Samstag mit Mondtag: Theaterkolumne

GroKo als möglicher Wegbereiter für Faschismus?

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer sitzen an einem Tisch und unterzeichnen den Koalitionsvertrag.
Im Dezember 2013: Die Parteichefs von SPD, CDU und CSU haben den Koalitionsvertrag unterschrieben. Wird es 2017 erneut eine Große Koalition geben? © afp/MACDOUGALL
Von Ersan Mondtag |
Mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl warnt der Theaterregisseur Ersan Mondtag: Eine weitere Legislaturperiode unter einer Großen Koalition brächte die Demokratie in ernsthafte Gefahr. Er fordert die SPD zur Opposition auf.
Im Mittelalter begegnete einem der liebe Gott überall. Praktisch an jeder Straßenecke lief man ihm über den Weg. Die Bilder mochten sich gleichen, die Slogans sich wiederholen und die Gelehrten lagen bei den Gottesbeweisen so sehr über Kreuz, dass man sich so recht auf nichts mehr einigen konnte. Trotzdem blieb ein Restglaube an Gott – auch deshalb, weil es keine Alternative gab.
Jetzt widerhallt der öffentliche Raum von Aufrufen, an die Demokratie zu glauben. Die Plätze prangen von Wahlplakaten voll frommer politischer Sprüche. In den Talkshows beschwört man Werte wie die Auferstehung in der Ostermesse. Das ähnelt der theologischen Ermattung des Mittelalters: Obwohl die Demokratie als eines der großen Ideale der Menschheit gilt, obwohl mit Recht jeder sich glücklich schätzen kann, in einem demokratischen Staat zu leben – breitet sich Ratlosigkeit aus. Das Ideal hat zum Restglauben abgewirtschaftet.

Wahlkampf als Mummenschanz routinierter Gottesbeweise

Das Theater ist der Ort, wo Kunst durch das Durchbrechen von Routinen und etablierten Wahrnehmungen entsteht und wo diese Kunst sich konkret auf eine Stadtgesellschaft beziehen kann. Wir alle suchen uns Identitäten, aber wenn diese nur noch aus Wiederholung bestehen, brechen sie frustriert zusammen. Das Theater macht Angebote, wie die Wahrnehmung von Personen und Prozessen für die Dauer einer Vorstellung angegriffen, verworfen oder neu gestaltet werden kann. Aus der Perspektive des Theaters ist dieser Wahlkampf ein schlecht inszenierter Mummenschanz routinierter Gottesbeweise.
Ein Philosoph hat gesagt, die Pointe der Demokratie sei, dass man die Regierung abwählen kann. Das macht auch ihre Erotik aus, dass der Wähler seine Potenz als Volkssouverän spürt. Dies ist aber auch die Abgrenzung zum Faschismus. Laut Umberto Eco kennzeichnen den Faschismus der Glaube an eine geoffenbarte Urwahrheit ebenso wie die Konsenssucht mit Gleichgesinnten. Der Faschismus will keine abwählbare Regierung, sondern eine mindestens tausendjährige.

Große Koalition keine per se faschistische Kontruktion

Das demokratische Gegengift zum Faschismus ist die Opposition. Dass ausgerechnet ein Sozialdemokrat mit dem rotzigen "Opposition ist Mist!" die Opposition verächtlich machte, ist ein Skandal. Und wenn die Grand Old Party Deutschlands heute so siech wirkt, dann deshalb, weil sie diesen Satz wie eine Bleivergiftung mit sich herumschleppt.
Die Große Koalition ist keine per se faschistische Konstruktion. Aber sie kann dem Faschismus den Boden bereiten. Die Große Koalition schwächt das Immunsystem gegen den Faschismus, indem sie eine satte Regierungskonstellation verewigt – voller Wiederholungstäter, gezüchtet in den Gewächshäusern der Parteien, welche die Opposition unter ihrem politbürokratischen Hintern begraben.

Idealist muss für Demokratie, nicht für Parteien stimmen

Sicher, Demoskopen verkünden regelmäßig, wie sehr die Deutschen die GroKo an sich mögen. Aber der Mensch verliebt sich in Routinen, vom morgendlichen Stuhlgang bis zum Bier vor dem Einschlafen. Das fühlt sich eine Zeitlang wie Identität an. Aber wenn das Hohle der Wiederholung immer deutlicher wird, zerfällt das Gebilde in Hass und Depression.
Die Barbarei ist nie Vorstufe der Zivilisation, sondern ihre Folge. Faschismus ist die Konsequenz einer Demokratie, die den Glauben an sich verloren hat. Vergessen Sie den Wahl-o-Mat, der als Partner-Horoskop die passende Partei empfiehlt. Ein Idealist darf jetzt nicht für Parteien, sondern muss für die Demokratie selbst stimmen. Idealismus bedeutet heute nicht, sich ein gutes Gewissen anhand eines Parteiprogramms zuzulegen, sondern dafür zu sorgen, dass die Rassisten auf keinen Fall die größte Oppositionspartei werden. Aber dazu bedarf es eines Endes der Großen Koalition. Und vor allem eine Partei muss sich dann dringend erinnern, dass sie als Oppositionspartei gewissermaßen gegründet wurde!
Überlegen Sie also, und hier kommt keine Empfehlung: Wo muss das Kreuz hin, eventuell auch contre coeur, wenn keine Große Koalition dem Mittelalter unserer Demokratie den Weg in den aufziehenden Faschismus weisen soll.
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