Salafismus und Fußball

Wie tickt mein Stürmer?

Mehmet (rechts) bei einem Fußballspiel
Mehmet (vorn rechts) bei einem Fußballspiel © Foto: privat
Von Joseph Röhmel · 03.11.2017
Es gibt Fußballspieler, die unbemerkt von ihrem Team zu Salafisten werden. Bisher melden sich bei Beratungsstellen aber nur einzelne Clubs. Was muss getan werden, damit der Fußball im Umgang mit radikalisierten Jugendlichen seine integrative Wirkung entfaltet?
Ein Brief aus einem Gefängnis in Bayern. Von einem Mann, der den Fußball liebt und seine Familie. Nennen wir ihn Rama:
"Ich vermisse meine Familie sehr. Wenn mich jemand besucht, ist zwischen uns eine Trennscheibe. Ohne Grund."
Rama ist 29 Jahre alt und Vater von drei kleinen Kindern. Er ist in München aufgewachsen, seine Eltern stammen aus dem Kosovo. Früher ging er für einen Münchner Amateurverein auf Torejagd. Der Verein möchte lieber anonym bleiben. Seit drei Jahren muss sich Rama im Gefängnis fithalten. Er sitzt im Knast wegen mehrfachen Betrugs und weil er verbotene islamistische Symbole im Internet geteilt hat.

Ein islamistischer Gefährder im Amateurverein

Rama gilt als islamistischer Gefährder. Mit großem Bedauern hat sein Münchner Ex-Verein erfahren, dass er im März nächsten Jahres in das Land seiner Eltern, den Kosovo, ausgewiesen werden soll.
Auf ein Weißbier im Sportlerheim mit dem ersten Vorstand:
"Die jetzige Lage ist so, dass wir mit dem Spieler nach wie vor Kontakt haben. Er schreibt uns von Zeit zu Zeit. Er spricht in den Briefen über seine Gefühle. Er trägt auch unsere Clubklamotten. Man merkt an seinen Briefen, dass das für ihn ein gewisser Halt ist, den er vielleicht vorher nicht gehabt hat."
"Ich habe eure Ergebnisse verfolgt. Oh mei o mei, erst topp dann flopp."

Geteilte Meinungen

Ein Verein kämpft um seinen Spieler. Mit allen Mitteln? Die Meinungen über ihn seien geteilt, sagt der Vorstand. Er kann das nachvollziehen. Rama war in der Münchner Innenstadt für "Lies!" unterwegs, jene Koranverteilungsaktion, die letztes Jahr verboten wurde. Sie galt als Einstieg in den militanten Salafismus. Viele dieser ehemaligen Koranverteiler sind nach Syrien gegangen. Auch aus München − in jener Zeit, als Rama aktiv war, als Wortführer der Münchner Lies-Gruppe. Am Ende landete er vor Gericht. Mehrfach hat er im Internet verbotene islamistische Symbole geteilt. Und er hat immer wieder Notebooks und andere Dinge bestellt, obwohl er sie am Ende nicht bezahlen konnte.
Trotz dieser Vorgeschichte wollen ihm Vereins-Verantwortliche einen Anwalt finanzieren, einen letzten Versuch wagen, den Spieler doch noch im Land zu behalten.

Mit Verschwörungstheorien zum Islam

Aus Sicherheitskreisen heißt es, Rama habe im Gefängnis kleine Gebetskreise gegründet und missioniert. Auf Anfrage von Deutschlandfunk Kultur weist er diese Vorwürfe entschieden zurück. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, auf welchen wirren Wegen er zum Islam gefunden hat:
"Zum Islam bin ich durch Verschwörungstheorien gekommen – falls Ihnen Freimaurer oder Illuminati was sagen und zum Schluss durch einen konvertierten Homepageprediger."

Die Sinnsuche führte in die Radikalisierung

Ein junger Fußballer – offensichtlich auf der Suche nach dem Sinn im Leben. Diese Suche führt aber in die Radikalisierung. Kein Einzelfall, sagt Jan Buschbom. Als wissenschaftlicher Leiter arbeitet er für das sogenannte Violence Prevention Network. Ein staatlich geförderter Träger, der sich deutschlandweit um radikalisierte junge Menschen und deren Angehörige kümmert. Buschbom ist selbst als Berater tätig. Und er berichtet, dass sich immer wieder Vereine aus dem Breitensport melden. Besonders betroffen: der Fußball. Weil dieser Sport eben bei jungen Menschen besonders beliebt sei:
"Das heißt, das sind Vereine, die bemerken, dass bei manchen ihrer Mitglieder und Sportler Veränderungen stattfinden, die da einfach Fragen haben. Es sind aber durchaus auch Vereine, wo Jugendliche sich dann de facto radikalisiert haben. Wo dann Jugendliche tatsächlich nach Syrien oder in den Nordirak ausgereist sind."
Buschbom sagt, es gibt Anfragen von Amateurklubs, aber auch aus dem Jugendbereich von Profivereinen. Einzelfälle zwar. Aber traurige Realität.

