"Sammelwut des Staates muss eingedämmt werden"

Die Hamburger Rechtsanwältin Maja Stadler-Euler hat sich gegen die Forderung nach einer neuen Volkszählung ausgesprochen. Die Sammelwut des Staates müsse eingedämmt werden, sagte sie im Hinblick auf einen entsprechenden Vorstoß des SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck. Stadler-Euler hatte 1983 mit einer Verfassungsbeschwerde das Gesetz zur Volkszählung gekippt.
Die Daten der letzten echten Volkszählung in der alten Bundesrepublik sind 18 Jahre alt. In der DDR wurde zuletzt vor 24 Jahren gezählt. Das bedeutet nicht etwa, dass die Statistiker wirklich mit gar so alten Daten rechnen.

Seit 1958 findet jedes Jahr ein so genannter Mikrozensus statt: Jeder Hundertste Bürger wird befragt. Aber das reicht nicht aus, deshalb werden zwischendurch auch in einer Volkszählung alle Bürger befragt.

Es geht nicht darum, wie viele Einwohner es gibt. Sondern um Informationen, die in den privaten Bereich hineinreichen. Haushaltsgröße, Wohnungsgröße, Bildungshintergrund. Das kann auch ins Detail gehen: Bei der Bildung etwa wird nach Studiengängen gefragt, nach Schulabschluss, danach, ob der auf dem ersten oder zweiten Bildungsweg erreicht wurde.

Dazu kommen in jedem Jahr wechselnde Zusatzbefragungen, also noch einmal ein extra Bogen zum Ankreuzen, auf dem Spezialthemen untersucht werden. Zum Beispiel die Urlaubsgestaltung: Da werden Reiseziele abgefragt, die Größe der Urlaubskasse und wie die Urlauber anreisen.

Nun fordern Matthias Platzeck und andere Politiker dringend eine große Befragung, eine Volkszählung. Der Grund: seit der Wiedervereinigung hat sich das Bild Deutschlands gewandelt. Es gab und gibt Wanderungsbewegungen von Ost nach West, aber auch innerhalb der Bundesländer, es gibt neue Tendenzen bei der Bildung, bei der Wohnungsversorgung, bei der Frage, wer wie weit mit dem Auto zur Arbeit fährt oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Die Statistiker wissen also gar nicht mehr genau, nach welchen Kriterien sie eine repräsentative Gruppe aussuchen sollen. Eine repräsentative Gruppe brauchen sie aber für den Mikrozensus, sonst ist er nicht zu gebrauchen. Also, so die Statistiker zusammen mit den Politikern, müsse eine neue große Volkszählung her.

Also möglicherweise so eine, wie es sie 1987 zuletzt gab: Mit Fragebogen, die an der Haustür an alle Bewohner verteilt werden. Mit Erhebungsstellen in der Gemeinde, die kontrolliert, ob auch alle Bogen vollständig abgegeben wurden, und die diese dann weitergeben an die Statistischen Landesämter und das Bundesamt. Denkbar wäre aber auch, dass man sich das Papier weitgehend spart. Wer kann und will, würde sich dann auf einer geschützten Internet-Seite einloggen.

Wie auch immer die Zählung aussähe: Klar ist, dass ein Eklat wie der 1983 heute nicht mehr zu befürchten wäre. Zum einen gab es dort, wie auch noch 1987, besonders virulente Themen. Den Leerstand von Wohnungen zum Beispiel, damals Hintergrund für den Streit um Hausbesetzungen.

Vor allem aber gibt es seit der Verfassungsgerichtsentscheidung, die die Volkszählung 1983 für grundgesetzwidrig erklärt hatte, klare Maßstäbe für den Datenschutz. Es ist seither klar, wie viel Ausfragerei das Grundgesetz zulässt und wo es Grenzen setzt.

"Sammelwut des Staates muss eingedämmt werden"

Für diese Klarheit kämpften damals zwei Hamburger Rechtsanwältinnen bis zur letzten Instanz: Gisela Wild und Maja Stadler-Euler.

Stadler-Euler erklärte im Deutschlandradio Kultur, die "Sammelwut des Staates" müsse eingedämmt werden.

Bei den bisherigen Volkszählungen habe die Datenverwertung viel zu lange gedauert, führte die Anwältin zur Begründung ihrer Ablehnung an. Die Verwaltungen seien mit der Menge der Daten überfordert gewesen, äußerte sie: "Deswegen sind die Daten, wenn sie eingesetzt werden sollten, schon überaltert gewesen."
Statt einer umfangreichen Volkszählung schlug Stadler-Euler eine Teilzählung vor, "ganz präzise bezogen auf den Geburtenrückgang". Notwendig seien auch Erhebungsdaten für die Bereiche Schule und Wohnungsbau, sagte die Anwältin.

Sie können das Gespräch mit Maja Stadler-Euler über den Audio-Link in der rechten Spalte hören.