Sámische Sammlung in Berlin

Erzählung der Menschen dient der Aufarbeitung

05:01 Minuten
Mann in traditioneller samischer Tracht und mit Rentier in Norwegen
Die Kultur der Sámen, der indigene Bevölkerungsgruppe, die in Finnland, Schweden und Norwegen lebt, wurde ebenfalls ihrer Tradition beraubt. Einige wichtige Artefakte lagern in Berlin. © picture alliance / imageBroker / Gilles Barbier
Von Simone Reber |
Audio herunterladen
Wenn es um die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit geht, richtet sich der Blick in der Regel nach Süden. Dabei erleben auch die Sámen im Norden Europas, dass ihre Kultur unterdrückt wird. In Berlin gibt es jetzt ein Provenienzprojekt.
Im Keller des Museums Europäischer Kulturen in Berlin-Dahlem rauscht die Klimaanlage. In den langen Reihen mit Glasschränken sind die Fischernetze, die bunten Schuhbänder und nachtblauen Kleider der Samen zu sehen.

Sámische Sammlung im Depot

Bis auf einzelne Ausnahmen befindet sich die sámische Sammlung im Depot. Museumsdirektorin Elisabeth Tietmeyer macht auf die stolzen Hornhauben der Frauen aufmerksam, über deren Bedeutung die Museumsleute bisher wenig wissen.  
"Wir haben nur gelesen, sie haben ein Horn und darum wurden sie verboten von den christlichen Missionaren, weil man das mit einem Teufelshorn verglich", sagt Tietmeyer. "Das ist so ein Holzhorn da innen drin, damit das stabil ist und man hat dann auch diese Aufsätze oder Hörner abgeschnitten und hat dann solche Kopfbedeckungen bekommen, die ganz dem Kopf angepasst waren."
Ohne ihr prägnantes Horn sehen die spektakulären Kappen aus wie Babymützen. Im 19. Jahrhundert brachen Expeditionen für das Berliner Völkerkundemuseum auch nach Norden auf und brachten Beispiele von sámischem Kunsthandwerk mit.

Eine der größten sámischen Sammlungen außerhalb Nordeuropas befindet sich in Berlin – im Museum Europäischer Kulturen. Hier hat im Dezember ein zweijähriges Projekt begonnen, um die Herkunft dieser Objekte zu erforschen.

Dazu kamen Bestände aus privaten Sammlungen. Rund tausend Objekte lagern im Keller des Museums. In einem Tandem-Projekt, das vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste gefördert wird, sollen jetzt ihre Herkunft und ihre kulturelle Tradition aufgearbeitet werden.
"Es sind so viele Objekte, deren Herkunft wir nicht kennen", so Tietmeyer. "Und dann frage ich mich, was wollen wir den eigentlich mit diesen Objekten. Seit über hundert Jahren sind sie im Depot. Aber kein Mensch weiß, was sich hier verbirgt."

Bald im offenen Schaulabor

Die klassische Provenienz Recherche übernimmt die Archäologin Eeva-Kristiina Nylander vom Sámen-Museum im finnischen Inari. Das zweite Standbein des Projektes soll Verbindungslinien herstellen zwischen sámischen Künstlerinnen und Künstlern und den Artefakten.
Ab nächstem Frühjahr wird dieser Prozess in einem offenen Schaulabor stattfinden, um die ideelle Bedeutung des Kunsthandwerks zu erforschen. Dabei wird natürlich auch über die Zukunft der Sammlung nachgedacht.
"Für die Sámen sind diese Objekte wahnsinnig wichtig, weil sie zu ihnen sprechen", findet Tietmeyer. "Ich finde, dass Objekte dort sein sollen, wo sie am wirksamsten sind. Und das sind sie nicht in Berlin, das muss ich mal ganz klar sagen.
Kunstvoll verziertes samisches Messer im Moos, aus Lappland in Schweden.
Das Kunsthandwerk der Sámen überliefert ganze Wissenssysteme rund um das Leben mit der Natur. Sie sind in scheinbar alltägliche Gebrauchsgegenständen eingeschrieben.© picture alliance / Zoonar / Gunar Streu
In den skandinavischen Ländern hat dieser Prozess schon früher begonnen. Bei der letzten Biennale von Venedig haben sámische Künstlerinnen und Künstler ihre Werke im Sámen Pavillon gezeigt.
Eine der Kuratorinnen in Venedig war Liisa-Rávná Finbog. Für sie überliefert das Kunsthandwerk der Sámen ganze Wissenssysteme rund um das Leben mit der Natur. Duodji heißen diese alten Kenntnisse, die in scheinbar alltäglichen Gebrauchsgegenständen eingeschrieben sind. Eine besondere Rolle spielten in der Naturreligion die Trommeln. Wegen ihrer sakralen Bedeutung waren sie lange verboten, für ihren Besitz wurden harte Strafen verhängt.
"Als die Religion der Sámen im 17. Jahrhundert verboten wurde, gab es drei mögliche Strafen. die mildeste war eine Geldstrafe", sagt Finbog. "Wenn man die nicht bezahlen konnte, fand eine öffentliche Auspeitschung statt. Im schlimmsten Fall kam man auf den Scheiterhaufen."

Historische Trommeln in Berlin

Deshalb wurden die Trommeln versteckt oder verkauft. Die sámische Zeitrechnung unterscheidet zwischen der Epoche der Trommeln und der Zeit, als diese schweigen mussten.
Heute besitzen die Sámen selbst kaum mehr historische Trommeln. In der Berliner Sammlung aber befinden sich zwei von ihnen, die aus Respekt nicht mehr ausgestellt werden. Finbog kann sich vorstellen, dass empfindliche Artefakte möglicherweise sogar in den Museen verbleiben.
Sie fordert aber, dass die indigenen Gemeinschaften die Eigentumsrechte erhalten: "Dabei geht es auch um symbolische Macht, denn das bedeutet das Recht, die eigene Kultur definieren zu können."

Die Chancen des Projekts

Das Projekt am Museum für Europäische Kulturen birgt die ungeheure Chance, dass die stummen Artefakte durch die Erzählungen und Erinnerungen der Menschen ihre ursprüngliche Aura zurückgewinnen. Und dann, glaubt Tietmeyer, könnte man sie auch wieder ausstellen.
"Ich fände es fantastisch, wenn wir eine gemeinsame Ausstellung machen mit diesen Objekten, die dann wandert, auch bei uns gezeigt wird", sagt sie. "Denn viele Sámen haben natürlich ein großes Interesse daran, dass ihre Kultur bekannt wird in dem Rest Europas."
Aber sie wollten bestimmen, wie sie bekannt wird. "Ich würde mir nie anmaßen, mit diesen Objekten eine Ausstellung zu machen. Das geht nur kollaborativ."
*Wir haben eine unrichtige Formulierung geändert. Aus Sami wurde Sámen.
Mehr zum Thema