Sanierung mit Hindernissen

Das Haus der Roma strahlt wieder

Das Sinti- und Roma-Wohnungsbauprojekt in der Harzer Straße in Berlin-Neukölln
Das Sinti- und Roma-Wohnungsbauprojekt in der Harzer Straße in Berlin-Neukölln © picture alliance / dpa
Von Ernst-Ludwig von Aster · 22.06.2015
Der rumänische Botschafter war da, der ungarische und auch der bulgarische. Sie alle und zahllose Medienvertreter besuchten einen Häuserkomplex im Berliner Stadtteil-Neukölln, um zu sehen, wie Roma-Familien dort leben. Auch unser Reporter hat den Häuserkomplex besucht.
Alina, Mitte 30, zwei kleine Kinder an der Hand, kommt in den großen Innenhof. Und stutzt. Gut 20 Studierende aus Rumänien stehen zwischen Sitzbänken und Blumenbeeten, recken ihre Mobiltelefone in die Höhe, fotografieren die Fassadenmalereien: Musikinstrumente, die von Simsen baumeln, einen Affen der am Regenwasserrohr entlanghangelt. Die Fenster-Fassungen leuchten in rot, blau, und gelb - den rumänischen Nationalfarben.
Alina lächelt. Wieder mal Besuch in ihrem Haus, in der Harzer Straße, im Berliner Stadtteil Neukölln. Ob Bundestagsabgeordnete, Botschafter oder EU-Parlamentarier. Sie alle standen schon hier im Innenhof. Zwischen neuen Bänken, gepflegten Beeten und neu gepflasterten Wegen. Und staunten. Darüber, dass hier 600 Roma leben.
"Wir wohnen hier im Erdgeschoss", erzählt Alina. "Wir sind glücklich. Alles ist frisch renoviert. Wir haben eine Küche, ein Bad, sogar eine Badewanne." In Rumänien lebte die siebenköpfige Familie in einem Ort zwischen Brasov und Sibiu, in einem winzigen Raum. Keine Arbeit, keine Perspektive gab es da, sagt die zierliche Frau. Vor vier Jahren kommen sie nach Deutschland. Damit die Kinder eine Zukunft haben, sagt Alina
"Nach Rumänien gehen wir niemals zurück"
Sie verkauft zuerst Straßen-Zeitungen, ihr Mann meldet ein Gewerbe an, arbeitet auf dem Bau. Er wird mehrmals um seinen Lohn geprellt. Die Familie lebt in einem Wohnheim, die Miete zahlte das Jobcenter. Dann wird hier im Haus eine Wohnung frei, sie ist viel günstiger als ein Heimplatz.
"Nach Rumänien gehen wir niemals zurück", sagt Alina, "was sollen wir dort ? Hier gehen die jüngsten Kinder in die Kita, die Größeren in die Grundschule gleich nebenan. Schulbücher und Hefte werden gestellt, ihr Mann kann arbeiten und eine Weiterbildung machen. Sie beginnt demnächst ihren zweiten Deutschkurs.
Das haben wir alles Herrn Marx zu verdanken, sagt sie dann noch. Bevor sie im Seitenflügel verschwindet: Herr Marx, der kümmert sich, er ist ein guter Mensch.
Benjamin Marx steht derweil im Innenhof ein wenig abseits, zieht an einer Zigarette, mustert die Studentengruppe. Grauer Bart, Brille, dunkelblaues Jackett mit golden glänzenden Knöpfen – der Immobilien-Manager wirkt ein wenig wie ein Kapitän beim Landgang. Vor vier Jahren kam er das erste Mal hierher.
"Das war mein Schlüsselerlebnis da reinzukommen, ich bin hier gegangen, hier war alles voller Müll, da drinnen spielten zwei kleine Kinder. Und daneben suchten die Ratten nach Futter. Und wenn sie 30 Jahre Wohnungswirtschaft gemacht haben ist ihnen nichts mehr fremd. Und dann bin ich da dann raus und habe gesagt: machen wir das? Ja, das machen wir…"
"Klein-Rumänien", "Ratten-Haus" – so nennen die Boulevardmedien den heruntergekommen Altbau-Komplex. Benjamin Marx kauft ihn für die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft. Ein katholisches Immobilienunternehmen, das sich dem sozialen Wohnungsbau verpflichtet sieht.
Jeder zahlte 200 Euro an Vermieter und Vermittler
"Es sind 7500 Quadratmeter Wohnfläche und 137 Wohnungen und es leben circa 600 Roma."
Benjamin Marx beobachtet amüsiert die Studentengruppe. "Von denen war bestimmt noch nie jemand in einem Roma-Dorf", grummelt er. Die Besucher hören die Hausgeschichte im Schnelldurchgang. Als Marx das Haus kauft, lebten bis zu zehn <del cite="mailto:v.%20Aster" datetime="2015-06-19T13:40"> </del>Personen in einer 40 Quadratmeter-Wohnung. Jeder zahlte 200 Euro an Vermieter und Vermittler. Ungläubiges Staunen bei den Studierenden.
Marx: "Was hat die Dame gefragt?"
Student: "Ob dieser Vermieter zur Verantwortung gezogen wurde, weil jede Matratze einzeln vermietet wurde."
Marx: "Leider nicht."
Auch für jeden Ämtergang zahlen die Familien, dubiose Berater bieten ihre Dienste an, kassieren pro Kindergeldantrag mehrere hundert Euro.
Marx: "Und ich habe hier auch sehr vielen Leuten das Geschäft kaputt gemacht, wir haben den Leuten nachher die Anträge umsonst ausgefüllt, wir haben Postlesen mit den Leuten gemacht, die brauchten keine dubiosen Berater."
Sechs Wochen Polizeischutz, weil man ein Haus saniert
Schritt für Schritt entziehen Marx und seine Mitarbeiter den illegalen Geschäften die Grundlage. Bei der Sanierung der Gebäude beschäftigen sie Bewohner, die sonst auf Baustellen arbeiten. Als das in der Zeitung steht, rücken 200 Zoll- und Polizeibeamte an. Kontrollieren die Papiere. Alles ist in Ordnung.

