Salman Rushdie: Frauen sind in Indien nicht unterwürfig
Wenn im neuen Roman Salman Rushdies starke indische Frauen wichtige Rollen spielen, dann ist dies nicht reine Fiktion. In Indien entsprächen nur wenige Frauen dem Stereotyp der unterwürfigen Frau, sagte der Schriftsteller im Deutschlandradio Kultur. In Rushdies neuem Werk, "Shalimar der Narr", ist eine der zentralen Figuren die selbstbewusste Tänzerin Boonyi.
Dieter Kassel: "Shalima, der Narr", der Titelheld in Salman Rushdies neuem Roman, wächst friedlich in einem Dorf in seinem Heimatland Kaschmir auf, heiratet als Moslem schon in sehr jungem Alter ein Hindu-Mädchen und wird dann, einige Jahre später, zum islamistischen Terroristen und zum Mörder. Am Ende seiner Geschichte und am Anfang dieses Romans bringt er mitten in Los Angeles einen 80-jährigen Mann um, den ehemaligen US-Botschafter in London.
Ich habe mit Salman Rushdie gesprochen und zunächst festgestellt, dass es natürlich um Terrorismus geht in dem Buch, um die Geschichte Kaschmirs und um einen amerikanischen Botschafter, der aus dem Elsass stammt und einst Widerstandskämpfer im besetzten Frankreich war, dass es aber eigentlich um eine Liebesgeschichte und ihren tragischen Ausgang geht. Und ich habe Salman Rushdie gefragt, ob der Roman auch in seinen Augen tatsächlich im Wesentlichen eine Liebesgeschichte ist.
Rushdie: Ich stimmte Ihnen zu. Ich glaube, Sie haben da wirklich den Kern dieses Buches getroffen. Es ist sicherlich eine Tragödie, eine Tragödie, die erzählt, wie etwas zerstört wird, was sich dann nicht mehr reparieren lässt, und über die Folgen, die daraus entstehen. Und angesichts dieser großen Leinwand, die ich da aufspanne, mit dem Kaschmirkonflikt, mit den USA, sogar mit dem Zweiten Weltkrieg, geht es doch im Wesentlichen um vier Leute, diese vier Hauptgestalten.
Zunächst zu nennen ist hier Max, der Botschafter und sein Eingreifen, nicht jetzt in die Beziehung zwischen den Nationen, zwischen Indien und USA, sondern sein Eingriff in diese Ehe, und die vierte Gestalt, die außereheliche Tochter, die aus dieser Beziehung erwächst. Beim Schreiben habe ich mir gedacht, ich werde darauf aufpassen, was diese vier Hauptgestalten von mir wollen. Und sie werden mich ungefähr durch dieses Labyrinth hindurchführen.
Insofern ist es also ein sehr intimes Buch, ein Buch, das ins Innerste dieser Gestalten hineinschaut. Diese vier Menschen, die unzufrieden sind mit dem, was ihnen das Leben bietet und die Antworten suchen. Das Traurige daran ist, dass diese Antworten, die sie finden, einfach nicht funktionieren.
Kassel: Sie haben es erwähnt, es gibt vier Hauptpersonen in Ihrem Buch. Es geht nicht nur um Shalimar. Es gibt Männer, es gibt Frauen. Und die Frauen, das ist mein Eindruck, sind die stärkeren, kommen besser mit dem Leben zurecht, können aufgrund ihrer Stärke vielleicht sogar auch nachgeben, Kompromisse schließen. Und die Männer haben damit Schwierigkeiten, haben manchmal sogar Angst vor diesen Frauen. Ist das auch im wahren Leben oft der Grund für Gewalt?
Rushdie: Ich glaube, alle Männer haben irgendwie Angst vor starken Frauen. Aber Sie haben Recht, das ist tatsächlich auch ein Grundzug in all meinen Büchern, dass die Frauen sehr stark dastehen. Einer der Gründe dafür dürfte wohl sein, dass ich tatsächlich in einer stark weiblich geprägten Umgebung aufgewachsen bin. Ich war umgeben von starken Frauen. Es gab eine echte Knappheit an Knaben in meiner Familie. Ich habe drei Schwestern und keine Brüder.
