Sammelband

Literatur statt Pille

Von Ursula März · 31.12.2013
In diesem Buch findet der Leser gegen alle Wehwehchen und größere Schmerzen ein Heilmittel: einen passenden Roman. Vergnügliche Lektüre für einen verkaterten Neujahrstag.
Gibt es ein spezielles Neujahrsleiden? Oh ja! Es macht sich durch Kopfschmerzen und Flauheit in der Magengegend bemerkbar, auch durch diffusen Weltschmerz. Man nennt es Kater. Gegen die körperlichen Symptome können Aspirin und Cola helfen, gegen die pessimistische Sicht auf die 365 Tage des neuen Jahres bietet sich ein Buch an, das den Titel "Romantherapie" trägt und genau so gemeint ist: Lesen als Medizin, Literatur als Hausapotheke.
Die Herausgeberinnen des Buches, zwei englische Philologinnen und die deutsche Literaturwissenschaftlerin Traudl Bünger, haben nicht weniger als 253 Romane unter dem Aspekt ihrer therapeutischen Wirkung zusammengetragen. Für fast jedes erdenkliche Leiden und für eine Vielzahl schiefer oder unverträglicher Lebenslagen bieten sie einen bestimmten Roman, einen Leseratschlag zur Abhilfe an - ein zweifellos originelles und apartes Kanonprinzip.
Der literarische Kanon der "Romantherapie" reicht von A wie "Abschiede" über M wie "Midlife-Crisis" bis Z wie "Zurückweisung". Gegen den Abschiedsschmerz wird die Lektüre von Friederike Mayröckers assoziativer Romanprosa "Die Abschiede" empfohlen. Gegen die Depressionen der Lebensmitte soll Martin Walsers Roman "Ein fliehendes Pferd" helfen. Der Umgang mit der Erfahrung tiefer Zurückweisung wiederum soll sich mit "Rabenliebe" von Peter Wawerzinek erlernen lassen.
Eine subjektive Zusammenstellung
Schon diese kleine Auswahl zeigt indes, dass die "Romantherapie" ein spielerisches, augenzwinkerndes und recht subjektives Projekt ist. Ganz offensichtlich haben sich die Herausgeberinnen an ihren persönlichen Lektüreeindrücken und Lektüreerinnerungen orientiert. Anders ist schwer zu erklären, weshalb die "Zurückweisung" ohne Franz Kafkas "Verwandlung" auskommt, unter M wie "Mobbing" ausgerechnet Annette Pehnts gleichnamiger Roman fehlt und stattdessen nur der Roman "Katzenauge" von Margaret Atwood angeboten wird. Ebenfalls nicht ganz plausibel erscheinen die drei Winnetou-Bände von Karl May, die das Leiden am "Minderwertigkeitskomplex" abdecken.
Darüber hinaus leuchten nicht alle der 253 aufgezählten Leiden als solche zwingend ein. Das gilt für die "Risikobereitschaft", die eigentlich nur eine Charaktereigenschaft bezeichnet, wie für das "Alleinerziehendsein", womit nichts anderes als eine soziale Lebensform definiert wird. Fraglich ist auch, ob die "Pensionierung" an sich schon ein Übel darstellt, für viele ja wohl eher eine Befreiung aus dem Korsett des Arbeitslebens. Unter dem Stichwort "Pensionierung" findet sich indes der Roman "Das Rätsel der Ankunft" von V.S. Naipaul als Therapievorschlag, was den Schluss nahelegt, dass in vielen Fällen ein Stichwort gesucht wurde, das zu einem Lieblingsroman der Herausgeberinnen passt und nicht umgekehrt.
Man sollte die "Romantherapie" und ihre durchaus vergnüglich zu lesenden 253 Einzelkapitel nicht allzu streng nach literaturhistorischen und literaturkritischen Maßstäben betrachten. Einen Arztbesuch ersetzt das Buch keinesfalls. Aber es ist geeignet, einen verkaterten und verdüsterten Neujahrstag im Lesesessel angenehm zu verbringen; mit Aspirin und Coca Cola in Reichweite.

Ella Berthoud und Susan Elderkin mit Traudl Bünger: Die Romantherapie. 253 Bücher für ein besseres Leben
aus dem Englischen von Katja Bendels und Kirsten Riesselmann
Insel Verlag, Berlin 2013
430 Seiten, 20 Euro