"Sanctuary Schulen"

Zufluchtsorte für Menschen ohne Papiere

Ein Demonstrant hält ein Plakat mit dem Spruch "We are here to stay" hoch.
US-Präsident Donald Trump verschärft das Einwanderungsrecht. Städte und Gemeinden protestieren dagegen, indem sie sich zu "sicheren Orten" für illegal in den USA lebende Menschen erklären. © imago/UPI Photo
Von Kerstin Zilm  · 09.03.2017
Als Reaktion auf US-Präsident Donald Trumps verschärfte Einwanderungspolitik erklären sich immer mehr Städte und Gemeinden zu "Sanctuary Cities und Communities”. Einwanderer ohne Aufenthaltspapiere sollen hier sicher vor Abschiebung sein. Auch eine Schule in Kalifornien macht mit.
Die Locke College Preparatory Academy erstreckt sich über einen ganzen Häuserblock mitten im Stadtteil Watts. In verzweigten Bauten und Bungalows werden mehr als 2000 Schüler von der neunten bis zur zwölften Klasse unterrichtet. Fast zwei Drittel von ihnen haben Eltern, die aus Mexiko oder Mittelamerika eingewandert sind. Gleich an der ersten Klassenzimmer-Tür hängt ein Schild: "Hier unterrichtet ein furchtloser Lehrer, der mit und für Schüler ohne Einwanderungspapiere arbeitet.”
Oscar Spinoza aus El Salvador ist in der 12 Klasse. Er hat vor über zehn Jahren die US-Grenze illegal überquert.
"Ich bin lieber in der Schule als zu Hause. In unserem Haus könnte es eine Razzia geben, hier nicht. Ich bin froh, dass meine Schule sich zur Sanctuary School erklärt hat. Ich kann hierherkommen und einfach nur lernen, ohne dass jemand mich nervt."
Klassenkamerad Anthony, ebenfalls 12 Jahre alt, will seinen Nachnamen nicht sagen, obwohl er in den USA geboren und deshalb Staatsbürger ist. Sorgen um seine Eltern lenken ihn vom Lernen ab. Sie sind ohne Papiere eingewandert. Seit Präsident Trump die Abschiebe-Politik verschärft hat, fürchtet Anthony, sie könnten eines Tages nicht mehr da sein, wenn er von der Schule nach Hause kommt.
"Ich habe meinem Stiefvater und meiner Mutter gesagt, sie sollen mit meinem kleinen Bruder nach Mexiko gehen. Ich kann hier ganz gut allein auf mich aufpassen. Wenn ich fertig mit der Schule bin, kann ich nachkommen. Das ist mein Plan B."
Weil Schulleitung und Lehrer diese Angst spüren, haben sie die Schule zur Sanctuary School erklärt - zum Zufluchtsort. Die Schule könnte deshalb finanzielle Mittel vom Bund verlieren. Das sind etwa zehn Prozent des Etats. Die anderen 90 Prozent kommen vom Bundesstaat Kalifornien, aus Stiftungen und von privaten Spendern. Das Risiko lohnt sich, sagt Englischlehrerin Tiffany Polioungas:
"Sanctuary School bedeutet, dass Schüler hier sicher und beschützt sind. Sie haben das Recht auf Bildung, egal ob sie Papiere haben oder nicht. Wenn ein Schüler bei uns lernen will, werden wir tun, was wir können, um das möglich zu machen."

Kein Schüler ist sicher vor der Abschiebung

Schüler der Locke College Preparatory Academy in Los Angeles.
Schüler der Locke College Preparatory Academy in Los Angeles. © Deutschlandradio / Kerstin Zilm
Die Schulleitung fragt weder nach Aufenthaltsgenehmigungen der Kinder noch der Eltern und gibt freiwillig keine Informationen an Polizei oder Immigrationsbehörden weiter. Sicher vor Abschiebung sind die Schüler trotzdem nicht.
Tiffany Polioungas: "Ich glaube nicht, dass sie durch meine Klassenzimmer-Tür stürmen und Leute rausholen. Aber sie könnten zum Beispiel Stichproben machen und fordern, mit zehn Schülern zu reden. An unserer Schule ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass unter den zehn mindestens einer ohne Papiere ist."
In einem Besprechungsraum der Schule treffen sich an diesem Nachmittag Mütter zu ihrer wöchentlichen Aktionskonferenz. An den Wänden hängen bunte Poster, auf denen zur Unterstützung der Familien aufgefordert wird, die Mitgliedern ohne Aufenthaltsgenehmigung haben. Seit Wochen geht es hier nicht mehr um Hausaufgabenhilfe oder Theaterprojekte. Die Frauen sprechen auch heute wieder darüber, was passiert, falls eine von ihnen festgenommen wird. Eine Mutter, die sich Vanessa nennt, um den eigenen Namen zu verschweigen, sagt, sie sei vorbereitet:
"Sie haben uns erklärt, dass das Wichtigste ist, eine Vollmacht auszustellen, so dass wir wissen, wer sich dann um die Kinder kümmert. Wenn das klar ist, kann man das den Kindern sagen, damit sie nicht mehr so viel Angst haben."

Ihre Söhne sind in den USA geboren

Isabel Montero lebt seit 30 Jahren ohne Papiere in Los Angeles. Sie lässt jetzt ihre Söhne prüfen, ob es im Viertel Polizeikontrollen oder Razzien gibt, bevor sie das Haus verlässt. Beide Jungs sind in den USA geboren. Ihre Situation belastet sie sehr.
"Die Kinder sind Staatsbürger und haben Rechte. Warum gucken die auf uns? Wir sind doch nicht wichtig, die Kinder sind wichtig. Und die leiden jetzt,- dabei sind sie die Zukunft dieses Landes."
In den Klassenzimmern überlegen Schüler, was sie nach dem Abschluss machen wollen. Die ohne Papiere haben Bedenken, Bewerbungen für Universitäten auszufüllen oder Studienhilfe zu beantragen. In den Formularen müssen sie Namen und Adressen angeben. Das ist ihnen nicht geheuer. Der Schüler Oscar Spinoza sagt, der Sanctuary-Status der Schule gebe ihm Sicherheit. Außerhalb ist er immer in Alarmbereitschaft.
"Ich habe Angst davor, nachts im Bett zu liegen und die Tür wird eingetreten und meine Familie mitgenommen oder dass jemand kommt und mich mitnimmt, obwohl ich nur hier bin, um etwas aus meinem Leben zu machen."
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