Sand im Getriebe der Filmwelt

Von Susanne Billig |
Sie gehört zur deutschen Filmlandschaft wie Kinos und Wim Wenders. Seit mehr als zwei Jahrzehnten bringt Ellen Wietstock alle sechs Wochen eine Zeitschrift heraus, die im Wohnzimmer produziert wird und dennoch in der Filmbranche bekannt ist: das Magazin "black box". Sie bietet vor allem wichtige Brancheninformationen.
"Ich hasse Popcorn, ich esse es nie! Und ich geh auch ungern, ganz ungern, also eigentlich überhaupt nicht in Kinos, die Popcorn verkaufen. Ich mag den Geruch nicht, aber ich muss ihn manchmal aushalten, weil einige Festivals natürlich in Kinos stattfinden, wo Popcorn verkauft wird - das ist nicht meine Welt."

Ellen Wietstock gehört zur deutschen Filmlandschaft wie Kinos und Wim Wenders. Seit mehr als zwei Jahrzehnten bringt sie alle sechs Wochen eine Zeitschrift heraus, die 24 Seiten hat, voller Buchstaben ist und ohne ein Foto, die im Wohnzimmer produziert wird und abends selbst zur Druckerei gefahren - und die wohl jeder kennt, der mit dem deutschen Film zu tun hat: die black box.

"Meine erste Berührung mit Film hat eigentlich schon ganz früh angefangen, und zwar während der Schulzeit. Ich bin 1945 geboren, also in den fünfziger Jahren zur Schule gegangen, und zum damaligen Zeitpunkt war James Dean 'ne Figur, die man bewunderte, die man ganz toll fand. Und dann hab ich beschlossen, meine Abschlussarbeit für die Mittlere Reife über James Dean zu schreiben."

In Hamburg wuchs Ellen Wietstock auf, ging Ende der sechziger Jahre ins wilde Berlin. Politik hat sie studiert, und als sie für ihre Abschlussarbeit ein Thema suchte, stieß sie auf die Filmpolitik. Seitdem hat sie sich - freundlich und hartnäckig - einer Aufgabe verschrieben:

"Ich versuche, sagen wir mal, das ist jetzt ein großes Wort, aber: Ich versuche, so ein bisschen Sand im Getriebe zu sein der Filmwelt. Das heißt zu gucken: Was gibt es für Gesetze, wer wird gefördert? Unter welchen Bedingungen? Haben Filmemacher die gleichen Ausgangschancen?"

Die erste Nummer der "black box" erschien 1984 - das aktuelle Heft sieht immer noch genau so aus. Vorn ein Leitartikel der Chefredakteurin oder ein Interview, und dann kommt das, was Kinobesitzer, Regisseure, Kameraleute und Drehbuchautoren brauchen wie Wasser in der Wüste:

"Sie müssen wissen, wo kann ich Förderanträge stellen? Auf welches Festival kann ich meinen Film schicken? Dann natürlich Produktionsnachrichten, also 'wer dreht was?' Wer Preise bekommen hat natürlich! Eine ganz interessante Rubrik, wahrscheinlich die interessanteste: Wer hat Fördermittel bekommen, Filmfördermittel?"

Mit ihren Artikeln eckt sie manchmal an - Ellen Wietstock begreift sich als Fürsprecherin der Kleinen: der Filmstudenten, unkonventionellen Regiearbeiten, der Produktionsfirmen, die mit halsbrecherischen Mini-Etats engagierte Filme auf die Leinwand zu bringen versuchen. Wer in der Zeitschrift eine Anzeige schalten will, ruft einfach an. Dann setzt Ellen Wietstock ein paar Zeilen ins Heft, und da die black-box-Macherin sich nie ein Layout-Programm leisten wollte, wird auch nicht viel gestaltet. Nur hinten auf Umschlagseite lächelt seit vielen Jahren derselbe Mann:

"Ach, Herr Weber! Herr Weber ist mein treuster Anzeigenkunde (lacht) Und der hat mir gesagt, so lange wie es die black box gibt, bleib ich Ihnen treu, ich hätt' fast geweint, als der mir das neulich sagte. Das ist 'n ganz wichtiger Mensch, weil er die nicht sozialversicherungspflichtigen Filmemacher berät, wie man in die Künstlersozialkasse kommt."

Vor einigen Jahren feierte Ellen Wietstock mit ihrer black box zwanzigjähriges Jubiläum - zum ersten Mal druckte sie ein Bild ab: eine hübsche junge Frau mit langem schwarzen Haar und Sixties-Mittelscheitel, die kritisch die Hände in die Hüften stemmt. Das war sie selbst am Anfang ihrer "Film-Karriere".

Dreißig Jahre später ist sie noch schöner geworden, wenn sie im roten Samtanzug souverän über Festivals läuft, wo sie jeder kennt und jeder mag.

"Auf der anderen Seite muss ich natürlich auch so 'ne gewisse kritische Distanz halten, das ist immer, immer schwierig, weil ich auf der einen Seite verfolge und verfolgen muss: Wo gibt es jetzt Lobbyarbeit? Wo gibt es sogar mehr als das? Wo gibt es Abhängigkeiten? Wo wird auch gekungelt? Auf der anderen Seite kenn ich natürlich auch Produzenten, Regisseure und so weiter. Ich gelte aber, glaube ich, als 'ne sehr gerechte Person."

Herzlich, entgegenkommend und ohne jeden Konkurrenzgedanken - in einer Branche, wo alle fürchten, dass andere die raren Fördergelder ergattern. Reich geworden ist Ellen Wietstock mit ihrem Engagement nicht.

"Ich hab immer mir gesagt, ich will diese Zeitschrift in meinen eigenen Händen behalten, das war mir ganz wichtig. Es ist besser, ein kleines Medium zu haben, das einem selbst gehört, als ein großes, das andere besitzen. Das reicht zum Leben, aber ich bin sehr zufrieden damit. Und ich bin frei - ja."

Freie Zeit ist für Ellen Wietstock selten und kostbar. Dann liest sie oder hört...

"... Musik! Ja, natürlich! Ich hör auch so Nico, oder, oder Lou Reed! Cream, kennt kein Mensch mehr, nee, das kennt kein Mensch mehr, wunderbare Band. Ich liebe die Nordsee, ich lieb das Meer überhaupt, das ist mein Element. Wenn ich an der Nordsee bin - oder am Atlantik bin ich auch immer einmal im Jahr - dann geh ich ganz, ganz lange spazieren. Stundenlang am liebsten."

"Filme gucken ist, ja, das ist Arbeit. Aber eine wunder-, wunder-, wunderschöne Arbeit. Immer noch."