Die Frauen, denen ich begegnet bin, waren alle sehr selbstbewusst, auftrumpfend und eben mächtig. Insbesondere gilt das für meine Großmutter, der das Buch ja gewidmet ist. Sie schwebte mir wohl irgendwie vor, als ich das Buch schrieb. Und sie ist sozusagen in die Charaktereigenschaften dieser Frauen hineingewandert.
Übrigens kenne ich wenige indische Frauen, die dem gängigen Stereotyp entsprechen, wonach die indische Frau selbstverleugnend sei, sich anpasse und eigentlich gar nicht so richtig vorhanden sei. Nein, die Frauen, die ich kenne, sind das Gegenteil, sind stark und selbstbewusst.
In der Hindu-Weltentstehungslehre vertreten die männlichen Götter immer abstrakte Prinzipien, während die weiblichen Gottheiten das Werden vertreten und die Dinge in Gang bringen. Sie sind es, die tätig sind, während die Männer mehr oder minder das Sein verkörpern. Und ich glaube, das steckt irgendwie auch im Kern der indischen Kultur, das Männliche als das Repräsentative, das einfach nur da ist, während das Weibliche das Werden, das Entstehen und die Geschichte verkörpert.
Dieses Kräftespiel ist ganz stark den weiblichen Figuren anvertraut. Und so gilt es auch für dieses Buch. Die eigentliche Triebkraft hinter der Handlung ist doch wohl die Entscheidung der Frau des Shalimar, ihr Leben zu ändern. Hätte sie diese Entscheidung nicht getroffen, so wäre eigentlich die Handlung des Romans gar nicht in Gang gekommen. Ohne sie - keine Geschichte.
Und das geschieht auch oft in meinen Büchern so. Nehmen Sie nur zum Beispiel den anderen Roman, "Charme und Schande", der im Wesentlichen ja das Treiben der pakistanischen Diktatoren beschreibt. Aber im Wesentlichen wird auch dort die Handlung nicht durch die männlichen Vertreter, durch die Diktatoren in Gang gebracht, sondern durch die weiblichen Gestalten, die sie umgeben.
Kassel: Wenn ich Ihre Antworten bisher in einem Punkt ein bisschen zusammenfasse, und wenn wir dabei bleiben, dass Menschen Terroristen werden, Shalimar passiert das, dass Menschen Terroristen werden, ganz stark aus sehr persönlichen Gründen, aufgrund ihres Schicksals, vielleicht sogar gelegentlich, weil sie Angst haben vor Frauen, bedeutet das nicht logischerweise auch, dass es nie ein Ende des Terrorismus geben wird? Weil man kann ja nun tragische Lieben nicht einfach abschaffen.
Rushdie: Tja, genau weiß ich das natürlich nicht. Ein Ende der Gewalt? Ich denke, die menschliche Geschichte ist von Gewalt durchzogen, und wir können nicht sagen, es wird das Ende der Gewalt geben. Was aber jetzt insbesondere Kaschmir angeht, so ist zu sagen, dass die Wurzeln der Gewalt dort häufig ganz alltägliche, banale Dinge sind. Oftmals schließen sich junge Leute dem Dschihad an, weil sie Geld brauchen. Gerade jetzt wurde wieder berichtet in den jüngsten Tagen eine sehr merkwürdige Nachricht, dass Dschihadisten junge Hindumänner angeworben haben, weil diese jungen Männer einfach irgendwie das Geld brauchen.
Also, was dort im Kaschmirteil geschieht, ist sehr erstaunlich, dass Nicht-Moslems sich dem heiligen Krieg anschließen, einfach weil sie Geld brauchen. Ich habe das auch in meinem anderen erwähnten Roman "Charme und Schande" ja ausgeführt, ein Vorwalten dieser Kultur der Ehre und Schande.
Wenn man in einer solchen Kultur lebt, wo Ehre beziehungsweise Ehrlosigkeit so stark werden, dann wird man durch diese Grundprinzipien angetrieben. Ganz sicher gilt das für Shalimar, den Clown, der ja aufgrund von verlorener Ehre diese Schritte ergreift.
Ja, ob wir etwas über die fernste Zukunft sagen können, ob man sagen kann, niemals wird Gewalt aufhören, schwer. Niemals ist ja eine unendlich lange Zeit. Aber die Beweggründe der Gewalt, darüber lässt sich durchaus etwas sagen. Bei der Führungsschicht, bei den führenden Köpfen mag durchaus oft auch eine starke ideologische Motivation dahinter stehen. Aber bei den Volksleuten, die sich dann anschließen, sind es oft ganz unerhebliche, nebensächliche Gründe, was es für uns umso Besorgnis erregender macht, weil man das dann natürlich umso schwerer bekämpfen kann.
