Salon Sophie Charlotte über "Weltbilder"

Koloniale Grenzüberschreitungen

04:42 Minuten
Französische Karikatur auf der Bismarck Afrika als Kuchen verteilt. Holzstich. Aus: L’Illustration, 1885.
Karikatur aus dem Jahr 1885: Auf der Kongo-Konferenz wurden Grenzziehungen quer durch Ethnien, Kulturen und Stammesgebiete beschlossen. © akg-images
Von Constantin Hühn  · 26.01.2020
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Im 19. Jahrhundert haben Europäer weite Teile Afrikas unter sich aufgeteilt. Territoriale, kulturelle und ethische Grenzen wurden dabei überschritten – mit teils missionarischem Eifer. Und mit schmerzlichen Auswirkungen bis in die Gegenwart.
Wie verändern sich Grenzen zu Beginn der Moderne? Und wie prägt das heute noch unsere Gegenwart? Diese Fragen rund um "fluide Grenzen" standen im Mittelpunkt einer Diskussion im Rahmen des Salon Sophie Charlotte unter dem Titel "Weltbilder", den die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften jährlich ausrichtet.
"Und dann wurde mir klar, dass dieses Thema nicht nur der Grenze, sondern auch der Abschaffung oder der Definition von Grenzen alltäglich ist in dieser Zeit", so formuliert Bénédicte Savoy, Kunsthistorikerin und Akademie-Mitglied, den Ausgangspunkt der Diskussion: In der Zeit um 1800 werden in verschiedensten Bereichen Grenzen verschoben, verflüssigt und neu gezogen.

Die Aufklärung überschreitet alte Grenzen

Wissenschaftliche und technische Innovationen kommen in Gang, die Ideen der Aufklärung werfen alte Gewissheiten über den Haufen, die Französische Revolution stellt traditionelle Hierarchien in Frage und macht soziale Grenzen durchlässiger. "Also zum Beispiel die Tatsache, dass plötzlich Leute unter 30 an die Macht kommen konnten, oder die enorme Beschleunigung der Lebenswege, Karrieren, auch der Mobilität in Europa."
Zugleich erzeugen neue Methoden des Messens und Sammelns eine Flut an Daten, die zwar neue Erkenntnisse ermöglichen, aber zugleich klare Grenzziehungen erschweren, wie die Kulturwissenschaftlerin Gloria Meynen erläutert. "Wie kann man aus diesem ungeheuren Berg an Daten – und vor allem aus einer simplen Erfahrung des Messalltags, dass man keine Messung wiederholen kann – die differieren immer geringfügig –, wie kann man sozusagen aus dieser Fluidität der Daten eine Aussage, ein Argument, eine Theorie entwerfen?"

Nach innen freiheitlich, nach außen herrschaftlich

Im Mittelpunkt stehen an diesem Abend aber die politischen und kulturellen Grenzen, die in der Folge der Französischen Revolution überschritten, verschoben und neu gezogen werden: Denn unter Napoleon führt das nach-revolutionäre Frankreich nicht nur Angriffskriege gegen seine europäischen Nachbarn, sondern verstärkt auch seine kolonialen Bemühungen, nicht zuletzt mit Napoleons berühmtem Ägypten-Feldzug.
"Frankreich ist natürlich die große Nation, die mit der Revolution im Grunde versucht, sich zu universalisieren und damit erst mal alle Grenzen in Europa sprengt", erläutert der Romanist Markus Messling. Die treibende Kraft hinter dieser gewaltsamen Grenzüberschreitung ist neben machtpolitischen Interessen auch eine zentrale Idee der Aufklärung, nämlich der Universalismus: Die postulierten Werte – etwa bestimmte Vorstellungen von Vernunft, Eigentum und Freiheit – sollen allgemein und überall gelten.
Aus diesem Gedanken entwickelt sich ein missionarischer Eifer, der die Werte der Grande Nation mit Waffengewalt zu exportieren versucht: "Also Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in die Welt trägt, aber natürlich imperial, sofort, das heißt, durch Unterwerfung."

Gewalttätige Grenzen – quer durch Kulturen und Ethnien

Überschritten werden dabei nicht nur territoriale Grenzen, sondern auch kulturelle und ethische Grenzen, so Savoy: "Bis dahin kann man die Kunst in Ägypten untersuchen, indem man sie vor Ort beschreibt und das haben Reisende gemacht. Und ab 1800, mit der Französischen Revolution, mit dem Universalismus, mit der Vorstellung, dass Kunst als Produkt der Freiheit ins Land der Freiheit zurückgebracht werden muss – also nach Frankreich –, kommt die Idee zustande, dass man die intellektuelle Aneignung koppeln muss an materielle Aneignung. Das ist eine Grenzüberschreitung, was die Würde der Anderen angeht."
Bénédicte Savoy posiert am 21.3.2018 in Paris für eine Porträtaufnahme
Die intellektuelle Aneignung wurde an materielle Aneignung gekoppelt, erläutert Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy.© AFP / Alain Jocard
Die Kolonisierung hat aber nicht nur Grenzen überschritten, sondern auch neue gezogen: Am Ende des 19. Jahrhunderts teilen die europäischen Kolonialmächte mit der Berliner "Kongo-Konferenz" den afrikanischen Kontinent durch willkürliche Grenzziehungen unter sich auf – quer durch Ethnien, Kulturen, Stammesgebiete.

"Wenn Sie nach Afrika reisen, ist Berlin sehr präsent"

Wie schmerzlich dieser äußere Eingriff dort noch heute im Bewusstsein ist, macht Savoy mit einer Anekdote klar: Bei Gesprächen über die mögliche Rückgabe afrikanischer Kulturgüter habe sie von dortigen Kollegen immer wieder gehört, mit der Rückgabe werde "Berlin abgeschafft". Savoy war verblüfft, bis sie verstand: Berlin steht für die Grenzziehungen der "Kongo-Konferenz".
"Und wenn bestimmte Kulturgüter zurückkommen, zum Beispiel aus der Gegend des Flusses Niger – das sind kulturelle Entwicklungen entlang des Flusses und diese Region ist aber vertikal geteilt durch willkürliche Grenzen, die aus Berlin kommen. Und sie sagen, wenn diese Objekte zurückkommen, werden wir sie anders zirkulieren lassen und zwar jenseits dieser willkürlichen Grenzen. Und damit fluidifizieren wir willkürliche Grenzen. Wenn Sie nach Afrika reisen, ist Berlin sehr präsent."
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