Sarah Spiekermann: "Digitale Ethik"

Plädoyer für "mehr Mensch" bei Apps und Co.

05:46 Minuten
Im Vordergrund ist das Cover des Buches "Digitale Ethnik". Im Hintergrund ist ein Fahrradkurier mit einer Essensbox auf dem Rücken zu sehen, der durch eine Stadt fährt.
Sarah Spiekermann führt Fahrradkuriere als Beispiel an für die Nachteile, die digitaler Service mitbringen kann. © Droemer Verlag / Imago / Ralph Peters
Von Vera Linß · 14.06.2019
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Digitale Dienstleistungen wie Online-Bestellungen nimmt inzwischen fast jeder in Anspruch. Doch fehle bei deren Entwicklung oft die "moralische Aufmerksamkeit", meint die Autorin Sarah Spiekermann. Statt Effizienz setzt sie auf eine digitale Ethik.
Lieferdienste werden millionenfach genutzt. Bequem per App das Gewünschte ordern, das in der Regel ein Fahrradkurier in Stundenfrist anliefert. Technisch optimierbar wäre da allerdings noch einiges, bewiesen Studenten der Wirtschaftsuniversität Wien. Künstliche Intelligenz könne den Fahrern die kürzesten Wege anzeigen und eine Ortungsfunktion die Einhaltung der Pausenzeiten überwachen. Hauptsache, der Gewinn stimmt!

Verlust von Freiheit durch Digitalisierung

Dieses Effizienzdenken sei typisch, wenn es um technische Innovationen im Digitalen geht, kritisiert Sarah Spiekermann, Professorin für Wirtschaftsinformatik in Wien. Das Problem: Die negativen Folgen, etwa der enorme Zeitdruck für Fahrradkuriere oder deren Einschränkung der Privatsphäre, würden komplett ausgeblendet. Spiekermann nennt das ganz klar einen Verlust an Freiheit. Die Digitalisierung bringe darum, anders als immer wieder behauptet, einen Rückschritt mit sich.
Fehlende "moralische Aufmerksamkeit" und mangelnde Weitsicht seien der Grund für diese Entwicklung. Anstatt nur auf den wirtschaftlichen Profit zu schauen, müssten von vornherein auch die sozialen Nachteile einer Dienstleistung mitbedacht werden, fordert Spiekermann.
Sie ist nicht die erste, die das sagt. Das Besondere an ihrem Buch ist, dass sie auch zeigt, wie es gelingen kann: Indem sich Unternehmen, aber auch Nutzer verbindlich an einer Werteethik orientieren, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Die Gewinnlogik ist weniger nachhaltig

Werte, das macht die Wirtschaftsinformatikerin klar, sind durchaus objektivierbar. Jeder erlebe sie als "klar fühlbare Phänomene". Und daher könne man auch herausfinden, welche Werte einem wichtig sind. Ein Schlüssel sei, ob man nach etwas strebt oder sich abgestoßen fühlt.
Daneben gebe es aber auch eine Ordnung der Werte. Gesundheit, Privatsphäre oder Gemeinschaft seien in der Gesellschaft höher angesehen als reine Gewinnlogik. Die werde niedriger eingeschätzt, weil sie weniger nachhaltig sei.
Aber können Entwickler Werte tatsächlich in digitale Services einbauen? Sarah Spiekermann meint: ja. Und fordert, dass Politikerinnen und Politiker dafür sorgen. Denn bestimmte Designs provozierten auch bestimmte Werte, wie die Autorin an zahlreichen Beispielen beweist.

Apps, die Nutzer süchtig machen

Kostenlose Dienste wie "Facebook" etwa unterminierten die Privatsphäre. Und viele Apps seien so entwickelt, dass sie die Nutzer süchtig machten - indem man zum Beispiel ständig schauen müsse, ob etwas "Neues" passiert.
"Ethics by design" heißt das Konzept, das Spiekermann dagegen setzt. Zusammen mit mehr als tausend anderen Experten des Ingenieursverbands IEEE hat sie einen Katalog an "Wertprinzipien" erstellt.
Welche positiven Folgen dieser Ansatz haben kann, beweisen Spiekermanns Studenten: Sie haben eine App entwickelt, durch die der Essenlieferservice zu einem Gemeinschafts- und Gesundheitserlebnis wird. Sarah Spiekermanns Plädoyer für eine neue Werteethik lädt ein, mehr solcher Experimente zu wagen.

Sarah Spiekermann: "Digitale Ethik. Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert"
Droemer Knaur, München 2019
304 Seiten, 19,99 Euro

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