Kassel: Es passieren furchtbare Dinge in Ihrem Roman, und das drückt natürlich die Stimmung und beeinflusst auch die Sprache. Gleichzeitig finde ich, es gibt wunderbare Stellen in ihrem Roman, die das einfache Wort schön verdienen. Und das sind die Stellen, wenn Sie Kaschmir beschreiben, wenn Sie die Landschaft beschreiben. Da habe ich fast den Eindruck, Sie sind so ein bisschen verliebt in Kaschmir, in das alte, das es vielleicht nicht mehr gibt. Ist das so? Sind Sie verliebt in dieses Land?
Rushdie: Das stimmt. Meine Familie stammt ja ursprünglich aus Kaschmir, eine Gegend, für die ich also sehr viel Liebe in meinem Leben empfunden habe und bei der ich nicht nur die äußeren Schönheiten, die Naturschönheiten liebe, was ich ja auch zu beschreiben versuche, sondern auch, wenn man so will, kulturelle Schönheiten, eine Art Toleranz, Gelassenheit, eine gewisse Leichtigkeit des Seins, die mich immer sehr überzeugt und angezogen haben und die jetzt leider stark beschädigt sind.
Es ist doch auch immer eine Möglichkeit für einen Romanschriftsteller, eine verlorene Welt wieder entstehen zu lassen durch die Beschreibung, umso mehr, wenn sie einem so am Herzen liegt, wie das in meinem Fall gegeben ist. Und ich versuchte, noch etwas anderes einzufangen, nämlich die Idee des Paradieses im Kaschmir darzustellen. Das irdische Paradies, das ja einen festen Ort hat, ist natürlich immer etwas unvollkommen. Aber nicht nur darum ging es mir, nicht nur um Kaschmir, sondern es ging mir auch um die Idee, den Gedanken des Paradieses.
Ich glaube, wir alle brauchen so etwas, ein Gebilde, das edenartig ist, an dem wir uns orientieren können. Wenn dieser Gedanke, dieses Bild eines Paradieses beschädigt wird, dann nehmen wir auch Schaden an unserer Seele. Und das habe ich in meinem Buch versucht zu beschreiben.
Kassel: Dieses Buch ist natürlich original in englischer Sprache geschrieben worden, jetzt gerade in Deutsch erschienen. Aber wie in vielen Büchern von Salman Rushdie kommt man nicht mit dem Buch zurecht, wenn man verlangt, dass alles in der gleichen Sprache ist. Es sind auf jeden Fall Dinge drin aus Sprachen wie Urdu, Tagalog, Hindi, Arabisch, Französisch, weil der erwähnte Botschafter aus dem Elsass kommt. Ich vermute auch noch Spanisch, sowie andere Sprachen. Und das Schöne und Interessante daran ist, das ist, glaube ich, auch eine absolute Absicht von Ihnen, das wird nur im Bedarfsfall wirklich erklärt, manchmal steht es auch nur einfach da. Macht Ihnen das Spaß oder hat es einen tieferen Sinn, mit so vielen Sprachen zu spielen?
Rushdie: Manchmal gibt man solche Sprachmischungen eigentlich nur als eine Art Gewürz in die Gesamtmischung hinein, damit das Ganze etwas interessanter schmeckt oder gepfeffert wird. Daneben ist es aber auch sehr wichtig, Klarheit herzustellen. Es muss für den Leser schon erkennbar sein, ob das jetzt eine Malzeit ist oder ein Fluch, ob das eine Beleidigung ist oder ein Mittagessen. Solange das klar ist aus dem Kontext, wird der Leser sich damit abfinden, dass er jetzt nicht genau weiß, was die da eigentlich essen. Also ich habe das als zusätzlichen Farbauftrag immer wieder eingesetzt, übrigens weniger in diesem Buch, als in meinen früheren Büchern. Ich glaube, ich komme immer mehr davon ab.
