Gesundheitshelferinnen in Sambia

Prekäre Jobs, die Leben retten

23:33 Minuten
Die Gesundheitsassistentin Priscar Mailosi steht in einer Klinik, in blau gekleidet mit dunklem Stirnband im Haar. Im Hintergrund Plakate zur Gesundheitsvorsorge.
Die 28-jährige Priscar Mailosi arbeitet in Sambia als Gesundheitsassistentin. Sie kümmert sich in ihrer Gemeinde um Hygiene, HIV, Corona und andere Präventionsmaßnahmen. © Benjamin Breitegger
Von Benjamin Breitegger · 31.01.2022
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Meist sind es Frauen, die als Gesundheitsassistentinnen lebensnotwendige Vorsorge in ländlichen Regionen Afrikas leisten. Oft sind sie kaum ausgebildet, bekommen wenig oder gar keinen Lohn. In Sambia sollte sich das ändern. Aber es fehlt an Geld.
Der Boden ist trocken. Das Laub raschelt. Kurz vor der Regenzeit geht Priscar Mailosi zu einem Dorf im Süden Sambias. Sie will einen kurzen Hygiene-Check machen. Die 28-Jährige trägt im Haar ein Band mit einer riesigen Schleife.
Die Dorfbewohner erkennen sie schon von weitem. Eine Maisbäuerin läuft ihr lachend entgegen: "Die Gesundheitsassistentinnen erklären uns, dass wir unser Wasser abkochen müssen, sie erklären uns, wie wir unsere Toiletten instandhalten und dass wir Müllgruben brauchen.“
Aliness Siamakoka ist 52 Jahre alt und Mutter von sieben Kindern. Eine Müllgrube hat sie inzwischen gegraben. Aber bei einem anderen Thema, das die Gesundheitsassistentin anspricht, ist die Maisbäuerin nicht so motiviert: Es geht um eine Corona-Impfung.
Das könne doch auch krankmachen, sagt sie. Man höre ja vieles. Etwa, dass man nach zwei Jahren sterbe. Die Gesundheitsassistentin Priscar Mailosi entkräftet die Impfmythen und ermutigt die Bäuerin, sich impfen zu lassen. In der lokalen Gesundheitsklinik lagern gerade Ampullen von „Johnson & Johnson“.

Hilfe für die abgelegenen Dörfer

Als Priscar Mailosi vor fünf Jahren ihre Ausbildung absolvierte, war Corona noch kein Thema. Sie ist eine von heute 3200 Frauen und Männern, die in Sambia als Gesundheitsassistentinnen und -assistenten arbeiten.
Vor allem in abgelegenen Dörfern werden sie eingesetzt. Zum Beispiel in Masuku: drei Stunden Jeepfahrt entfernt von der nächsten geteerten Straße. Auf den Weg dorthin rumpelt man vorbei an Dörfern und Schildern, die abwechselnd auf Grundschulen und Kirchen verweisen.
Die Wände des Hauses sind verdreckt, es sieht von außen heruntergekommen aus. Um das Haus sind Sand und Bäume.
Die Gesundheitsstation des Ortes Masuku in Sambia. Hier leisten Priscar Mailosi und ihre Kolleginnen und Kollegen eine Basisgesundheitsversorgung.© Benjamin Breitegger
Priscar Mailosi kommt aus dieser Gegend. Und hierher ist die Sambierin nach ihrer Ausbildung als Gesundheitsassistentin auch wieder zurückgekehrt. Hier in Masuku gebe es am häufigsten Durchfallerkrankungen, sagt sie:
"Wo es keine Bohrlöcher und Wasserpumpen gibt, trinken die Menschen das Wasser aus Bächen. Also bringen wir ihnen bei, das Wasser zu kochen und sicher aufzubewahren. Wir bringen den Leuten bei, ihre Toiletten sauber zu halten und ihre Hände regelmäßig zu waschen. Und wenn wir auf schwangere Frauen stoßen, erzählen wir ihnen von der Klinik und wie wichtig es ist, frühzeitig mit der Schwangerenfürsorge zu beginnen.“

UN: "Gesundes Leben für alle bis 2030"