Marx: "Dann kam noch die Morddrohung. Sie haben in Köln den Flieger genommen, das Leihauto, sie waren da und da, wir wollen das beenden, Und dann hatte ich sechs Wochen Polizeischutz. Nur weil man ein Haus saniert, das ist doch nicht normal …"
Benjamin Marx, er der Projektinitiator des Sinti- und Roma-Wohnungsbauprojekts in der Harzer Straße in Berlin. Das Sanierungsprojekt wurde von der Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft initiiert, die der katholischen Kirche gehört.
Benjamin Marx: Sein Sanierungsprojekt wurde von der Aachener Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft initiiert, die der katholischen Kirche gehört.© picture alliance / dpa
Heute ist die Morddrohung Geschichte, ebenso wie die dubiosen Vermittler. Weithin sichtbar leuchtet die bunte Fassade im Neuköllner Kiez. Die Bewohner kümmern sich selbst um Putz- und Reinigungsdienste. Die Kinder gehen auf die benachbarte Grundschule. Neben den Roma-Familien sind noch 30 andere Mieter eingezogen, Studenten-WGs, Familien und vier Ordensbrüder. Das reicht schon, um weltweit Schlagzeilen zu machen: CNN war hier, Al Dschasira. Der rumänische Botschafter, der bulgarische, der EU-Sozialkommissar Laszlo Andor.
Marx: "... die sagen: Wir haben ja schon das und das gemacht und das und das gemacht, das funktioniert eben nicht, wir geben es jetzt auf. Und hier, es funktioniert, das ist eben dieser Stachel, es ist nervend."
Student: "Woran liegt das eigentlich, dass sie hier Erfolg hatten?"
Marx: "Den Leuten auf Augenhöhe zu begegnen."
Student: "Okay."
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