Eine Eigenschaft, die mir an diesem Buch sehr gefällt, in der Art, wie dieses Buch sich selbst geschrieben hat, ist die Geradlinigkeit, eine gewisse Klarheit im Erzählstrang. Denn, wie Sie gesagt haben, das Buch ist ja weit verstreut über die ganze Erdkunde. Wir sind in Kalifornien, in Straßburg, wir sind in Kaschmir, es gibt eine Szene in den Philippinen. Da war es doch wichtig, dass wenigstens der Erzählstrang sich eindeutig abspult, angesichts dieser ausufernden Szenen. Und das fand ich für mich besonders spannend, dass es doch eine recht geradlinig sich vorantreibende Handlung ist, die einen auch gefangen nimmt, die spannend ist.
(Wiederholung aus dem Radiofeuilleton von 9.10 Uhr)
Ich habe mit Salman Rushdie gesprochen und zunächst festgestellt, dass es natürlich um Terrorismus geht in dem Buch, um die Geschichte Kaschmirs und um einen amerikanischen Botschafter, der aus dem Elsass stammt und einst Widerstandskämpfer im besetzten Frankreich war, dass es aber eigentlich um eine Liebesgeschichte und ihren tragischen Ausgang geht. Und ich habe Salman Rushdie gefragt, ob der Roman auch in seinen Augen tatsächlich im Wesentlichen eine Liebesgeschichte ist.
Rushdie: Ich stimmte Ihnen zu. Ich glaube, Sie haben da wirklich den Kern dieses Buches getroffen. Es ist sicherlich eine Tragödie, eine Tragödie, die erzählt, wie etwas zerstört wird, was sich dann nicht mehr reparieren lässt, und über die Folgen, die daraus entstehen. Und angesichts dieser großen Leinwand, die ich da aufspanne, mit dem Kaschmirkonflikt, mit den USA, sogar mit dem Zweiten Weltkrieg, geht es doch im Wesentlichen um vier Leute, diese vier Hauptgestalten.
Zunächst zu nennen ist hier Max, der Botschafter und sein Eingreifen, nicht jetzt in die Beziehung zwischen den Nationen, zwischen Indien und USA, sondern sein Eingriff in diese Ehe, und die vierte Gestalt, die außereheliche Tochter, die aus dieser Beziehung erwächst. Beim Schreiben habe ich mir gedacht, ich werde darauf aufpassen, was diese vier Hauptgestalten von mir wollen. Und sie werden mich ungefähr durch dieses Labyrinth hindurchführen.
Insofern ist es also ein sehr intimes Buch, ein Buch, das ins Innerste dieser Gestalten hineinschaut. Diese vier Menschen, die unzufrieden sind mit dem, was ihnen das Leben bietet und die Antworten suchen. Das Traurige daran ist, dass diese Antworten, die sie finden, einfach nicht funktionieren.
Kassel: Sie haben es erwähnt, es gibt vier Hauptpersonen in Ihrem Buch. Es geht nicht nur um Shalimar. Es gibt Männer, es gibt Frauen. Und die Frauen, das ist mein Eindruck, sind die stärkeren, kommen besser mit dem Leben zurecht, können aufgrund ihrer Stärke vielleicht sogar auch nachgeben, Kompromisse schließen. Und die Männer haben damit Schwierigkeiten, haben manchmal sogar Angst vor diesen Frauen. Ist das auch im wahren Leben oft der Grund für Gewalt?
Rushdie: Ich glaube, alle Männer haben irgendwie Angst vor starken Frauen. Aber Sie haben Recht, das ist tatsächlich auch ein Grundzug in all meinen Büchern, dass die Frauen sehr stark dastehen. Einer der Gründe dafür dürfte wohl sein, dass ich tatsächlich in einer stark weiblich geprägten Umgebung aufgewachsen bin. Ich war umgeben von starken Frauen. Es gab eine echte Knappheit an Knaben in meiner Familie. Ich habe drei Schwestern und keine Brüder.
Die Frauen, denen ich begegnet bin, waren alle sehr selbstbewusst, auftrumpfend und eben mächtig. Insbesondere gilt das für meine Großmutter, der das Buch ja gewidmet ist. Sie schwebte mir wohl irgendwie vor, als ich das Buch schrieb. Und sie ist sozusagen in die Charaktereigenschaften dieser Frauen hineingewandert.
Übrigens kenne ich wenige indische Frauen, die dem gängigen Stereotyp entsprechen, wonach die indische Frau selbstverleugnend sei, sich anpasse und eigentlich gar nicht so richtig vorhanden sei. Nein, die Frauen, die ich kenne, sind das Gegenteil, sind stark und selbstbewusst.