Sie will die Denkweisen in den Dörfern verändern und im Gespräch mit den Menschen Krankheitsprävention und Gesundheitsvorsorge leisten. Hier, wo Millionen Menschen weit weg von Städten leben – von Krankenpflegern und Ärztinnen.
„Ich habe mich entschlossen, Gesundheitsassistentin zu werden, weil unsere Gemeinde Leute braucht, die auf die Menschen zugehen und ihnen etwas über Gesundheit beibringen. Es gibt hier Leute, die nichts über Gesundheitsfragen wissen, also brauchen sie jemanden, der zu ihnen geht, damit sie mehr darüber lernen, wie sie gesund leben können.“
Die Community Health Worker bilden weltweit das Rückgrat einer Basis-Gesundheitsversorgung. Ohne sie lässt sich das Entwicklungsziel des „gesunden Lebens für alle“, wie es sich die Vereinten Nationen bis 2030 gesetzt haben, nicht erreichen.

Keine klassischen Berufe nach westlichem Muster

Es gibt nur ein Problem: Ihre Tätigkeit ist wenig anerkannt und oft schlecht bis gar nicht bezahlt, berichtet Expertin Uta Lehmann-Grube:
„Community Health Worker ist ein Begriff für Menschen – meistens sind es Frauen –, die in irgendeiner Form basisnah im Gesundheitsbereich arbeiten. Die aber nicht unter die klassischen Berufe des Gesundheitsbereichs nach westlichem Muster fallen. Das heißt, sie sind weder Ärzte, noch Krankenschwestern, noch Therapeuten verschiedener Art. Meistens, aber durchaus nicht immer, ist es eine Voraussetzung, dass sie in den Dörfern und Gemeinden ansässig sind, in denen sie angestellt sind. Aber darüber hinaus gibt es wenig Gemeinsamkeiten.“
Die gebürtige Deutsche leitet die School of Public Health an der University of the Western Cape in Kapstadt. Seit mehr als 30 Jahren lebt sie in Südafrika, seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sie sich mit kommunalen Gesundheitssystemen in Ländern des globalen Südens. Die bauen meist auf Frauen, die sich in der Nachbarschaft engagieren, wobei es oft keinen Standard in der Ausbildung gibt, erklärt Lehmann-Grube:
„In den letzten Jahrzehnten haben wir Menschen als Community Health Workers klassifiziert, die zum Beispiel eine Woche in einer eng begrenzten Tätigkeit ausgebildet werden, um dann zum Beispiel eine Impfkampagne zu unterstützen. Aber dann klassifizieren wir auch Fachkräfte als Community Health Workers, die eine ein- bis zum Teil dreijährige formelle und akkreditierte Ausbildung an einer Fachhochschule erworben haben. Vollkommen unvergleichbar, was Ausbildung angeht, was Verantwortung und Rolle im Gesundheitssystem angeht. Und trotzdem scheren wir sie konzeptuell alle über einen Kamm.“

"Frauen sollen die Arbeit ehrenamtlich erledigen"

Und das führe zu Verwirrung in der globalen Diskussion über Gesundheitsassistentinnen. Sie besitzen nicht den Status von Krankenschwestern, werden oft als Notlösung gesehen:
„Wenn die Krankenschwestern und Ärzte weglaufen, dann wird eben auf Community Health Workers zurückgegriffen. Aber kurzfristig. Es wird nicht geplant, die werden nicht vernünftig ausgebildet, oft nur ein paar Wochen, sie werden nicht unterstützt in ihrer Arbeit, es gibt sehr wenig Fortbildung. Und Bezahlung ist, wo sie besteht, oft sehr unzuverlässig.“

Nicht selten wird vor allem von Frauen erwartet, dass sie die Arbeit ehrenamtlich erledigen.
Glaubt man den Zahlen der „Community Health Impact Coalition“, einem Experten-Netzwerk, werden nur 14 Prozent aller Gesundheitshelfer und -helferinnen in Afrika bezahlt. Das führe dazu, dass die Arbeit schlecht erledigt werde, sagt Uta Lehmann-Grube. Und dass Community Health Workers irgendwann den Job wechseln, wenn sich die Möglichkeit bietet, obwohl sie so wichtig sind.
„Und dann heißt es: Da sieht man es mal wieder, Community Health Workers sind keine Lösung fürs Gesundheitssystem. Aber es wird an sich nicht die Mühe gemacht, wirklich zu investieren.“