Vom Torjäger zum Syrien-Kämpfer

Dramatisch die Geschichte eines Fußballers aus Bayern: Der Deutsch-Türke Mehmet war Torjäger für einen Amateurverein, der aber lieber anonym bleiben will. Zu schmerzlich ist die Erinnerung an den verlorenen Spieler. Denn auch Mehmet kam in Syrien ums Leben − als Kämpfer einer Al-Kaida nahen Gruppe.
Treffen mit Mehmets ehemaligem Trainer auf dem Gelände eines Fußballvereins. Es riecht nach frischem Rasen. Wir nehmen Platz auf einer Bank abseits des Spielfelds:
"Er war ein super Spieler. Eines der besten Talente, die wir hervorgebracht haben in unserem Verein. Er war voll integriert."
Mehmet, der begabte Stürmer, spielte sieben Jahre beim Verein. Er war voll dabei: auf Partys, bei Faschingsumzügen und Trainingslagern. Er trank sogar Alkohol. Später ging Mehmet ins Ausland. Er studiere Arabisch in Ägypten, hieß es. Noch einmal kehrte er für ein paar Monate in seine bayerische Heimat zurück. Rückblickend gab es Anzeichen für eine Veränderung, sagt der Trainer.
Neben dem Trainer sitzt ein ehemaliger Bekannter von Mehmet. Auch er vermisst den geliebten Torjäger. Gemeinsam erinnern sie sich an die letzte Zeit mit ihm:
"Es gab Situationen nach dem Spiel, wo er nur noch in Unterwäsche geduscht hat. Oder teilweise gar nicht mehr geduscht hat. Wo er den Ramadan viel bewusster gelebt hat."
"Uns war bewusst, dass er aus einer gläubigen Familie stammt. Für uns war das relativ normal. Wir haben uns da nicht weiter Gedanken gemacht."

Mehr Aufklärungsarbeit in den Vereinen

Wie hätte dem Verein die Radikalisierung auffallen sollen? Jan Buschbom vom Violence Prevention Network wünscht sich mehr Sensibilität von den Verbänden. Aus seiner Sicht sollten sie Aufklärungsarbeit in den Vereinen fördern und Workshops organisieren. Mit Referenten, die sich seit Jahren mit dem Thema Islamismus auseinandersetzen. Aber:
"Gerade im Vorfeld vom Profisport liegt der Fokus sehr stark auf dem Sportlichen und damit auf der Leistung selbst. Da versucht man natürlich das auszublenden, was da irgendwie störend wirken kann. Und mit den Themen, mit denen wir uns befassen, das sind massiv störende Faktoren."
Wird das Problem ignoriert? Auf eine Anfrage antwortet der Deutsche Fußball-Bund, man sei in Kontakt mit staatlich geförderten Beratungsstellen. Bisher seien von Sportvereinen aber kaum Fälle an diese Stellen herangetragen worden. Zudem würden auf Ebene der 21 Landesverbände konkrete Angebote geschaffen. Zum Beispiel beim Bayerischen Fußball-Verband. Dessen Sprecher Thomas Müther erklärt, dem BFV seien keine konkreten Fälle im Freistaat bekannt. Aber, so gibt er zu verstehen, der Verband ist vorbereitet:
"Wir haben einen eigenen Mitarbeiter für den Bereich Soziales hier beim Bayerischen Fußballverband, der sich um diese Themen kümmert. Und wenn sich Vereine an uns wenden, dann in die Netzwerke reingeht, mit den Experten und Beratungsstellen spricht. Und dann auch den direkten Draht zu den Vereinen herstellt."

Die Trainer nehmen Veränderungen als erste wahr

Fußball-Verbände verschaffen sich offensichtlich gerade einen Überblick über Beratungsangebote. So gibt es den deutschlandweit aktiven Träger Ufuq.de. Dieser betont auf Anfrage, man sei in der sogenannten "universellen Prävention" tätig. Ganz normale Jugendliche im Vorfeld etwaiger Radikalisierung seien die Zielgruppe. Ufuq möchte also tätig werden, bevor sich Menschen überhaupt radikalisieren. Fußballtrainer sind laut Ufuq mitunter die ersten, die Veränderungen bei Jugendlichen wahrnehmen, und sie verfügen über soziale Bindungen. Wie tickt der Torwart oder Stürmer abseits des Platzes?
"Auf den ersten Blick sah er wie ein durchschnittlicher Moscheebesucher aus."
… sagt Irfan Peci, ein Salafisten-Aussteiger aus Weiden in der Oberpfalz. Mitte der 2000er-Jahre, als er noch selbst in der Szene aktiv war, traf er einen jungen Mann vom Balkan. Einer, der nach Deutschland gekommen war und hier Fußballprofi werden wollte:
"Er war modern gekleidet, hatte damals, kann ich mich erinnern, eine enge Jeans an. Kein Bart, gar nix. Überhaupt nix Auffälliges."