In der Hindu-Weltentstehungslehre vertreten die männlichen Götter immer abstrakte Prinzipien, während die weiblichen Gottheiten das Werden vertreten und die Dinge in Gang bringen. Sie sind es, die tätig sind, während die Männer mehr oder minder das Sein verkörpern. Und ich glaube, das steckt irgendwie auch im Kern der indischen Kultur, das Männliche als das Repräsentative, das einfach nur da ist, während das Weibliche das Werden, das Entstehen und die Geschichte verkörpert.
Dieses Kräftespiel ist ganz stark den weiblichen Figuren anvertraut. Und so gilt es auch für dieses Buch. Die eigentliche Triebkraft hinter der Handlung ist doch wohl die Entscheidung der Frau des Shalimar, ihr Leben zu ändern. Hätte sie diese Entscheidung nicht getroffen, so wäre eigentlich die Handlung des Romans gar nicht in Gang gekommen. Ohne sie - keine Geschichte.
Und das geschieht auch oft in meinen Büchern so. Nehmen Sie nur zum Beispiel den anderen Roman, "Charme und Schande", der im Wesentlichen ja das Treiben der pakistanischen Diktatoren beschreibt. Aber im Wesentlichen wird auch dort die Handlung nicht durch die männlichen Vertreter, durch die Diktatoren in Gang gebracht, sondern durch die weiblichen Gestalten, die sie umgeben.
Kassel: Wenn ich Ihre Antworten bisher in einem Punkt ein bisschen zusammenfasse, und wenn wir dabei bleiben, dass Menschen Terroristen werden, Shalimar passiert das, dass Menschen Terroristen werden, ganz stark aus sehr persönlichen Gründen, aufgrund ihres Schicksals, vielleicht sogar gelegentlich, weil sie Angst haben vor Frauen, bedeutet das nicht logischerweise auch, dass es nie ein Ende des Terrorismus geben wird? Weil man kann ja nun tragische Lieben nicht einfach abschaffen.
Rushdie: Tja, genau weiß ich das natürlich nicht. Ein Ende der Gewalt? Ich denke, die menschliche Geschichte ist von Gewalt durchzogen, und wir können nicht sagen, es wird das Ende der Gewalt geben. Was aber jetzt insbesondere Kaschmir angeht, so ist zu sagen, dass die Wurzeln der Gewalt dort häufig ganz alltägliche, banale Dinge sind. Oftmals schließen sich junge Leute dem Dschihad an, weil sie Geld brauchen. Gerade jetzt wurde wieder berichtet in den jüngsten Tagen eine sehr merkwürdige Nachricht, dass Dschihadisten junge Hindumänner angeworben haben, weil diese jungen Männer einfach irgendwie das Geld brauchen.
Also, was dort im Kaschmirteil geschieht, ist sehr erstaunlich, dass Nicht-Moslems sich dem heiligen Krieg anschließen, einfach weil sie Geld brauchen. Ich habe das auch in meinem anderen erwähnten Roman "Charme und Schande" ja ausgeführt, ein Vorwalten dieser Kultur der Ehre und Schande.
Wenn man in einer solchen Kultur lebt, wo Ehre beziehungsweise Ehrlosigkeit so stark werden, dann wird man durch diese Grundprinzipien angetrieben. Ganz sicher gilt das für Shalimar, den Clown, der ja aufgrund von verlorener Ehre diese Schritte ergreift.
Ja, ob wir etwas über die fernste Zukunft sagen können, ob man sagen kann, niemals wird Gewalt aufhören, schwer. Niemals ist ja eine unendlich lange Zeit. Aber die Beweggründe der Gewalt, darüber lässt sich durchaus etwas sagen. Bei der Führungsschicht, bei den führenden Köpfen mag durchaus oft auch eine starke ideologische Motivation dahinter stehen. Aber bei den Volksleuten, die sich dann anschließen, sind es oft ganz unerhebliche, nebensächliche Gründe, was es für uns umso Besorgnis erregender macht, weil man das dann natürlich umso schwerer bekämpfen kann.
Kassel: Es passieren furchtbare Dinge in Ihrem Roman, und das drückt natürlich die Stimmung und beeinflusst auch die Sprache. Gleichzeitig finde ich, es gibt wunderbare Stellen in ihrem Roman, die das einfache Wort schön verdienen. Und das sind die Stellen, wenn Sie Kaschmir beschreiben, wenn Sie die Landschaft beschreiben. Da habe ich fast den Eindruck, Sie sind so ein bisschen verliebt in Kaschmir, in das alte, das es vielleicht nicht mehr gibt. Ist das so? Sind Sie verliebt in dieses Land?
