiker. Ein Zusammenschluss zweier armer Länder aber könne nicht die Lösung sein. Sarrazin schlug die Bildung von vier großen Ländern vor.
Marie Sagenschneider: Die Mutter aller Reformen, so wird SPD-Fraktionschef Peter Struck zitiert, die Mutter aller Reformen wäre eine Länderneugliederung. Darüber ist schon oft gesprochen worden, aber die meisten Länder beharren auf Eigenständigkeit trotz leerer Kassen. Die hat auch Berlin, und schlimmer noch, so viele Schulden, dass man sich trotz eisernen Sparkurses in den letzten Jahren nicht mehr selbst aus dem Sumpf ziehen kann und deswegen vor das Bundesverfassungsgericht gezogen ist, um wegen extremer Haushaltsnotlage Hilfe des Bundes einzuklagen. Das Urteil steht noch aus. Einer Länderneugliederung hat sich Berlin hingegen nie verweigert. Der Versuch einer Fusion war vor Jahren an den Bürgern Brandenburgs gescheitert. Wobei man schon sieht, so leicht wird das nicht mit der Neugliederung, auch wenn, wie es diese Woche im "Spiegel" nachzulesen ist, wenn die finanzstarken Bundesländer genau das anstreben, weil ihnen die schwachen Länder langsam zu teuer werden. Darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit Thilo Sarrazin sprechen, er ist Berlins Finanzsenator und gehört der SPD an. Herr Sarrazin, ich grüße Sie.

Thilo Sarrazin: Guten Tag Frau Sagenschneider.

Sagenschneider: Wie ernst nehmen Sie solche Bestrebungen aus den reichen Bundesländern eigentlich, die ja, wenn es denn so stimmt wie es berichtet wird, darauf hinauslaufen würden, dass ein Finanzausgleich so nicht mehr stattfinden würde wie jetzt.

Sarrazin: Ach wissen Sie, ich nehme das eigentlich sehr ernst, aber man kann es auch sehen mit einem gewissen Humor, wenn man sich die Karte von Deutschland anschaut im 18. Jahrhundert, dann sieht man, dass die Gebiete durchaus getrennt waren. Preußen gehörte Ostpreußen, dazwischen lag Polen, dazu gehörte auch ein Teil von Westfalen, die Mark, oder der Kleve, da lagen andere Länder dazwischen. Also, ich hätte den Vorschlag, wenn das jetzt die reichen Länder wirklich ernst meinen, jedes, ich sage mal reiche Land nimmt ein armes Land auf, also Bayern nimmt beispielsweise Berlin auf und Sachsen nimmt auf, ich sage mal Mecklenburg-Vorpommern, also Hessen könnte sich für das Saarland interessieren und so weiter. Und dann teilen wir sie alle auf, also Bremen käme zu Baden-Württemberg, dann sähe die Landkarte wieder etwa aus wie im 18. Jahrhundert und wir hätten jeweils arm und reich dann gekoppelt und wir säßen dann bei den reichen in der Wohnküche und würden von denen leben, das wäre doch nicht schlecht.

Sagenschneider: Ja, ich zweifle, ob die reichen Länder da so viel Gefallen dran finden würden. Verstehen Sie denn den Ärger dieser Länder, die ja sehen, dass zum Beispiel auch Bremen und das Saarland erfolgreich Hilfen in Karlsruhe eingeklagt haben, also das, was Berlin jetzt auch vor hat und die nun beide schon wieder in eine Hauhaltsnotlage geschlittert sind.

Sarrazin: Also, das verstehe ich durchaus. Niemand trennt sich gerne von Geld und ich also ärgere mich auch immer als Bürger und Steuerzahler, ich zahle so viele Steuern, und in den Straßen sind Löcher. Darüber ärgert man sich natürlich. Und dass diese Länder jetzt auch sehr viel abgeben für die armen Länder im Finanzausgleich, das wird ja auch von den armen Ländern anerkannt. Und ich bin auch der Meinung, es kann nicht so weiter gehen, dass einzelne Länder ständig mit ihrem Geld nicht auskommen und Kostgänger andere Länder sind. Hier muss Ordnung ins System.

Und wir in Berlin haben uns ja gerade auch darum bemüht, dass wir einen Beitrag leisten. Wir haben unsere Ausgaben radikal gekürzt bis zu dem Punkt, wo es gar nicht mehr weiter geht. Wir sind bereit, Auflagen aller Art auch zu akzeptieren. Wenn wir Hilfen bekommen zur Entschuldung, sind wir natürlich auch bereit, das der Bund und andere Länder uns auch bei der Art, wie wir unseren Haushalt führen, durchaus auch kontrollieren. Das ist doch ganz klar. Da kann man über alles reden. Aber nur nach dem Motto, ich halte jetzt meine Taschen zu, da kommt mir niemand ran, das ist jetzt auch nicht weiterführend in der Betrachtung und ich bin auch der Meinung, wir müssen das Bundesgebiet neu gliedern. Das ist in der Tat auch überfällig. Bloß dies löst viele Probleme, dies löst nicht das Problem leerer Kassen. Wenn sie zwei mit leeren Kassen zusammentun, dann werden die Kassen damit nicht voller. Und wenn sie Bremen jetzt integrieren, beispielsweise in, ich sage mal Niedersachsen, dann wird sich Niedersachsen möglicherweise bedanken, weil sie dann die Bremer Schulden haben. Also man muss die Dinge schon ein bisschen tiefer durchdenken.

