Salat-Putzen für die Essensausgabe

Von Stefanie Oswalt · 25.07.2009
Die Bahnhofsmission am Zoologischen Garten in Berlin hilft Reisenden, Obdachlosen, Drogenabhängigen und psychisch Kranken. Dabei bekommt sie Unterstützung von Schülerpraktikanten.
Dienstagvormittag, Bahnhof Zoo Berlin. Der Duft frischer Backwaren mischt sich mit dem Gestank von altem Urin. Einige wenige Reisende durchqueren die verschlafene Bahnhofshalle, zwei Polizisten gehen Streife. Etwa 50 Meter weiter die Jebenstraße hinunter sitzen drei Obdachlose in der Sonne und warten. In einigen Stunden wird sich die Glastür zur Essensausgabe der Bahnhofsmission öffnen.

Drinnen stehen Nancy, Judith und Jeanny schon seit einer Stunde in der Küche – schnipseln Salat, schmieren Brote für etwa 250 Gäste, die ab Mittag hier verköstigt werden sollen. Normalerweise sind sie um diese Zeit in der Schule. Judith:

"Ich mach jetzt, auf so Pizzateig mit Soße leg ich jetzt noch so Salamischeiben drauf, damit es nicht ganz so trocken ist... Also ich mach gerne Teeausgabe oder vorne den Einlass, den mach ich auch sehr gerne, weil man da viel mehr auch mit den Menschen in Kontakt kommt."

Judith. 18 Jahre, türkis-pinke Punkfrisur, Schülerin der Kant-Fachoberschule in Berlin-Steglitz. Sie bereitet sich auf das Fachabitur in Sozialpädagogik vor.

"Ohne ehrenamtliches Engagement wäre die Arbeit überhaupt nicht zu schaffen. Allein hier am Standort Zoo 20 bis 25 Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dann lege ich auch Wert darauf, dass wir auch immer Schülerpraktikanten und Praktikantinnen haben","

sagt Christian Block. Er ist Sozialarbeiter und leitet die Berliner Bahnhofsmission. Sein freundliches Gesicht leuchtet vor Begeisterung, wenn er von "seinen" Schülerpraktikanen spricht.

""Ich hab das noch ausgebaut, weil ich das für die Atmosphäre der Arbeit sehr, sehr vorteilhaft empfunden habe, junge Menschen mit rein zu nehmen ... Das kann passieren also, dass eine ehrenamtliche Mitarbeiterin von 84 Jahren bei der Essensausgabe neben ’nem 17-jährigen Schüler steht. Und welche Welten, Sichtweisen, Erfahrungen zusammenkommen, das ist sehr hilfreich, weil: auch unsere Gäste sind ganze Bandbreite der Gesellschaft und da braucht man einfach so einen ganz bunten Strauß an Menschen, die diese Aufgabe erfüllen"."

So wie Judith. Oder Jeanny und Nancy. Blond, zierlich, nachdenklich die eine, südländisch, kräftig, entschlossen die andere. Beide sind 22, Freundinnen und Schülerinnen des Oberstufenzentrums Sozialwesen in Lichtenberg. Seit Januar arbeiten sie eine Woche hier, eine Woche geht es in die Schule, ein halbes Jahr lang. Warum? Jeanny:

""Na weil das ein Berufsfeld ist, das ich mir später vorstellen kann. Mit Obdachlosen, Wohnungslosen, Drogen- und Suchtberatung, alles, was halt so in die Richtungen fällt."

"Ich find's bemerkenswert, dass das Leben auf der Straße ganz anders ist, als das Leben, was wir kennen. Wenn man den Besuchern einen schönen Tag wünscht, oder ‚bis morgen dann’ und dann hört man öfters: ‚Wenn ich den Tag überhaupt überlebe’. Und ich mein: Klar kann das aus einer Ironie heraus gesprochen sein, aber dann bewegt das einen schon zum Nachdenken","
sagt Nancy. Dass die Bahnhofsmission ein Projekt christlichen Ursprungs ist, erleben sie bei einigen Mitarbeitern, oder mittwochs bei der kurzen Andacht. Aber für ihr eigenes Engagement hat das keine Bedeutung. Jeanny:

""Also ich hör mir das an und mach mir vielleicht auch meine Gedanken dazu, aber wirklich ernst nehmen tu ich das nicht."

