Sanierungsstau an der Medizinischen Hochschule Hannover

Eine Klinik auf der Intensivstation

Medizinische Hochschule Hannover
Die Medizinische Hochschule Hannover ist mittlerweile in einem desolaten Zustand. © picture alliance / Silas Stein/dpa
Von Hilde Weeg · 01.12.2017
Altersschwach und baufällig: Die Medizinische Hochschule Hannover gehört zu den renommiertesten Kliniken Deutschlands. Doch der desolate Zustand der Gebäude stellt mittlerweile ein Risiko für Patienten und Personal dar.
Es blättert – überall in der MHH, der Medizinischen Hochschule Hannover. 80 Prozent der Klinikbauten sind sanierungsbedürftig, mehr als 90.000 Quadratmeter, in der üblichen Übersetzung rund 13 Fußballfelder.
Rettungshubschrauber landen hier mehrmals am Tag. Die MHH, letzte Hoffnung für Schwerstkranke aus der Region und ganz Deutschland, ist längst selbst ein Notfall geworden. Es gab zwar allerlei Krücken und Schmerzmittel für die rund 50 Jahre alte Patientin, jetzt aber hilft nur noch eine Radikalkur: Weitgehender Neubau. Dass das dringend notwendig ist, zeigt ein Besuch auf der Intensivstation der Kinderklinik.
"Das ist die Station, die so stark frequentiert ist, dass wir praktisch rund um die Uhr versuchen, die Patienten zu verlegen, um neue kranke Babys unterzubringen."
Erklärt Philipp Beerbaum, Direktor der Klinik für pädiatrische Kardiologie und Intensivmedizin. Die Decken niedrig, das Intensivzimmer mit vier Patienten und Technik vollgepackt. Hinter einer Stellwand liegt eine junge Frau, vorn Säuglinge. Alle haben eine Operation am Herzen hinter sich.

Altersschwach und zugig

"Das ist alles okay, was das Management angeht, aber man möchte als 20-jährige junge Frau nicht im gemeinsamen Zimmer mit Säuglingen liegen. Das wiederum ist nicht anders zu machen, wenn auf der einen Seite die Pflege knapp ist und die Räume eine Variabilität nicht zulassen."
Aufzüge und Gänge sind altersschwach und zugig, nur in den Zimmern selbst sieht es besser aus. In einem davon erholen sich gerade die 14 Monate alte Filia und ihre Mutter:
"Warum sind Sie hier?"
"Wegen einer Herzmuskel-Entzündung, spontanen Herzmuskel-Entzündung. Ja. Soviel wissen wir leider auch nicht."
Dass Mutter und Kind überhaupt zusammen sein können, verdanken sie auch Ira Thorsting. Als ihr eigener Sohn hier vor 30 Jahren zwischen Leben und Tod lag, wäre sie auch gern bei ihm geblieben, aber das ging noch nicht. Ihrem jahrelangen Engagement im Verein Kleine Herzen ist es zu verdanken, dass die Klinik nun halbwegs familiengerecht eingerichtet ist. An der Bausubstanz, den engen Räumen oder zugigen Fenstern, konnte selbst sie wenig ändern. Aber sie hat an den richtigen Stellen gebohrt:
"Wir haben Herrn Weil angeschrieben, haben die Wissenschaftsministerin angeschrieben, haben die alle eingeladen, die ganze Politiker – und haben gesagt: Schaut Euch das an. Wir brauchen schlicht und ergreifend Eure Hilfe, und hier muss sich was ändern. Und dass war wohl der Start für die ganze Geschichte: Wir brauchen nicht nur eine neue Kinderklinik, wir brauchen eigentlich eine neue MHH."

