Sarkozy und das neue Verhältnis zu den USA

Von Richard Herzinger |
Frankreichs neuer Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat die Linie seines Vorgängers Jacques Chirac aufgegeben, auf Kosten der USA nach Einfluss im Nahen Osten zu streben. Mit seinem Bekenntnis zu einer engen Zusammenarbeit mit den USA nicht nur bei der Stabilisierung des Irak widerspricht Sarkozy einer in Europa weit verbreiteten Wunschvorstellung: Die USA seien durch den Irak-Krieg im Nahen Osten, ja sogar weltweit, isoliert und geschwächt.
Eine seltsame Wunschvorstellung ist dies obendrein: Als sei nicht die Sicherheit aller westlicher Demokratien, allen voran der europäischen, akut gefährdet, würden die USA nicht mehr in der Lage sein, das Vordringen radikal-islamistischer Kräfte, insbesondere des Regimes im Iran, in dieser bedeutenden Nachbarregion Europas aufzuhalten.

In Wahrheit geht, ungeachtet der desaströsen Erfahrungen, die Amerika nach der Invasion des Irak durchmachen musste, im Nahen und Mittleren Osten ohne die Vereinigten Staaten mehr denn je gar nichts. Auch wenn es unter dem Eindruck der innenpolitischen Stimmung in den USA in den nächsten ein, zwei Jahren zu einem Teilrückzug der US-Truppen aus dem Irak kommen sollte, wird dort ein Minimum an staatlicher Stabilität auf absehbare Zeit militärisch und politisch nur von den Amerikanern garantiert werden können. Die Alternative wäre, wie soeben von Teheran wieder angekündigt, ein Ausfüllen des Vakuums durch den Iran. Davor aber haben nicht zuletzt die arabischen Führungsmächte, Saudi-Arabien und Ägypten, panische Furcht.. Die jüngsten US-Zusagen von Waffenlieferungen in Milliardenhöhe an diese arabischen Staaten sind ein Zeichen dafür, das sie sich deshalb noch enger an die USA anschmiegen wollen, und dafür sogar ein indirektes Bündnis mit Israel in Kauf nehmen.

Frankreich dagegen hat mit dem Regime Saddam Husseins eine Bastion in der Region verloren. Die französische Liaison mit Saddam, insbesondere aber die des abgetretenen Staatspräsidenten Jacques Chirac, reicht viel weiter in die Geschichte zurück als die kurzfristige Allianz der USA mit dem Despoten in der Zeit des irakisch-iranischen Kriegs 1981-88. Als falsch hat sich zudem die Kalkulation Chiracs erwiesen, lasse man die USA im Irak nur erst einmal blutig scheitern, könne Frankreich, und könnten die Europäer, in die entstandenen Einflusslücken stoßen und sich als Re-Stabilisatoren einer von den Amerikanern zerrütteten Region profilieren.

Tatsache ist hingegen: Europa hat sich durch seine langjährige Verweigerung bei den Bemühungen um die Stabilisierung des Irak von der Entwicklung in der Region selbst abgehängt. Um wieder Anschluss zu finden, muss es wieder enger an die Seite der USA rücken. Sarkozy hat dies auch in Bezug auf das Verhältnis zu Israel erkannt: Deutlich wie nie zuvor ein französischer Präsident bekannte er sich in seiner außenpolitischen Grundsatzrede zu den Sicherheitsinteressen Israels. Er machte klar, dass deren Garantie die Voraussetzung für die Gründung eines Palästinenserstaates sei. Diese Position musste Sarkozy nicht erst von einer ominösen "Israel-Lobby" eingeflüstert werden, die in einem neu erschienenen verschwörungstheoretischen Buch als geheimer Drahtzieher amerikanischer Außenpolitik denunziert wird. Es genügte eine klare Abwägung der Interessen des gesamten Westens: Würde er eine befreundete Demokratie wie die israelische preisgeben, wäre dies der erste Schritt zu seiner Selbstaufgabe.

Den USA kann der neue Beistand aus Europa nur willkommen sein. Zwar gibt es im Irak neuerdings deutliche Anzeichen einer partiellen Befriedung des Landes und einer langsamen Erschöpfung der terroristischen Welle. Doch die politische Lage im Spannungsfeld der Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten sowie zwischen den verschiedenen Volksgruppen ist nach wie vor so verworren und explosiv, dass es zusätzliche internationale Kräfte neben den Amerikanern braucht, um Pflöcke gegen das Chaos einzuschlagen.

Auf der anderen Seite ist es nicht primär neu erwachte Liebe zum alten Verbündeten und Rivalen Amerika, die Sarkozy zu seinem Kurswechsel treibt. Die Motive seiner Außenpolitik sind, wie zuletzt sein Vorpreschen beim Waffenhandel mit Libyens Diktator Gaddafi zeigte, stramm an nationalen Interessen orientiert. Gerade das aber macht seinen proamerikanischen Schwenk noch aussagekräftiger. Frankreich realisiert, dass es in einem potenziell wirtschaftlich aufblühenden Irak im eigenen Interesse wieder etwas zu holen gibt. Um sich dafür eine gute Ausgangsposition zu schaffen, will es dort jetzt Flagge zeigen. Den meisten anderen Europäern, nicht zuletzt den Deutschen, steht diese Einsicht noch bevor.

Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als außenpolitischer Redakteur bei der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und hatte als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "DIE ZEIT" gearbeitet. Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".
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