Salem bleibt in Baden-Württemberg

Von Uschi Götz und Solveig Grahl · 13.02.2008
Es war einmal ein Prinz am Bodensee, der hatte ein wunderschönes Schloss. So beginnen Märchen. Seit mehr als einem Jahr streitet Bernhard "Märchen"-Prinz von Baden mit der baden-württembergischen Landesregierung darüber, wie Schloss Salem dauerhaft erhalten werden kann. Wiederholt drohte der Markgraf ob klammer Finanzen mit dem Verkauf der Anlage. Bei der Auseinandersetzung zwischen dem Haus Baden und der Politik in Stuttgart geht es nun auch um die Frage, wem eigentlich die badischen Kunstschätze im Wert von rund 300 Millionen Euro gehören: den Markgrafen oder dem Land. Der Prinz droht jetzt dem Land mit einem Rechtsstreit und das Land wird nun eine Entscheidung fällen.
Es war einmal unweit vom Bodensee, in einem kleinen Ort, Salem genannt, ein Prinz. Bernhard von Baden hieß er. Er besaß ein großes Schloss. Es war ihm sehr ans Herz gewachsen, denn dort, zu Salem, war er groß geworden:

Bernhard Prinz von Baden: "Wenn man in Salem aufwächst, ist das ein bisschen wie auf dem Bauernhof oder in einem kleinen Dorf, wo jeder jeden kennt. Wir wurden genauso von dem Messmer erzogen wie von den Lehrern der Schule wie von den eigenen Eltern oder dem Hausmeister. Wenn man irgendwas ausgefressen hat, gab es Ärger, ganz gleich, ob es jetzt das Hausmeisterkind war oder die Kinder aus dem Schloss. Wir waren so eine Truppe und wir hießen alle die Schlosskinder."

Handwerker, Gastwirte und sogar Schüler aus einem weltberühmten Internat lebten auf Schloss Salem glücklich zusammen.

Doch das prächtige Schloss und seine ehrwürdige Kirche waren alt. Ein ehemaliges Zisterzienserkloster aus dem 12. Jahrhundert. Für den Prinzen und seine Familie war es eine große Aufgabe, alles in Stand zu halten.

Tapfer ließen sie für viele Goldmünzen Dächer, Chorgestühl, Treppenhäuser reparieren. Doch irgendwann wollte und konnte der Prinz nicht mehr.

Bernhard Prinz von Baden: "Es ist nicht selbstverständlich, Wir haben das stellvertretend fürs Gemeinwesen getan. Und wenn wir das jetzt nicht mehr können und uns in wirtschaftliche Not bringen für einen öffentlichen Auftrag, dann muss man das doch differenzierter sehen und ein bisschen abwägen, ob man hier nicht die Verhältnismäßigkeit wahrt."

Im Märchen würde der Prinz jetzt ein paar Abenteuer bestehen, eine Kiste finden, bis oben gefüllt mit Gold - und das Happy End folgte auf dem Fuße. Im wahren Leben ist alles - leider - ein bisschen komplizierter.

Bernhard Prinz von Baden: "Es ist fünf vor zwölf. Fünf vor zwölf für den Fortbestand des kulturhistorischen Erbes von Salem. Ich sage bewusst: fünf vor zwölf, ich sage nicht: fünf nach zwölf. Der Zug zur Rettung ist also noch nicht abgefahren."

Es ist März 2007, im Haus der Geschichte in Stuttgart. Auftritt des Prinzen von Baden, Markgraf und Generalbevollmächtigter seines Hauses. Der Prinz hatte eine Broschüre mitgebracht. Darauf zu sehen war die Uhr des Münsters von Schloss Salem. Die Zeiger auf fünf vor zwölf.

Bernhard Prinz von Baden hatte die Journalisten zur Pressekonferenz geladen. Es ging um nicht mehr und nicht weniger als die Zukunft des markgräflichen Schlosses Salem.

