Sams Sterben

09.09.2008
Eine Geschichte vom Sterben, die zugleich voller Lebensfreude ist - dieses Paradoxon ist der jungen britischen Autorin Sally Nicholls gelungen. In einem fiktiven Tagebuch beschreibt sie die letzten drei Lebensmonate des an Leukämie erkrankten Sam. Am Schluss ist der agile, neugierige und intelligente Junge tot, und der Leser bleibt tief bewegt zurück.
Es braucht schon viel Mut und vielleicht auch einen Schuss Naivität, um mit 23 Jahren seinen Debütroman über das Sterben eines Kindes zu schreiben. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt, und Sally Nicholls hat ganz eindeutig gewonnen. "Wie man unsterblich wird" ist ein ganz ungewöhnliches Buch, so beeindruckend, dass es nicht leicht sein dürfte, auf diesem Niveau weiter zu schreiben.

Der elfjährige Sam hat Leukämie und weiß, dass er sterben wird. In seinen letzten drei Lebensmonaten schreibt er ein Tagebuch und erzählt darin, was er täglich mit seiner Familie und seinem ebenfalls todkranken Freund Felix erlebt, welche Wünsche und Fragen er hat, wie er selbst immer schwächer wird und seine Familie sich angesichts seines Sterbens verändert. Am Schluss ist der agile, neugierige und intelligente Junge tot und der Leser bleibt tief bewegt zurück.

Sally Nicholls erzählt ihre Geschichte nicht von außen, sondern ganz von innen. Ihr Roman ist Sams fiktives Tagebuch. Dadurch ist der Leser ganz nah dran an den Gedanken und Gefühlen, Ängsten und Hoffnungen des Jungen - wobei die Struktur des Romans Sams Lebendigkeit spiegelt. Denn er erzählt nicht einfach von Tag zu Tag, was er erlebt, sondern spickt seine Aufzeichnungen mit Listen, Fragenkatalogen und Zitaten aus Büchern, mit Listen seiner letzten Wünsche oder seiner Lieblingssachen, und mit Fragen nach Sinn des Lebens und Sterbens.

Trotzdem ist "Wie man unsterblich wird" kein todtrauriges Buch. Denn Sam ist mutig und phantasievoll, er nutzt seine verbleibende Zeit für eine Menge Witze, Spaß und Experimente. Viele seiner letzten Wünsche erfüllt er sich noch selbst, zusammen mit Felix, dem Zyniker, der ihm das Sterben vormacht. Und er schreibt mit klarem Blick auf sich selbst und seine Familie, ohne Pathos oder Selbstmitleid, frisch, locker und sehr natürlich.

Vielleicht kann nur eine so junge Autorin so witzig und charmant über ein so schwieriges Thema schreiben. Doch Sally Nicholls verharmlost Sams Sterben nicht. Sie beschreibt vielmehr sehr sensibel, wie die Angst sich einschleicht in Sams Alltag, wie die fröhliche Fassade langsam brüchig wird, wie der Junge alle Hoffnungen verliert und immer schwächer wird. Und sie zeigt, wie Sams komplizierte Familie sich langsam verändert. Wie die positiv programmierte Mutter immer realistischer wird, der wortkarge Vater sich dem Jungen zuwenden lernt und die zickige kleine Schwester ihn zärtlich begleitet.

Am meisten beeindrucken jene Szenen, in denen Worte, Taten und Medikamente endgültig versagen und nur noch liebevolle Zuwendung Sam helfen kann. In stillen Gesten und Berührungen kommt sich die Familie näher denn je und lernt, den Sohn loszulassen. Mit Sams Sterben erfährt sie zugleich ein neues, reicheres Leben. Und auch der Leser begreift ganz unmittelbar, dass erst der Tod das Leben kostbar macht und "jede Minute zählt". Darum ist Sally Nicholls großartiger kleiner Roman über das Sterben auch und vor allem eine Geschichte über das Glück des Lebens.

Rezensiert von Sylvia Schwab

Sally Nicholls: Wie man unsterblich wird. Jede Minute zählt
Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann
Carl Hanser Verlag 2008
198 Seiten, 12,80 Euro