Teure Fehlplanungen

2013 war das, als Rot-Grün gerade die Regierung übernahm. Da traf es sich gut, dass sie nun selber liefern mussten, was sie zuvor als Opposition von der CDU gefordert hatten: endlich die marode MHH zu sanieren. Bei der Grünen Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic liefen bis vor wenigen Tagen die Fäden für die Planung zusammen. Dass die Gebäude trotz vieler Anstrengungen überhaupt so marode werden konnten, hat vor allem einen Grund:
"... dass es eine Vielzahl von Playern gab, die an unterschiedlichen Stellen Unterlagen, Prüfunterlagen, Bewilligungsunterlagen und so weiter bearbeiten mussten. Und wenn an irgendeiner Stelle einer dieser Partner – das staatliche Baumanagement, der Landesrechnungshof, das Finanzministerium, das Wissenschaftsministerium - Bedenken hatte, Nachfragen hatte, was auch immer, dann ist die gesamte Maschinerie zum Stehen gekommen. Das heißt, darüber hat man Zeit verloren."

Eine der Blüten, die das trieb: Ein Laborgebäude, 2013 für 30 Millionen Euro endlich fertiggestellt, konnte nicht in Betrieb gehen, weil die Stromversorgung nicht mehr ausreichte. Solche Fehlplanungen tragen dazu bei, dass die Spitzen-Medizin der MHH - zum Beispiel rund um zentraler Organe wie Herz, Lunge, Niere und Leber, bei Hörimplantaten oder in der Pädiatrie - gefährdet ist. Sogar mehr noch – dass sie ein echtes Risiko für Patienten und Personal darstellt. Sagt nicht irgendwer, sondern der Klinikchef selbst, Christopher Baum:
"Wir rechnen jetzt nicht mit einem Komplettausfall, aber wir sind immer anfällig für Havarien, zum Beispiel im Bereich der Operationssäle und das würde uns im Kern massiv erschüttern, wenn wir dort nicht mehr die Leistungsfähigkeit aufrechterhalten können. Es wird auch viele schwerstkranke Patienten sehr negativ betreffen, wir sind deshalb schnellstmöglich aufgefordert, eine neue Lösung zu finden. Aber die muss eben gründlich durchgeplant werden, bevor man sie angeht."
Dazu kommt, dass die Kliniken um gutes Personal konkurrieren: OP-Schwestern oder Ärzte können sich die besten Stellen aussuchen. Es muss also schnell etwas passieren. Die ersten Schritte sind getan, aber im Herbst gab es erstmal Landtagswahlen – und seit Monaten bastelt man an der Struktur herum. Heinen-Kljajic:
"Das Problem ist nur, dass Klinikbauten ein derart komplexes Vorhaben sind, dass Sie hier einfach eine viel engere und konzentriertere Zusammenarbeit brauchen – sie brauchen alle Partner an einem Tisch."
Medizinischen Hochschule Hannover
Aus der Distanz ist der schlechte Zustand der Gebäude kaum zu erahnen.© MHH

Klinikbauten sind extrem komplex

Es soll zwei Baugesellschaften für die Kliniken in Göttingen und Hannover geben, ein externes Controlling, ein wissenschaftlicher Beirat, die Aufsicht soll beim Land bleiben. Aber wer wieviel zu sagen hat – und vor allem: Wer zuletzt den Kopf hinhalten muss, diese Fragen sind noch offen - zwischen den beteiligten Kliniken, dem neuen CDU-Wissenschaftsminister Björn Thümler und anderen. Die neue Struktur wird jedenfalls maßgeblich sein dafür, wie gut, wie schnell und wie teuer das Großvorhaben realisiert werden kann – in Hannover und auch in Göttingen. Das weiß auch Prof. Frank Christ, der mit seinem auf Klinikbau spezialisierten Unternehmen eine genaue Bedarfsanalyse für die MHH erstellt hatte.
"Es ist jede Operationsminute nachvollzogen worden, die hier operiert wird, mit welchem Patienten, wie lange, mit welcher Wechselzeit, das ist mit eingeflossen, es ist einzeln individuell prognostiziert worden, wie wir glauben, dass es sich entwickelt. Festgemacht zum Beispiel bei Herzklappen, da kann man‘s wunderbar anschauen. Das ist bisher immer durch die Herzchirurgen versorgt worden, das verschiebt sich jetzt, wird jetzt mehr durch die Kardiologen und interventionell im Prinzip realisiert. Das haben wir in gemeinsamen Workshops mit der MHH erarbeitet, wie sie glauben wie sich das entwickelt – und wie sie sich zukünftig dort aufstellen wollen. Und so ist die Dimensionierung entstanden, wirklich da runter auf einzelne Beziehungen, die da stattfinden."