Sambia professionalisierte die Ausbildung

Sambia will das anders machen: Das Land, das bei nur 19 Millionen Einwohnern etwa doppelt so groß ist wie Deutschland, hat vor rund zehn Jahren eine neue Strategie angekündigt: Die Regierung rekrutiert Einheimische, bildet sie ein Jahr professionell aus – und schickt sie für umgerechnet 200 Euro Monatslohn zurück in ihre Gemeinden.
Als Vorbild diente unter anderem Äthiopien: Der 110-Millionen-Einwohner-Staat hat in den späten Nullerjahren unter dem damaligen Gesundheitsminister und heutigen WHO-Chef, Tedros Ghebreyesus, Zehntausende Gesundheitshelferinnen und -helfer ausgebildet und im ganzen Land verteilt und so das Gesundheitssystem in den ländlichen Regionen massiv gestärkt. Der Krieg jetzt in Äthiopien gefährdet diese Fortschritte.

Vier Ausbildungsstätten im ganzen Land

Und Sambia? Wie erfolgreich ist hier das Ausbildungsprogramm? Der Anthropologe Joseph Zulu ist wohl der führende Experte für kommunale Gesundheitsversorgung im Land, hat seine Doktorarbeit zum Thema geschrieben. Er ist bestens vernetzt und arbeitet in der Hauptstadt Lusaka an der Universität Sambia: „Die Unterstützung für das Programm der Gesundheitsassistenten war während der Entwicklung sehr groß und das ist heute, wo das Programm umgesetzt wird, im Wesentlichen immer noch so.“
In vier Schulen landesweit lernen die Auszubildenden neben Erster Hilfe auch, wie sie auf HIV testen. Sie lernen die Anwendung von Verhütungsmitteln, Schmerz- oder Entwurmungsmitteln. Oder wie sie die Menschen über sauberes Wasser, Impfungen oder Malaria aufklären. Nach einem Jahr Ausbildung geht es zurück in ihre Heimat, wo sie die Menschen kennen und die lokale Sprache sprechen.

Erfolgreich, aber schlecht finanziert

Joseph Zulu sagt, er habe vor kurzem eine Evaluierung des Regierungsprogramms abgeschlossen: Es sei erfolgreich.
„Wo Gesundheitsassistenten und -assistentinnen schon länger gearbeitet haben, sieht man, dass die Mütter- und Kindergesundheit klar besser ist als in anderen Gegenden, wo die Gesundheitshelferinnen erst seit kurzem da sind. Das war eindeutig. Mit Corona wurden die Zahlen dann schlechter, weil die Gesundheitsassistenten und -assistentinnen nicht mehr in die Communitys gingen. Das zeigt, wie wichtig ihre Arbeit vor Ort ist.“
Die große Herausforderung bleibt jedoch die nachhaltige Finanzierung. Längst nicht alle Gesundheitsassistenten und -assistentinnen, die eine staatliche Ausbildung erhalten, werden danach angestellt. Viele arbeiten trotzdem ehrenamtlich, mit dem Versprechen, später bezahlt zu werden.
Aber dem Staat fehle es an Geld, erklärt Naomi Lubala Munchini. Sie ist die Programmkoordinatorin im sambischen Gesundheitsministerium. Sie sagt: Gut 1350 Angestellte kann der Staat derzeit zahlen, die Organisation Global Fund übernimmt die Gehälter von rund 300 weiteren.

Die Hälfte arbeitet ohne Gehalt

Das heißt: Die Hälfte der Gesundheitsassistenten und -assistentinnen wird derzeit bezahlt. Die andere Hälfte macht denselben Job ohne Lohn, oft seit Jahren.
„Die Regierung schätzt das Programm sehr. Wissen Sie, Regierungen haben gewechselt, aber glücklicherweise haben sich alle für den Erhalt der kommunalen Gesundheitsversorgung eingesetzt", sagt Naomi Lubala Munchini. "Und wir können heute nicht über kommunale Gesundheitsversorgung reden, ohne über die Gesundheitsassistenten und -assistentinnen zu reden.“
Nur gebe es eben nicht genug Geld: „In der jüngeren Vergangenheit gab es verschiedene Partner, die das Programm unterstützt haben, aber diese Projekte sind eingestellt worden. Wir versuchen, andere Möglichkeiten zu finden, um sicherzustellen, dass all diejenigen, die nicht auf der Gehaltsliste stehen, auf die Gehaltsliste kommen, entweder auf die der Regierung oder auf die von Partnern.“

