Sally Rooney: "Schöne Welt, wo bist du?"

Die "Millennials" werden erwachsen

04:59 Minuten
Porträt von Sally Rooney.
Mit ihrem dritten Roman "Schöne Welt, Wo Bist Du" bricht die irische Autorin Sally Rooney derzeit alle Bestsellerrekorde. © AFP / Getty Images North America / Erik Voake
Von Sigrid Löffler · 18.09.2021
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Auch "Schöne neue Welt, wo bist Du?" handelt wieder von den für Sally Rooney typischen selbstbesessenen und unschlüssigen Figuren. Fragten sich diese aber bisher, wer sie werden sollen, fragen sie sich jetzt, was aus ihnen geworden ist.
Die irische Autorin Sally Rooney, Jahrgang 1991, ist die erfolgreichste Schriftstellerin ihrer Generation und gilt als wichtigste literarische Stimme ihrer Alterskohorte, der sogenannten "Millennials". Ihre ersten beiden Romane "Gespräche mit Freunden" und "Normale Menschen" waren internationale Bestseller, wurden mit Preisen überschüttet und als mehrteilige Fernsehserien verfilmt.

Eben erst 30 geworden, legt Sally Rooney jetzt ihren dritten Roman vor: "Schöne Welt, wo bist du". Das Buch muss sich am Erfolg der Vorgängerromane messen lassen. Die Kritiker, die Rooneys frühere Romane mehrheitlich bejubelt hatten, reagieren nun zum Teil ernüchtert. Zu Recht?


Auf den ersten Blick ist Rooney dem Milieu, dem Personal und den Themen ihrer früheren Romane treu geblieben. Mit deren Hauptproblemen – Freundschaft, erste Liebe und erste Affären im Studentenmilieu von Trinity College in Dublin – schlagen sich Rooneys Romanfiguren auch jetzt wieder herum.
Zwar sind die vier Protagonisten des neuen Romans parallel zur Autorin älter geworden – sie sind jetzt um die 30 oder drüber –, erste Liebe und erste Affären liegen hinter ihnen, aber immer noch dreht sich alles um die Themen Freundschaft und/oder Sex. Fragten sich Rooneys Figuren bisher, was aus ihnen werden soll, so fragen sie sich jetzt, was aus ihnen geworden ist.

Beide Protagonistinnen knabbern am Trennungsschmerz

Im Mittelpunkt stehen Alice und Eileen, zwei beste Freundinnen seit Dubliner Collegetagen. Alice ist Schriftstellerin geworden, Starautorin und Millionärin, die ihren Erfolg nicht gut verkraftet hat und nach einem Nervenzusammenbruch in ein Kaff an der westirischen Küste geflüchtet ist, wo sie an ihrem dritten Roman laboriert. Eileen kämpft sich in Dublin als schlecht bezahlte Redaktionsassistentin einer Literaturzeitschrift durchs Leben.

Die Autorin spiegelt sich selbst in beiden Figuren, hat offenkundig eigene Lebenserfahrungen dialektisch in beide Protagonistinnen investiert. Beide Frauen knabbern noch an Trennungsschmerzen, nachdem ihre letzten Männerbeziehungen in die Brüche gegangen sind, beide beginnen jetzt neue Affären: Alice mit Felix, einem Lagerarbeiter, den sie über Tinder kennengelernt hat, und Eileen mit Simon, einem reaktivierten Freund aus Kindertagen, der als Politikberater arbeitet.
Buchcover: "Schöne Welt, wo bist du?" von Sally Rooney
Im Mittelpunkt von Sally Rooneys „Schöne Welt, wo bist du“ stehen Alice und Eileen. Die eine ist Starautorin geworden, die andere Redaktionsassistentin.© Deutschlandradio / Claassen Verlag
Insoweit sind die Figuren wiederum typischer Rooney-Standard: neurotisch selbstbesessen, orientierungslos, unschlüssig, vage unglücklich und völlig humorlos. Beide Paare schwanken und zweifeln, ob sie überhaupt Liebespaare sein möchten.

Fast ein altmodischer Briefroman

Mit Plot-Konstruktion hält sich Sally Rooney nicht weiter auf. Es tut sich nicht viel in diesem simpel gebauten Roman, der seinen dramaturgischen Reiz allein aus dem Gegensatz von Außensicht und Innensicht bezieht: Die Beziehungsprobleme des Quartetts untereinander, ihre Streitigkeiten, Kränkungen, Missverständnisse und sexuellen Begegnungen, werden von einer kühlen Erzählerstimme nüchtern von außen referiert.
Die Innenansicht wird an die Mailkorrespondenz der beiden Heldinnen delegiert, die sich in langen Botschaften miteinander austauschen. Das liest sich fast wie ein altmodischer Briefroman, ist jedoch ein Qualitätssprung gegenüber Rooneys Vorgängerromanen.

Der intellektuelle Horizont weitet sich

Erstmals weiten sich bei Rooney der intellektuelle Horizont und die Weltwahrnehmung, über das Kreiseln in den eigenen banalen Gefühlsbefindlichkeiten hinaus. Die Frauen reflektieren über die aktuelle politische Weltlage mit ihren multiplen Bedrohungen und teilen ihre Endzeitgefühle.
Dialektische Spannung kann so nicht entstehen, denn beide sind sich einig in ihrem Pessimismus. In ihren Augen macht der bevorstehende systemische Kollaps der Welt die Suche nach einem Lebenssinn schwierig.

Mehr Tiefgang als die Vorgänger

Interessant liest sich vor allem das Hadern der Alice mit ihrem neuen Weltruhm und den hohlen Ritualen der Literaturszene. Der Erfolg, kaum errungen, wird augenblicklich schal und abgeschmackt.
Insofern ist "Schöne Welt, wo bist du" ein Roman, der über sich selber nachdenkt, und zugleich das Ergebnis dieses Nachdenkens. Verglichen mit der seichten Geschwätzigkeit der Vorgängerromane hat dieser Roman, wenn auch immer noch im Easy-Reading-Modus, doch etwas mehr Tiefgang zu bieten.

Sally Rooney: "Schöne Welt, wo bist du"
Aus dem Englischen von Zoë Beck
Claassen Verlag, Berlin 2021
352 Seiten, 20 Euro

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