Nach der Säkularisation, im Jahre 1802, ging das Zisterzienserkloster in den Besitz der Markgrafen von Baden über. Heute befinden sich auf dem 25 Hektar großen Schloss-Areal fast 30 Gebäude, darunter das Eliteinternat Salem, Handwerksbetriebe, Restaurants, das Kulturamt des Bodenseekreises. Jedes Jahr kommen rund 130.000 Besucher nach Salem. Ein bedeutsames Kulturdenkmal unweit vom Bodensee. Aber auch: ein teures Kulturdenkmal. Im Jahr verschlingt das Schloss laut Adelsfamilie 1,5 Millionen Euro Sanierungskosten. In den vergangenen Jahren hat sich das Haus Baden 30 Millionen Euro von den Banken geliehen und in den Erhalt der Schlossanlage gesteckt. Mehr gehe jetzt nicht mehr, das betonte Bernhard Prinz von Baden in den vergangenen Monaten immer wieder. Die Banken forderten ihr Geld zurück:

Bernhard Prinz von Baden: "Es kann im Ergebnis nicht so sein, dass eine Privatfamilie und ein Privatunternehmen seit Jahrzehnten Aufgaben übernimmt der Denkmalpflege, der Bewahrung des kulturhistorischen Erbes, die anderswo in Deutschland ganz selbstverständlich der Staat übernommen hat."

Das Land Baden-Württemberg sollte also mithelfen, Schloss Salem zu erhalten. Im September 2006 lag die vermeintliche Lösung auf dem Tisch: ein Vergleich zwischen dem Land und dem Haus Baden. Die Markgrafen sollten die Eigentumsrechte an ihren Kunstschätzen im Wert von rund 300 Millionen Euro an das Land abtreten und im Gegenzug vom Staat 70 Millionen Euro erhalten. 30 Millionen, um die Schulden bei den Banken zu tilgen, 40 Millionen Euro für eine Stiftung zum dauerhaften Erhalt des Schlosses, erklärte Baden-Württembergs CDU-Finanzminister Gerhard Stratthaus im September 2006:

"Das Stiftungskapital soll durch den Verkauf von Handschriften und Büchern aus den Beständen der badischen Landesbibliothek erwirtschaftet werden. Dadurch sollen auch die in letzten Jahren für die Renovierung der Anlage angefallenen Ausgaben refinanziert werden. Insgesamt soll versucht werden, aus dem Verkauf von wertvollen Bibliotheksbeständen bis zu 70 Millionen Euro zu erlösen und diese für die Klosteranlage Salem einzusetzen."

Mit diesem Vergleich wollte die baden-württembergische Landesregierung gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen sollte der Erhalt von Schloss Salem dauerhaft gesichert werden. Zum anderen wollte die Regierung endlich Klarheit über die strittigen Eigentumsrechte an den badischen Kulturgütern schaffen; also an wertvollen Gemälden, Handschriften, Münzsammlungen, Skulpturen.

Landesregierung und Adelshaus waren sich handelseinig. Mit dem, was folgen sollte, hatten sie nicht gerechnet. Als bekannt wurde, dass das Land den Verkauf mittelalterlicher Handschriften aus der badischen Landesbibliothek plante, brach ein Sturm der Entrüstung los - und zwar weltweit. Historiker und Kulturexperten meldeten sich zu Wort. Von einem Akt der Kulturbarbarei war da die Rede, von Plünderei nach Vandalenart. Peter Michael Ehrle, Direktor der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe, hob die Bedeutung der Handschriften für Forschung und Wissenschaft hervor:

"Das sind mittelalterliche Pracht-Handschriften mit reicher Buchmalerei, also unglaublich wichtige Handschriften für die Forschung. Kulturgüter von nationaler und europäischer Bedeutung, ja von Weltbedeutung zum Teil."

Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger, nicht gerade bekannt als ausgewiesener Freund der Künste, blieb zunächst gelassen:

Günther Oettinger: "Die Kritik kommt im Kulturteil der Tageszeitungen und nicht im Wirtschaftsteil und nicht im Landesteil. Ich respektiere diese Arbeitsteilung der Redaktionen."