Unterwegs mit dem Rad oder zu Fuß

Zurück in der Gesundheitsstation in Masuku. Priscar Mailosi war eine derjenigen, die lange ehrenamtlich gearbeitet haben. Seit Mai erhält sie nun einen regelmäßigen Monatslohn.
Wenn die 28-Jährige nicht unterwegs ist, arbeitet sie in der Gesundheitsstation von Masuku: Sie führt durch die Ambulanz, einen Kreißsaal und die Apotheke. Spritzen lagern dort, Paracetamol, Verhütungsmittel und Tabletten für die Therapie von HIV-Patienten. Auf Tischen liegen Malaria-Schnelltests und Antibiotika gegen Atemwegsinfektionen.
Priscar Mailosi läuft auf einem schmalen Sandweg hinter einem Mann durch eine Savannen-Landschaft. Vorbei an einem Baum.
Gesundheitsassistentin Priscar Mailosi muss ihr Rad manchmal stehen lassen, um in entlegene Dörfer im Süden Sambias zu kommen.© Benjamin Breitegger
Priscar Mailosi sagt, sie arbeite die ganze Woche, oft auch am Wochenende: „Am Montagvormittag bin ich hier in der Klinik, am Nachmittag dann unterwegs in den Dörfern. Dienstag ist es hektisch in der Klinik, da helfe ich aus. Am Mittwoch kümmern wir uns um Schwangerenfürsorge und ich kümmere mich um diejenigen, die in der Klinik vorbeischauen. Am Donnerstag und Freitag bin ich unterwegs. Wir schauen etwa nach den Kindern unter fünf Jahren und nach schwangeren Frauen, die nicht in die Klinik kommen können, weil sie sehr weit weg wohnen.“
Von der Regierung hat sie einen blauen Arbeitskittel bekommen und ein großes Registerbuch, in das sie Patientenbesuche einträgt. Außerdem ein Fahrrad, damit sie weiter entfernte Gebiete schneller erreicht. Manchmal müsse sie das aber auch stehen lassen, wenn die Wege schlechter werden.

Leere Staatskassen, hohe Schulden

Als sie noch keinen Lohn bekam, parkte ihr Fahrrad meist im Hinterhof der Klinik. Die Kette war gerissen, und Priscar Mailosi konnte sich die Reparatur nicht leisten.
Jetzt erhält die Mutter einer Tochter ein Gehalt, aber auch ihr derzeitiger Vertrag ist zeitlich befristet. Naomi Lubala Munchini vom Gesundheitsministerium versichert, man arbeite daran, mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Gehaltsliste zu setzen. Aber das Problem gebe es auch bei anderen Berufen, bei Ärzten oder Krankenschwestern.
Sambia ist hoch verschuldet. Die neue Regierung hat angekündigt, mehr als 11.000 Kräfte im Gesundheitssektor anzustellen, viele machen ihre Jobs bislang ohne Bezahlung.
An Basis-Gesundheitsprogrammen haben sich bereits viele afrikanische Länder versucht. Zu oft scheiterten sie, aus unterschiedlichen Gründen.

Widerstand von Berufsverbänden

Oft fehle es einfach am politischen Willen, sagt die Sozialwissenschaftlerin Uta Lehmann-Grube aus Südafrika. Vielleicht sei das Thema auch nicht „sexy“ genug:
„Wenn man ein Krankenhaus baut, dann kann man richtig schön was herzeigen. Community-Health-Programs müssen sorgfältig aufgebaut werden. Es braucht einen ziemlich langen Atem. Ich weiß zum Beispiel: Für manche der großen Geldgeber in diesem Bereich ist es unattraktiv, weil der Zusammenhang zwischen Erfolgen und der Rolle von Community Health Worker quantitativ nicht gut genug gemessen werden kann. Insofern ist es uninteressant für Geldgeber.“
Dazu komme auch Widerstand von Berufsverbänden. Krankenpfleger und -pflegerinnen etwa würden sich oft wehren, dass Community Health Worker mehr Aufgaben übertragen bekämen. In Sambia war das anfangs auch ein Problem, berichtet Experte Joseph Zulu, doch man habe das überwunden.
Der Staat verfolgt weiter das ursprüngliche Ziel von 5000 ausgebildeten Gesundheitsassistenten und –assistentinnen. Geht es nach Zulu, sollen es noch mehr werden. Sambia könne dann als Vorbild für Afrika dienen.

Die Recherche wurde vom European Journalism Center über sein „Global Health Journalism Grant Program for Germany“ gefördert.

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