Rushdie: Das stimmt. Meine Familie stammt ja ursprünglich aus Kaschmir, eine Gegend, für die ich also sehr viel Liebe in meinem Leben empfunden habe und bei der ich nicht nur die äußeren Schönheiten, die Naturschönheiten liebe, was ich ja auch zu beschreiben versuche, sondern auch, wenn man so will, kulturelle Schönheiten, eine Art Toleranz, Gelassenheit, eine gewisse Leichtigkeit des Seins, die mich immer sehr überzeugt und angezogen haben und die jetzt leider stark beschädigt sind.
Es ist doch auch immer eine Möglichkeit für einen Romanschriftsteller, eine verlorene Welt wieder entstehen zu lassen durch die Beschreibung, umso mehr, wenn sie einem so am Herzen liegt, wie das in meinem Fall gegeben ist. Und ich versuchte, noch etwas anderes einzufangen, nämlich die Idee des Paradieses im Kaschmir darzustellen. Das irdische Paradies, das ja einen festen Ort hat, ist natürlich immer etwas unvollkommen. Aber nicht nur darum ging es mir, nicht nur um Kaschmir, sondern es ging mir auch um die Idee, den Gedanken des Paradieses.
Ich glaube, wir alle brauchen so etwas, ein Gebilde, das edenartig ist, an dem wir uns orientieren können. Wenn dieser Gedanke, dieses Bild eines Paradieses beschädigt wird, dann nehmen wir auch Schaden an unserer Seele. Und das habe ich in meinem Buch versucht zu beschreiben.
Kassel: Dieses Buch ist natürlich original in englischer Sprache geschrieben worden, jetzt gerade in Deutsch erschienen. Aber wie in vielen Büchern von Salman Rushdie kommt man nicht mit dem Buch zurecht, wenn man verlangt, dass alles in der gleichen Sprache ist. Es sind auf jeden Fall Dinge drin aus Sprachen wie Urdu, Tagalog, Hindi, Arabisch, Französisch, weil der erwähnte Botschafter aus dem Elsass kommt. Ich vermute auch noch Spanisch, sowie andere Sprachen. Und das Schöne und Interessante daran ist, das ist, glaube ich, auch eine absolute Absicht von Ihnen, das wird nur im Bedarfsfall wirklich erklärt, manchmal steht es auch nur einfach da. Macht Ihnen das Spaß oder hat es einen tieferen Sinn, mit so vielen Sprachen zu spielen?
Rushdie: Manchmal gibt man solche Sprachmischungen eigentlich nur als eine Art Gewürz in die Gesamtmischung hinein, damit das Ganze etwas interessanter schmeckt oder gepfeffert wird. Daneben ist es aber auch sehr wichtig, Klarheit herzustellen. Es muss für den Leser schon erkennbar sein, ob das jetzt eine Malzeit ist oder ein Fluch, ob das eine Beleidigung ist oder ein Mittagessen. Solange das klar ist aus dem Kontext, wird der Leser sich damit abfinden, dass er jetzt nicht genau weiß, was die da eigentlich essen. Also ich habe das als zusätzlichen Farbauftrag immer wieder eingesetzt, übrigens weniger in diesem Buch, als in meinen früheren Büchern. Ich glaube, ich komme immer mehr davon ab.
Eine Eigenschaft, die mir an diesem Buch sehr gefällt, in der Art, wie dieses Buch sich selbst geschrieben hat, ist die Geradlinigkeit, eine gewisse Klarheit im Erzählstrang. Denn, wie Sie gesagt haben, das Buch ist ja weit verstreut über die ganze Erdkunde. Wir sind in Kalifornien, in Straßburg, wir sind in Kaschmir, es gibt eine Szene in den Philippinen. Da war es doch wichtig, dass wenigstens der Erzählstrang sich eindeutig abspult, angesichts dieser ausufernden Szenen. Und das fand ich für mich besonders spannend, dass es doch eine recht geradlinig sich vorantreibende Handlung ist, die einen auch gefangen nimmt, die spannend ist.
(Wiederholung aus dem Radiofeuilleton von 9.10 Uhr)