Samba ohne Federn

Von Daniel Stender · 09.09.2008
Das Tanztheater der 38-jährigen Choreografin Constanza Macras kennt keine Hemmungen. In wilder Kollage werden Genres und Gefühlslagen gemischt: Hochkultur und Werbung, Trauer und Pornografie. Einige Kritiker loben ihren Mut, andere erklären ihre Arbeit zu künstlerischem Müll und haben der 38-jährigen den Titel einer "Königin des Trash-Tanz-Theaters" verliehen.
Federkrone, nackte Haut und der eingängige Sambarhythmus: Die Tänzerin scheint ein wandelndes Klischee des brasilianischen Karnevals zu sein. Doch plötzlich gerät sie ins Stocken. Wie bei einem Vogel in der Mauser fallen ihre Federn aus und sie beginnt ein trauriges Lied zu singen. Auf deutsch.

"Die Leute denken an Brasilien und sie denken an eine Sambatänzerin mit Federn, die immer nur 'Uh!' macht. Für mich bedeutet dieses Lied den Tod der Sambatänzerin, den Tod des Klischees von Tropen und Brasilien."

Die Königin des avantgardistischen Trash-Tanz-Theaters sieht weder nach Avantgarde noch nach Adel aus. Im Gegenteil: Constanza Macras wirkt müde. Schließlich ist sie im achten Monat schwanger. Sie trägt ein schwarz-weißes Umstandskleid mit Kapuzenjacke. Mitten im kinderreichen Viertel Prenzlauer Berg fällt die junge Frau mit den braunen Haaren und den nachdenklichen Augen nicht sonderlich auf. Wenn die 38-jährige spricht, offenbart sie etwas von der Energie, die in ihr steckt:

"Die Leute nennen mich die Trash-Königin. Und sie werden das liebend gern wieder tun: 'Oh, die Trash-Königin!' Aber das bin ich nicht. Im Leben gibt es eben viel Trash, also Schrott. Und den benutze ich für meine Arbeit. Das alltägliche Leben ist voller Schrott, es ist nicht niedlich und sauber und es läuft nur klassische Musik. So nennt man mich immer nur in Deutschland. Dahinter steht eine sehr strenge Art, Kunst wahrzunehmen: Wenn es keine saubere Ästhetik hat, dann ist es eben Schrott. Ich finde, so vermeidet man nur die intellektuelle Auseinandersetzung."

Im neuen Stück "Trostloses Pflaster" geht es um die Avenida Paulista. Eine der Hauptverkehrstraßen von Sao Paolo, die zwei Viertel trennt: Paraiso und Consolacao. Paradies und Trost. In Sao Paolo sagt man, die Avenida Paulista sei wie die Liebe: Sie beginnt im Paradies und endet im Trost.

"Paulista ist die Hauptstraße, Es gibt diese zwei Stationen Paradies und Trost, alle machen immer Wortspiele mit diesen Namen. Aber Paradies ist ärmer als Trost und ganz dicht an Trost ist ein Stadtteil, der heißt Hygienopolis, also: Stadt der Hygiene. Früher lebte dort die intellektuelle Mittelklasse, und die Gebäude haben Namen wie Baudelaire, Chopin, Verlaine..."

Den Alltag Sao Paolos hat Constanza Macras genau studiert und in Tanz verwandelt. In nachdenkliche Momente. Aber vor allem in wütende und ungestüme Bewegungen. Ihre Tänzer tragen Knie- und Ellbogenschoner, damit sie sich beim Fallen nicht verletzen. Das Stück ist eine Kollage: brasilianischer Funk trifft auf Werbung für Anti-Cellulitis-Produkte.

Die Erinnerung ist fragil, sagt Macras. Das, was bleibt, ist der Schrott, der irgendwann angeschafft wurde. Also: Die leere Packung eines Schönheitsprodukts und nicht die Schönheit, die bewahrt werden sollte.

"Wir sammeln Dinge, die voll geladen sind mit Vergangenheit, aber die nichts mehr mit der Gegenwart zu tun haben. Wir sammeln Briefe von unseren Ex-Geliebten. Jede Person sammelt irgendetwas - das ist auch irgendwie Schrott. Denn, wenn Du stirbst, dann kümmert sich niemand darum. Es ist bedeutungslos, bis auf die Bedeutung, die Du dieser Sache verleihst."

Constanza Macras kam in Buenos Aires zur Welt. Schon ihre Mutter wollte Tänzerin werden. Aber damals wurden die Töchter der wohlhabenden Familien Argentiniens nicht einfach Tänzerin. Insofern, sagt Macras heute, habe sie den Wunsch ihrer Mutter erfüllt. Allerdings hatte sie wohl eher klassisches Ballett im Sinn und nicht die schrille Performance der Tochter.

Die Tanzgruppe Dorky Park, mit der Constanza Macras die meisten ihrer Projekte realisiert, ist ein Ensemble aus Nord- und Südamerikanern, Europäern, Israelis, und Australiern. Berlin ist für sie eine Art Ausgangsbasis, von der sie in die ganze Welt reisen. 1995 zog Macras hierher. Inzwischen ist die Stadt fast eine Art Heimat geworden - schließlich hat sie seit damals auch die Veränderung Berlins erlebt.

"Die Stadt veränderte sich damals sehr stark. Da war der Kontrast zwischen Ost und West. Es gab noch Einschusslöcher vom Krieg in den Häusern. Der Potsdamer Platz war voller Baukräne. Das war sehr romantisch, man wusste nicht, wie es in fünf Jahren aussehen wird. Heute bin ich enttäuscht, es ist alles ziemlich standardisiert. Andererseits ist es ein guter Ort zum Leben - auch wenn die Leute nicht immer wirklich nett sind, aber naja."

Constanza Macras lebt schnell - das neue Stück hat sie in sieben Wochen einstudiert. Erst vor kurzem ist sie aus Brasilien zurückgekehrt. Zur Zeit werden sieben ihrer Stücke aufgeführt. In Spanien, Belgien und Deutschland. Sie arbeitet mit ungefähr 50 Mitarbeitern zusammen. Nach der Geburt will sie etwas entspannen: Aber nach fünf Wochen Mutterpause geht es weiter. Etwas langsamer natürlich. Tanzen soll ihr eigenes Kind nur, wenn es das will. Aber meistens kommt es ja anders, sagt sie: Sind die Eltern Künstler, werden die Kinder Juristen.