Ein Doppelleben

Aber der erste Eindruck täuschte. Der junge Mann führte ein Doppelleben. In Wirklichkeit waren er und Irfan Peci Gleichgesinnte. Sie wurden Freunde. Für seinen Kumpel, erzählt Peci, seien die Mitspieler Ungläubige gewesen.
"Und was ich dann auch mitbekommen habe, dass er zu einem der bekanntesten und einflussreichsten Salafisten-Prediger auf dem ganzen Balkan, Jusuf Barcic heißt der, gute Kontakte hatte. Und er gehörte zu diesem engsten Kreis um Barcic herum. Dieser Bacic ist dann später bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ich kann mich noch genau erinnern, wie er damals aus Deutschland nach Sarajevo zu seiner Beerdigung gegangen ist. Er war sehr emotional mitgenommen."
Irfan Peci sagt, der junge Mann war hin und hergerissen. Einerseits lebte er den Fußballtraum, schaffte es als Halbprofi bis in die vierte Liga. Andererseits wollte er auch seinen Glauben leben – so wie es ihm gefiel.
"Als ich ihn zum Beispiel besucht habe und er sich gerade frisch rasiert hatte. Und dann ein schlechtes Gewissen hatte, dass es die Umstände ihm nicht erlauben, das nach außen zu zeigen. Wie es sich für einen Salafisten gehört – sich einen langen Bart wachsen zu lassen, sich sozusagen islamisch zu kleiden. Er hat es versucht in Einklang zu bringen, aber das hat ihm Probleme bereitet."
Irgendwann ist der Kontakt zu Irfan Peci aus Weiden abgebrochen. Peci ging auf Abstand zur Szene, der Kumpel aber sei mittendrin gewesen:
"Und dann habe ich erfahren, dass er nach Nürnberg gezogen ist. Und dass sich da so einiges verändert hat, dass er keinen Fußball mehr spielt. Und dann hat mir einer ein Foto gezeigt. Und dann hat er da so einen längeren Bart gehabt und dass er in der Zwischenzeit verheiratet ist. Und ich kannte ja die Leute aus Nürnberg. Wir waren auch öfter da in Nürnberg. Da gab es einige Dschihadisten vom Balkan."

Besucher mit langen Bärten

Ist hier eine Fußballer-Karriere endgültig zerbrochen? Jan Buschbom sagt, Vereine müssten sich rechtzeitig an Beratungsstellen wenden:
"Also wenn sich jemand aus dem Verein zurückzieht, nicht mehr so aktiv wird. Jemand, der vielleicht vorher sehr kommunikativ war, der sich so ein bisschen zurückhält. Solche Dinge eben."
Aber es gibt kein Patentrezept. Die Fälle sind unterschiedlich. Und nicht immer ziehen sich Spieler zurück. Manche gehen in die Offensive. Das haben sie bei dem Verein in München gemerkt.
Dort, wo Rama gespielt hat, der Familienvater, der seit mehr als drei Jahren im Gefängnis sitzt:
"Man hat mit der Zeit gemerkt, dass immer mehr Freunde in entsprechender Kleidung am Fußballplatz waren. Auch teilweise mit langen Bärten."
… sagt der erste Vorstand. Er hat Rama erklärt, dass diese Kumpels nicht willkommen sind. Und irgendwann sind sie dann auch ferngeblieben. Im Verein hatten sie den Eindruck, die ungebetenen Besucher würden Kontakt zu Ramas Mitspielern suchen:
"Dass sie genau beobachtet haben, wie viele Moslems sind da im Verein, wer spielt, was haben die für eine Kultur. Sie haben den indirekten Kontakt sehr intelligent gesucht."

Sympathien für den IS

Wollten sie missionieren? Recherchen von Deutschlandfunk Kultur ergeben, dass Rama abseits des Fußballplatzes Kopf einer Kleingruppe von Münchner Salafisten war, die teilweise mit Organisationen wie der Terrormiliz IS sympathisierten. Eine Gruppe, die eigene Fußballspiele organisierte. Wohl auch, um Neuankömmlinge für den Islam zu begeistern. So stellt es Rama dar:
"Ich habe immer versucht, Jugendliche aus der Drogenszene rauszuholen, weil sich der Staat um diese nicht kümmert. Ich weiß es zu gut, weil ich selbst in so seiner Drogenszene drin war. Ich habe niemanden für den IS angeworben."
Diese Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen sollte nicht Salafisten überlassen werden. Gerade der Sport ist eine Chance, um junge Menschen von einer Radikalisierung abzuhalten. Um so wichtiger ist es, sich mit ihrem Leben abseits des Fußballplatzes zu beschäftigen. Der Vorstand von Ramas Ex-Verein hat sich das fest vorgenommen. Damit sich nie wieder ein junger Mann im Verein radikalisiert.
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