Ein Affront für alle Kunstschaffenden und Kunstinteressierten. In einem Brief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kritisierten Wissenschaftler aus aller Welt das Vorgehen. Und auch die politische Opposition im Südwesten ging hart mit der Regierung ins Gericht:

Ute Vogt: "Sie haben zusammen mit Ihrer Landesregierung unser Land blamiert - und das weltweit, international. Eine peinliche Angelegenheit."

Jürgen Walter: "Das dilettantische Verhalten der Landesregierung hat dem Land einen immensen Imageschaden gebracht - und zwar nicht nur in Baden und Württemberg, sondern rund um den Globus."

Die Zeiger der Münsteruhr zu Salem bewegten sich munter weiter - während im Ländle der Handschriftenstreit tobte. Mit einem solchen Protest hatte die Regierung in Stuttgart nicht gerechnet - und lenkte ein. Am Vergleich mit den Markgrafen hielt sie zwar fest. Das Geld dafür sollte nun jedoch von der Landesstiftung kommen, aus den Etats landeseigener Kultureinrichtungen sowie von geschichtsbewussten Sponsoren.

Doch der nächste Fettnapf wartete schon: Zu den Kunstschätzen, die mit Hilfe von großzügigen Mäzenen für das Land gesichert werden sollten, gehörte unter anderen auch die wertvolle "Markgrafentafel" von Hans Baldung Grien aus dem 16. Jahrhundert. Ministerpräsident Günther Oettinger im Oktober 2006 im Stuttgarter Landtag:

"Es gibt nennenswert Kunstgegenstände, die der Öffentlichkeit gezeigt werden, die im Besitz des Landes sind, aber im Eigentum des Hauses Baden. Ich nenne erstens Hans Baldung Grien: 'Der Markgraf Christoph I. von Baden und seine Familie', ein Gemälde im Wert von etwa 8 Millionen Euro. Ich nenne zweitens zwei Medaillons von Cranach dem Älteren, Wert etwa zwei Millionen Euro. Diese Gegenstände gehören uns nicht, aber sie zu erwerben, daran haben wir Interesse."

Da jedoch war der baden-württembergische Ministerpräsident einmal mehr falsch informiert - und der so schön eingefädelte Deal mit dem Haus Baden geriet zunehmend zur Posse. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" wies der Freiburger Historiker Dieter Mertens nach, dass die "Markgrafentafel" dem Land sehr wohl gehörte. Baden-Württemberg hätte also beinahe ein Bild gekauft, dass es schon besaß. Oettinger erntete Hohn und Spott aus aller Welt. Seitdem geht der Witz um: "Wer sein Bier zweimal bezahlt, kommt aus Baden-Württemberg."

Der Vergleich zwischen dem Land und dem Haus Baden war gescheitert, die Zukunft von Schloss Salem so offen wie eh und je, die schwierige Eigentumsfrage an den Kunstschätzen nach wie vor nicht gelöst. Die Uhr tickte weiter, der Prinz wurde zunehmend nervös ...

Bernhard Prinz von Baden: "Es ist fünf vor zwölf."

... und drohte mit dem Verkauf des Schlosses:

Bernhard Prinz von Baden: "Viele eingetragene Denkmäler in Deutschland und in Europa gehen den Weg der Veräußerung, gehen den Weg der Zerschlagung und gehen auch leider hin und wieder den Weg in Richtung Ruine. Ich denke, eine Verwertung eines Schlosses ist ohne weiteres machbar. Und es gibt auch keine rechtlichen Möglichkeiten, das zu verhindern."

Immerhin hat das Haus Baden bereits mehrere seiner Schlösser verkauft. Prominentestes Beispiel: das Neue Schloss in Baden-Baden, die einstige Sommerresidenz der Großherzoge. Mittlerweile gehört die Anlage hoch über der Stadt einer Geschäftsfrau aus Kuwait. Die Bürger müssen seitdem draußen bleiben. Seit Jahren entwickelt die neue Besitzerin Pläne für eine Nutzung des Schlosses - vom Luxushotel bis hin zum Feriendomizil für ihre Familie. Doch noch liegt alles im Dornröschenschlaf.

