Sakrale Töne am Krankenbett

Von Bernhard Doppler |
Tiere, Kleinwüchsige und viel liturgisches Personal lässt Christoph Schlingensief in seiner Inszenierung der "Jeanne d'Arc" aufmarschieren. Die Berliner Aufführung der Braunfels-Oper überzeugt mit einem ausgezeichneten Chor, einem einfühlsamem Orchester und herausragenden Solisten.
Darf man eine kultische Handlung, die Nachstellung der Passionsgeschichte der heiligen Johanna, als profaner Theaterkritiker rezensieren? Noch dazu, wenn der Mann, der die Idee und szenische Konzeption dieses Opernoratoriums verantwortet, Christoph Schlingensief, ebenso wie die Heilige in dieser Aufführung in einem Krankenbett liegt und sich von einem Regieteam (Anne-Sophie Mahler, Soren Schuhmacher und Carl Hegemann) bei der Realisation der Aufführung vertreten lassen muss? Ist da nicht Ehrfurcht und Pietät statt kritischer Erörterung gefragt?

Christoph Schlingensief hat in der Tat bei der szenischen Uraufführung der von Walter Braunfels schon vor siebzig Jahren komponierten "Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna" ein sakrales Ritual vor Augen gehabt und es mit seinem Wandertheaterzirkus von Kleinwüchsigen, einem spastischen Tänzer und viel liturgischem Personal aus allen Welt-Religionen, aber auch mit Tieren, Schafen, Ziegen und einer Kuh auf der immer voll geräumten Drehbühne zelebriert und es so wohl auch gegen Kritik immunisieren wollen.

Johannas Vater, der Bauer Jakob, trägt Bischofsmütze und Bischofsornat und kommt im Schlitten. Daneben Krankenhausbetten, Särge und Baren, auf denen Kranke oder Leichen zur Verbrennung getragen werden. Vor allem überblenden nämlich immer wieder Videoeinspielungen von Feuerbestattungen in Nepal, die Schlingensief selbst gedreht hat und bei denen er sich auch immer wieder selbst ins Bild bringt, die einzelnen nie zu Ruhe kommenden Bilder.

Das Regieteam kokettiert dabei mit der fragmentarischen Unvollkommenheit solcher "weltlichen" Realisation des Meisters. Auf Pappschildern, die herein getragen werden, ist zu lesen: "Nach Aufzeichnungen von Christoph Schlingensief" und "Hier fehlt ein großes Ritual".

Walter Braunfels wurde im Zusammenhang dieser Uraufführung nach siebzig Jahren in die Schublade jener vergessenen, in den zwanziger Jahren aber erfolgreichen Komponisten gesteckt, die zunächst durch die Nationalsozialisten aus ihrem Wirkungskreis vertrieben wurden, nach 1945 aber dem Mainstream ambitionierter atonaler Musik nicht entsprachen.

Das erklärt "Jeanne d'Arc" nur sehr eingeschränkt. Die angekündigten Jazz-Elemente etwa sind kaum hörbar. Nach dem Vorbild von Hindemiths "Mathis der Mahler", aber es nie erreichend, hat sich Braunfels in der inneren Emigration wohl in eine Sackgasse komponiert: sicherlich spröder als süßliche konventionelle sakrale Musik, wohl auch sehr "postmodern" eklektizistisch, aber durchaus nahe dem Zeitgeist der fünfziger Jahre.

Braunfels war ja auch nach dem Zweiten Weltkrieg sogleich wieder Präsident der Kölner Musikhochschule und bis auf die "Jeanne d'Arc" wurden seine religiösen oder semireligiösen Werke auch alle im Rundfunk oder Fernsehen der Adenauerzeit geboten.

In der Deutschen Oper hat Braunfels Werk freilich ausgezeichnete Bedingungen vorgefunden: einen ausgezeichneten Chor, ein einfühlsames Orchester unter der Leitung des Braunfels-Spezialisten Ulf Schirmer, der spannungsreich den neunzehn Sänger-Solisten, allen vor insbesondere Mary Mills in der Titelrolle, punktuell immer wieder im Trubel des Schlingensief-Zirkus musikalische Ruhe- und Konzentrationsräume schaffen konnte, in denen sie sich entfalten konnten und überzeugt haben.

"Jeanne d'Arc. Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna"
Von Walter Braunfels
Inszenierung: Christoph Schlingensief
Deutsche Oper Berlin