Salz im Brot: Eine Branche sieht rot

Von Udo Pollmer · 22.02.2009
Die EU will dem Salz an den Kragen: Eine Verordnung soll besonders niedrige Grenzwerte für den Nährstoff im Brot festlegen. Die Bäcker befürchten. keine gute Ware mehr anbieten zu können, weil die Teige schmierig werden.
Anlass: Unsere Bäcker sehen rot: Eine geplante EU-Verordnung, die zum Ziel hat, für besseres Brot zu sorgen, bringt sie auf die Barrikaden. Zu diesem Zweck ersann sie einen reichlich niedrigen Grenzwert für Salz. Brot, das diesen Wert überschreitet, darf nicht mehr als "gesund" bezeichnet werden.

Dagegen ist doch nichts einzuwenden? Brot und Backwaren tragen bekanntlich erheblich zur Salzversorgung der Bevölkerung bei. Zunächst: Der Grenzwert ist so niedrig angesetzt, dass es backtechnisch nicht mehr möglich ist, gutes Brot zu backen. Brot und Brötchen sind dann gut, sind dann bekömmlich, wenn die Teige lange fermentiert wurden. Die Fermentation zersetzt unerwünschte Abwehrstoffe des Getreides. Deshalb vertragen Menschen mit Weizenallergie oder der Darmkrankheit Zöliakie so manches Mal korrekt hergestellte Ware. Die lange Führung ist das Geheimnis einer guten Bäckerei. Wird nur wenig Salz eingesetzt, so wie es die Gesundheitsexperten der EU für richtig befinden, dann werden die Teige schmierig und fallen in sich zusammen. Den meisten Bäckern macht das allerdings nichts, weil sie die Fermentation durch Backmittel ersetzt beziehungsweise verkürzt haben.

Aber die meisten Bäcker arbeiten doch mit Backmitteln, warum regen die sich dann auf? Weil es auch andere Produkte wie Brezeln trifft. Sie werden nicht nur mit Salz bestreut sondern in Natronlauge getaucht - daher der Name Laugengebäck. Durch die Natronlauge kommt natürlich Natrium ins Produkt und daran wird der Salzgehalt analytisch festgemacht. Da gibt es Grenzwerte für den Natriumgehalt pro 100 Gramm. Das hat zur Folge, dass Knäckebrot immer über der Grenze liegt, weil es kaum Wasser enthält. Der Natriumgehalt hängt davon ab, wie lange die Gebäcke im Ofen waren. Der Bäcker wird dann halt halbrohe, feuchte statt rösche Backwaren verkaufen.

In Italien oder Spanien protestiert niemand. Da geht’s doch auch? Die haben ganz andere Backwaren. Dort gibt es kein Roggenmischbrot sondern nur fades Weißbrot. Die nehmen das hellste Weißmehl, da es nur wenig Abwehrstoffe enthält und arbeiten mit schnellen Führungen. Das Salz holen sich die Menschen trotzdem über das Brot: Zum Beispiel über die salzigen Soßen, die mit dem Brot aufgetunkt werden. In vielen Ländern ist die Butter gesalzen. Dazu kommen allerlei salzige Häppchen wie Oliven. Die Salzzufuhr vermittels Brot ist deshalb dort die Gleiche wie bei uns. Das sind doch alles Nullsummenspiele!

Und Frankreich das Baguette? Das lebt von den gleichen Salzgehalten wie unsere Brötchen, denn ohne lange Führungen kriegt man kein gutes Baguette hin.

Wäre es nicht besser wir würden weniger Salz essen? Ein ganz klares Nein. Wir haben bis heute viele Theorien, warum weniger Salz gesund sein sollte, allein es mangelt an soliden Belegen. Im Gegenteil, die sogenannten Hyponaträmien nehmen zu, weil die Menschen bewusst salzarm ernährt werden. Bei Erwachsenen kommt es dadurch zu Verwirrtheitszuständen, Kinder erleiden Krämpfe. Wird dann nicht Salz gegeben, tritt der Tod durch Lungen- oder Hirnödem ein. Der ärztlichen Literatur ist zu entnehmen, dass diese Fälle erkennbar auch durch die Aufklärung verursacht werden.

Woher kommt dann die altbekannte Forderung nach weniger Salz? Ein Blick in die ältere Literatur zeigt, woher der Wind weht: Da lesen wir beispielsweise bei dem berühmten Schweizer Ernährungsmediziner Bircher-Benner in seinem Buch "Ernährungskrankheiten" im Untertitel die bösen drei Worte: "Alkohol, Kochsalz, Tabak". Der Weg seiner Erkenntnis ging den aller Calvinisten in der damaligen Zeit: Er fand heraus, dass manche Menschen lieber auf den Tabak als auf das Salz verzichten. Damit war Salz als Teufelswerk, als heimtückische Droge entlarvt. Der Grund für unseren Hang zum Salz allerdings ist viel simpler: Salz ist unverzichtbar. Deshalb ziehen sich jahrtausendealte Salzstraßen durch die Kontinente dieser Erde.

Und warum wird es dann heute noch propagiert? Eine Antwort lieferte vor einigen Jahren Professor Stumpe von der Uniklinik in Bonn. Seiner Grundlagenforschung ist es zu verdanken, dass wir die Zusammenhänge zwischen Salz und Blutdruck endlich verstehen. In einer seiner experimentellen Studien am Menschen kann man die Folgen einer salzarmen Diät nachlesen: Der Cholesterinspiegel steigt, insbesondere das unerwünschte LDL, die Insulinwerte steigen und der Harnsäurespiegel geht auch nach oben. Ein solches Geschäft will man sich offenbar nicht entgehen lassen.

Literatur:
European Commission, Health and Consumers Directorate-General: Working document on the setting of nutrient profiles. Brussels, 22. Oct. 2008
Di Cagno R et al: Sourdough bread made from wheat and nontoxic flours and started with selected Lactobacilli is tolerated in celiac sprue patients. Applied & Environmental Microbiology 2004; 70: 1088–1096
Böttner A et al: Schwere Hyponaträmie mit Krampfanfall als Folge oraler Wasserintoxikation beim Säugling. Kinder- und Jugendmedizin 2003; 3: 127-131
Ruppert M et al: Short-term dietary sodium restriction increases serum lipids and insulin in salt-sensitive and salt-resistant normotensive adults. Klinische Wochenschrift 1991; 69 (Suppl): 51-57
Bircher-Benner M: Ernährungskrankheiten. Zweiter Teil: Die neue Aera der Ernährungsforschung – Alkohol, Kochsalz, Tabak – Die "trächtige" Gesundheit. Wendepunkt, Zürich ohne Jahr.