Ob es bereits konkrete Kaufangebote für Schloss Salem gibt, darüber hüllte sich das Haus Baden bislang in Schweigen. Jürgen Walter, kulturpolitischer Sprecher der Grünen im Stuttgarter Landtag, glaubt nicht, dass sich für die Anlage so einfach ein privater Investor finden lässt:

"Ich kann mir jetzt nicht vorstellen, dass die Bewerber Schlange stehen. Auch die Besitzerin des Schlosses Baden-Baden hat schnell merken müssen, dass es in Deutschland Gesetze gibt, die man einhalten muss, beispielsweise im Denkmalschutz. Deswegen glaube ich nicht, dass da jetzt viele Bewerber kommen. Würde es die geben, hätten wir es sicherlich vom Hause Baden längst erfahren."

Die Verhandlungen zur Zukunft von Salem lagen also auf Eis, während zwei Expertenkommissionen von Adelshaus und Landesregierung prüften, wem denn nun tatsächlich welche Kunstschätze gehören. Wer also überhaupt was verkaufen darf. Ende vergangenen Jahres kam wieder Bewegung in die Geschichte:

Rudolf Dolzer: "Das Land Baden-Württemberg war sich bis 1967 mit dem Haus Baden einig darüber, dass das Eigentum an den Sammlungen nicht dem Land gehört."

So Rudolf Dolzer, Rechtswissenschaftler an der Universität Bonn und einer der Gutachter im Auftrag des Prinzen. Die Experten waren sich einig: Die umstrittenen Kunstschätze gehören zu großen Teilen dem Haus Baden. Das Land habe in Eigentumsfragen ein Jahrhundert lang zu Gunsten der Markgrafen entschieden. Dafür gebe es viele Belege. Das Eigentum an den Kunstschätzen ergebe sich also aus dem historisch gewachsenen Recht.

Die Gutachter der Landesregierung sahen das - erwartungsgemäß - ganz anders. Kurz vor Weihnachten stellten sie ihre Ergebnisse vor: Die Kunstschätze gehörten im Wesentlichen dem Land, denn: Ein großer Teil der Sammlung sei nie Privateigentum des Fürstenhauses gewesen. Die Kunstschätze gehörten vielmehr zur Ausstattung des Hofes und waren demnach untrennbar mit dem Amt des Regenten als Staatsperson verbunden. Ernst Gottfried Mahrenholtz, früherer Bundesverfassungsrichter und Mitglied der Expertenkommission des Landes:

"Der Großherzog und kein Fürst durfte aus diesem Eigentum etwas veräußern. Verkaufen oder wie auch immer. Das blieb so, wie es ist. Es war immer das Hausvermögen, nicht sein persönliches. Das Vermögen des Hauses, und dies musste als solches diesem Glanz der Familie dienen, aus Gründen der politischen Repräsentanz."

Mit dem Ende der Monarchie 1918 seien diese Hofschätze automatisch auf die Republik übergegangen, also auf den Staat. Dem Haus Baden gehört demnach nur ein Bruchteil der Kunstschätze: einige mittelalterliche Handschriften, ein paar Gemälde, Skulpturen. Alles in allem ein Wert von geschätzten 5,6 Millionen Euro. Gemessen am Gesamtwert der Sammlung von rund 300 Millionen Euro ein Witz.

Gutachten steht also nun gegen Gutachten. Einen Rechtsstreit wollen weder das Adelshaus noch das Land, denn der würde dauern. Es bleibt also eigentlich nur: der Verhandlungstisch. An den wollen beide Seiten nun nach über einem Jahr wieder zurückkehren. Und erneut nach einer Lösung ringen. Land und Haus Baden wollen Salem erhalten und weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Wie, das ist noch offen. Möglich wäre zum Beispiel, dass das Land Schloss Salem kauft. Ministerpräsident Günther Oettinger könnte sich das durchaus vorstellen. Eine Entscheidung gibt es bis heute noch nicht.

Der Prinz wartet also immer noch auf eine Lösung für sein geliebtes Schloss, unweit vom Bodensee.

Und die Zeiger der Münsteruhr in Salem rücken der Stunde der Entscheidung immer näher.