Judith:

"Es ist gut, wenn Menschen helfen, egal ob sie gläubig sind oder nicht, ich bin’s nicht und ich hab trotzdem kein Problem damit, anderen Menschen zu helfen. Das steht jetzt in keinem christlichen Hintergrund, dass ich meine Hilfe anbiete oder das auch gerne mache, mit den Menschen zu arbeiten."

Christian Block:

"Aber zumindest ist die überwiegende Mehrheit unserer Praktikanten und Praktikantinnen schon recht glaubensfern. Wir gehen natürlich auf unsere Gäste mit einem christlichen Verständnis, mit einem christlichen Menschenbild zu. Wir begegnen ihnen auf gleicher Höhe, versuchen, so ein soziales Stigma nicht hier auch noch einmal zu verstärken, es wird allerdings in dem Sinne nicht missioniert"

"Es müsste Zeitungen geben, die immer das mitteilen, was nicht ist. Keine Cholera, kein Krieg, keine Revolution, keine Missernte. Die tägliche Freude über die Abwesenheit großer Übel würde zweifellos die Menschen fröhlicher machen."

13.30 Uhr, Vorbereitungsrunde. Block, Mitarbeiter, Ehrenamtliche und Praktikanten sitzen jetzt bei einer Tasse Kaffee zusammen im sonnengelb gestrichenen Speisesaal. Plastikblumengestecke zieren die Tische, an der Wand hängt ein Kruzifix. Julia, Studienpraktikantin aus München, liest aus dem abgegriffenen Buch mit den Weisheiten für jeden Tag. Heute ist es ein Gedicht von Christian Morgenstern. Judith schmökert in ihrem mitgebrachten Krimi. Nancy und Jeanny tuscheln am anderen Ende des Tisches. Gestern ist Nancy von einer Besucherin auf die Wange geküsst worden. Jeanny:

"Also es kann losgehen, kleinen Moment, bis ich die Türen eingehängt habe."

Stimmen – Begrüßungen.

14.00 Uhr. Es brodelt vor der Tür. 75 Personen stehen an. Nur 48 dürfen in der ersten Runde hinein. Nancy und Jeanny zählen, sagen Hallo, lächeln, versuchen Augenkontakt aufzunehmen. Wenige erwidern den Gruß.

Langsam schiebt sich die Schlange an der Essensausgabe vorbei. Es gibt belegte Brote, Pizza, Salat, Kuchen, Joghurt und Tee – alles aus Spenden. Die Gäste zeigen wenig Reaktion, viele wirken in sich gekehrt, erschöpft. Nur vereinzelt gibt es ein positives Feedback. Gast:

"Ich fühl mich hier wohl, das ist, sag ich mal die Hauptsache, man wird hier gut aufgenommen. Die Leute sind höflich, die hier hinten stehen, ob nu die schon länger da sind oder die jungen Leute, Mädels oder Jungs... einwandfrei"."

Ideal wäre, meint Jeanny, wenn die Lehrer das Projekt etwas intensiver betreuen und mit den Schülerinnen ihre Erlebnisse diskutieren würden. Aber insgesamt sind alle drei dankbar für die Erfahrungen, die sie in ihrem Praktikum gewonnen haben. Jeanny:

""Was mich besonders freut ist, wenn man’s schafft, mit ’nem Gast mal zu sprechen, Kontakt aufzubauen, ein bisschen was über seine Lebensgeschichte zu erfahren, was Privates, kann auch oberflächliches Gespräch sein, aber so was ist dann schön."

""Für mich sind immer schöne Augenblicke, wenn Gäste, nachdem sie bei uns gegessen haben mit gutem Gesicht wieder nach Hause gehen und noch mal sagen, es hat ihn gefreut, dass es uns gibt und dass sie satt geworden sind, und dass sie sich freuen, dass sie hier sein konnten","

sagt Judith.