Klar ist auch, dass sich die Wege verkürzen müssen zwischen Betten, OP, Labor und Bildgebung. Allein die kleinen Patienten der Kinderklinik sind zurzeit für eine MRT-Aufnahme rund einen halben Kilometer auf dem Gelände unterwegs, eine Belastung für sie und das Personal. Auch aus solchen Gründen muss neu gebaut werden. Der Platz ist sogar da – sowohl vor, als auch hinter der heutigen Anlage. Und was ist, wenn klar ist, was und wo gebaut wird? Kann es dann losgehen? Natürlich noch nicht. Denn dann weiß man ja noch nicht, was rein soll in die neuen Gebäude.
"Jeder, der behauptet, dass er zehn Jahre nach vorne schauen kann in der Medizin, dem würde ich sagen, der ist naiv. Wir haben eine Halbwertzeit unseres Wissens, das liegt bei sechs, sieben Jahren. Es ist also sehr schwierig, eine solche Prognostizierung zu machen. Nichts desto trotz sind bestimmte Grundprinzipien auch jetzt klar absehbar."
Medizinische Hochschule Hannover
Für Patienten wird der Aufenthalt in der MHH zum Risiko.© picture alliance / Silas Stein/dpa

Warten auf den Neubau

Insgesamt ist es ein bisschen so, wie einen Maßanzug für eine lebhafte Amöbe zu schneidern, der zugleich fest und flexibel sein soll. Nicht nur für die Kaufmännische Direktorin und Vizepräsidentin der MHH, Andrea Aulkemeyer, ist das eine spannende Aufgabe.
"Und wenn geplant ist, und man sich einig ist, das braucht die MHH. Dann werden die Kosten auch ermittelt. Und die Kosten hängen nicht ganz unwesentlich davon ab, wie man es später realisiert – und dann auch in welchem Zeitraum man das realisieren kann. Warum sag ich das? Wir wissen alle, wie sich die Marktsituation, Zinssituation, aber auch die Handwerkersituation derzeit darstellt - alles hängt miteinander zusammen. Klar ist: Je länger ein Bauwerk dauert, für je mehr muss ich auch sowas wie einen Baupreis-Index berücksichtigen. Weil: Ein jedes Gewerk hat jedes Jahr Tarifsteigerungen und jedes Jahr länger die ein Bau dauert, würden auch die Kosten entsprechend steigen. Aber ich würde heute mit meinem Wissen weder sagen können, die in Aussicht genommene Milliarde für die MHH reicht nicht, genauso wenig, wie ich Ihnen sicher sagen kann, dass sie reicht. Wir sind gemeinsam dabei, zu eruieren, wieviel tatsächlich erforderlich sein wird."
In ihrem Büro stehen übrigens kleine Schirme vor den Fenstern, weil es zieht. Die MHH, eine Patientin, die mindestens die nächsten zehn Jahre auf der Intensivstation verbringen wird, zusammen mit ihren tausenden Patienten und 10.000 Mitarbeitern. Klinikdirektor Philipp Beerbaum ist nur einer davon. Einer der vielen, der vor allem hofft, dass es nun endlich losgeht mit dem Bau.
"Während wir diese ganze Zeit diese Prozesse beobachten, vergeht die Zeit – und: blättert der Putz, blättert der Putz, blättert der Putz …"
Mehr zum Thema