Sagenschneider: Naja, aber die reicheren, Sie haben es ja vorhin selbst in Ihrer humoristischen Einlage gesagt, könnten ja vielleicht doch ein bisschen die ärmeren auffangen. Also zumindest langfristig gesehen, würde man nicht doch mit Länderfusion oder Neugliederung Einsparungen erzielen können?

Sarrazin: Also, wenn ich jetzt Napoleon wäre, wir hätten das Jahr 1805, da könnte man jetzt darüber reden, wie können wir das ehemalige Deutsche Reich vernünftig aufteilen. Da würde man lebensfähige Einheiten bilden, dann hätte man einen Nordstaat, also Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern, man hätte einen Oststaat, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Berlin, man hätte einen Südstaat, Bayern und Baden-Württemberg und hätte einen Weststaat, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz. Das wären vernünftige Lösungen. Es sind nur vollständig unpolitische Lösungen, weil sie dafür keine Mehrheiten finden werden.

Sagenschneider: Wie erklären Sie sich denn, dass man dafür keine Mehrheiten findet oder dass man überhaupt für Länderfusion keine Mehrheiten findet. Der einzige Versuch in den letzten Jahren war ja tatsächlich Berlin-Brandenburg?

Sarrazin: Weil Traditionsverhaftung, Kirchturmsdenken und traditionelle Machtgefüge dem im Wege stehen.

Sagenschneider: Hat das möglicherweise, Herr Sarrazin, auch was damit zu tun, dass einige Länder fürchten, insgesamt trotz geplanter Föderalismusreform langfristig an Macht zu verlieren und zu wenig Gestaltungsspielraum zu haben. Denn so viel ist ja dann nicht mehr, gerade, wenn man es in dem Kontext Europäische Union sieht, weil 80 Prozent, rund 80 Prozent aller Gesetze ja sowieso aus Brüssel kommen.

Sarrazin: Gut, ich habe es ja bereist gesagt. Wir in Berlin sind natürlich bereit zu fusionieren. Wir sehen uns als Stadtstaat nicht überlebensfähig dauerhaft. Das haben wir auch immer gesagt. Bloß wir sind die, ich sage mal, die Braut, die keiner will, weil die Mitgift, die besteht eben aus Schulden. Und das will keiner. Wir wollen das ja machen. Das heißt, wenn man so etwas tut, dann muss man einen gemeinsamen Anstoß machen, der muss dann aber auch von Tatkraft und von dem Willen, Überkommenes aufzugeben, geprägt sein. Und da macht mich die lange Erfahrung pessimistisch. Auch im Heiligen Römischen Reich klappte es ja nur mit Napoleon, mit einer Macht von außen. Was wir uns nicht wünschen. Nicht dass die Franzosen kommen und uns wieder neu ordnen.

Sagenschneider: Sie rechnen also auch nicht damit, dass diese Debatte im Zuge der Föderalismusreform vielleicht auch, wenn es denn soweit kommt im zweiten Schritt, Debatte Finanzreform, dass die da an Fahrt gewinnen könnte?

Sarrazin: Ich rechne nicht damit, weil wir haben wir doch ein Beharrungsvermögen und jetzt jenseits allen Scherzens, es sind ja auch gewachsene gesellschaftliche Strukturen. Da gibt es also Traditionen und es gibt Geflechte und das sind Dinge, die die Menschen nicht so ohne weiteres aufgeben.

Sagenschneider: Wenn es denn dann so bleibt wie es ist, glauben Sie nicht, dass dann der Druck der finanzstarken Länder zunehmen wird, der Druck auf die ärmeren Länder, was die Umverteilung anbelangt.

Sarrazin: Ja, da muss man sich mal die Abstimmungsverhältnisse anschauen im Bundesrat. Und da wird nämlich jetzt ein Schuh draus. Die Abstimmungsverhältnisse sind ja so, dass kleine Länder relativ zu ihren Einwohnern mehr Stimmen haben als große Länder und weil kleine Länder durchschnittlich auch ärmere Länder sind, ist es so, dass im Bundesrat im Augenblick wir eine Mehrheit der, also relativ ärmeren Länder haben. Und das ärgert natürlich die reichen Länder. Und deshalb versuchen sie jetzt eine politische Diskussion anzustoßen, die diese Verhältnisse ändert. Dies ist aber nicht einfach, denn man wird sich ja immer einigen müssen, keine Verfassungsänderung geht ohne Bundesratsmehrheit, das heißt, die reichen Länder müssen von allem, was sie wollen, die armen Länder überzeugen. Und da warten die armen Länder gerne auf Angebote.

Sagenschneider: Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.

Sarrazin: Danke.