Sanktionen

Krieg mit anderen Mitteln

04:10 Minuten
Ein iranischer Mann kauft in einer Drogerie ein.
Seit die Sanktionen gegen den Iran verschärft wurden, haben sich Medikamente stark verteuert. Manche Arzneimittel sind praktisch nicht mehr erhältlich. © AFP/Stringer
Ein Kommentar von Fabian Goldmann · 28.08.2019
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Sanktionen sind populär wie nie, aber über ihre Folgen wird selten gesprochen. Sie seien keine Alternative zum Krieg – sondern Krieg mit anderen Mitteln, sagt der Islamwissenschaftler Fabian Goldmann. Den Preis bezahlt vor allem die Zivilbevölkerung mit ihrem Leib und Leben.
Kein Schuss wurde abgegeben. Keine Rakete abgefeuert. Kein Panzer in Bewegung gesetzt. Und dennoch forderte der Angriff mehr Menschenleben als die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki zusammen. Die Wirtschaft eines ganzen Landes wurde zugrunde gerichtet, eine Gesellschaft zu Bittstellern verdammt. Allein die Zahl toter Kinder sollte UNICEF später mit über eine halbe Million beziffern.
Bald 30 Jahre nachdem die Vereinten Nationen die wirtschaftliche Totalblockade des Irak beschlossen, sind Sanktionen populär wie nie: 8000 Strafmaßnahmen gegen Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen haben die USA derzeit verhängt, 2000 allein in den letzten vier Jahren. Über 30 Staaten stehen auf der Sanktionsliste der EU. Über 150 Mal hat der UN-Sicherheitsrat in den letzten zehn Jahren wirtschaftliche Restriktionen beschlossen. Zum Vergleich: In den 90ern tat er dies nur fünfmal.
Vermeintliche Anlässe für neue Sanktionen finden westliche Politiker mittlerweile wöchentlich: Ein beschlagnahmter Tanker am Golf, Handelsstreit mit China, Gasbohrungen der Türkei, prügelnde Polizisten in Russland… Es seien "zielgerichtete Instrumente gegen Menschenrechtsverbrecher", heißt es dann. Sie dienten dem "diplomatischem Druck" oder seien eine "friedliche Alternative zum Krieg".

Unter Sanktionen leidet vor allem die Zivilbevölkerung

Nur über die Folgen hört man selten etwas. Ob Bomben oder Embargos, in beiden Fällen ist es meist die Zivilbevölkerung, die unter den Kollektivstrafen leidet. Wo früher Kriegsschiffe gegnerische Häfen blockierten und Belagerungsheere feindliche Städte aushungerten, berauben heute Dekrete, Verordnungen und Resolutionen Menschen ihrer Lebensgrundlage. Sanktionen sind keine Alternative zum Krieg. Sie sind Krieg – nur mit anderen Mitteln.
Befürworter reklamieren, seit dem Irak-Embargo dazu gelernt zu haben. An der Stelle wirtschaftlicher Totalblockaden stünde heute ein breites Arsenal intelligenter Druckmittel. Doch der Glaube, "Smart Sanctions" würden nur die Eliten eines Landes treffen, hat sich genauso wenig bewahrheitet, wie die Vorstellung, dass seit der Erfindung von Drohnen und Marschflugkörpern in Kriegen keine Zivilisten mehr sterben.

Lebensmittel und Medikamente fehlen

Es stimmt: Anders als zu Zeiten der Irak-Blockade tauchen Lebensmittel und Medikamente heute kaum noch auf Sanktionslisten auf. Stattdessen sorgen der Ausschluss vom internationalen Zahlungsverkehr und Exportverbote für die wichtigsten Einnahmequellen eines Landes dafür, dass Staaten das Lebensnotwendige für ihre Bevölkerung nicht beschaffen können.
Wie im Iran. Dort hat Trumps Kampagne des "maximalen Drucks" zwar zu keinem besseren Atom-Deal, stattdessen zu einem Mangel an Krebsmedikamenten und Lebensmitteln geführt. Wie in Venezuela, wo infolge des US-Öl-Embargos vom August 2017 wahrscheinlich schon über 40.000 Menschen wegen mangelnder medizinischer Versorgung gestorben sind. Wie in Nordkorea, wo internationale Sanktionen mitverantwortlich dafür sind, dass Millionen Menschen wieder einmal eine Hungersnot droht. Wie in Syrien, wo auch die EU-Sanktionspolitik dazu beigetragen hat, dass das Gesundheitssystem und die Lebensmittelversorgung zusammengebrochen sind und selbst Hilfsorganisationen aufgrund der Zwangsmaßnahmen ihre Arbeit einstellen müssen.

Strafmaßnahmen bewirken oft das Gegenteil

"Wir denken, der Preis war es wert". Mit diesen Worten rechtfertigte Ex-US-Außenministerin Madeleine Albright einst den Tod hunderttausender irakischer Kinder. Doch einen Wert haben Sanktionen oft nicht einmal, wenn man all ihre Toten ignoriert.
Untersuchungen zeigen: Nicht einmal fünf Prozent der Strafmaßnahmen erreichen das gewünschte Ziel. Viel häufiger bewirken sie das Gegenteil: Diktatoren bauen ihre Macht aus, Repressionen nehmen zu, diplomatische Kanäle versiegen. Und wie im Irak folgt dem Krieg der Verordnungen nicht selten der Krieg der Bomben.

Fabian Goldmann ist Journalist und Islamwissenschaftler. Für verschiedene Magazine und Zeitungen berichtete er viele Jahre aus dem Nahen Osten. Zurzeit widmet er sich vor allem dem Islam diesseits des Bosporus. Auf seinem Blog schantall-und-scharia.de schreibt er über Islamophobie in Deutschland.

© Camay Sungu
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