Saisonfinale mit Brahms

27.06.2014
Es ist nun schon ein gutes Jahr her, aber denen, die am 2. und 3. März 2013 das DSO in der Berliner Philharmonie hörten, dürfte Tugan Sokhievs Interpretation von Johannes Brahms' Vierter Symphonie in lebendiger Erinnerung geblieben sein. Das Werk ist nicht eben unbekannt, doch selbst Musikfreunde, die sich darin auszukennen glaubten wie in ihrem Wohnzimmer, fühlten sich mit diesem Brahms-Erlebnis in andere Räume versetzt.
Zum Abschluss der jetzigen Saison steht wieder Brahms auf dem Programm, seine "Fünfte", wie Arnold Schönberg das Werk scherzhaft nannte. Es war ursprünglich keine Symphonie, sondern das erste von drei Quartetten für Klavier und Streichtrio, lange vor der Ersten entstanden. Schönberg instrumentierte es für Orchester, als er im amerikanischen Exil lebte und - wie viele andere, die sein Schicksal teilten - oft über die Tradition nachdachte, in der er stand. Als Grund für seine Bearbeitung gab er an, er wolle einmal alles in diesem Werk hören; das gelinge in der Originalfassung nie, "weil der Pianist, je besser er ist, desto lauter spielt, und man nichts von den Streichern hört".
Die "Four Sea Interludes" stehen ursprünglich als instrumentale Vor- und Zwischenspiele in Brittens Oper "Peter Grimes". Sie lassen etwas von der Tragödie, aber auch von den vereinzelten Hoffnungsschimmern ahnen, die in den Szenen danach hervortreten. Als symphonische Suite auserhalb der Oper ohne Handlungszusammenhang gespielt, verlangen sie den Spürsinn eines Musikdramatikers, der Andeutungen als Unterstrom in der Musik zu vermitteln versteht, denn hinter den schönsten Stellen lauert oft die härteste Spannung, und in stürmischen Passagen klingt die Erwartung ruhiger und heller Zeiten durch.
Britten reflektierte am historischen Stoff auch ein Stück seiner eigenen Situation. Ähnliches gilt für Schostakowitschs Erstes Violinkonzert, das 1948 komponiert wurde, aber bis zur Uraufführung sieben Jahre unter Verschluss blieb. Das Namenssymbol des Komponisten, die Tonfolge D-S-C-H, spielt in dem Werk eine wichtige Rolle. Als Scherzo wählte Schostakowitsch die symphonische Aufarbeitung eines Frejlach, eines jüdischen Tanzes, der Konflikt des Einzelnen (Solist) mit der Übermacht (Orchester) wird an einigen Stellen beispielhaft ausgetragen - mit unterschiedlichem Ausgang.
Den Solopart gestaltet Lisa Batiashvili. Die georgische Geigerin gehört zu Sokhievs Künstlergeneration, die sich nicht mehr an der Enträtselung von Schostakowitschs Musik abarbeiten muss. Sie sind mit ihr aufgewachsen, sie ist für sie längst Teil des anerkannten Repertoires und des musikalischen Sprachfundus geworden, den man von innen her, aus dem musikalischen Text erschließt. (nach Habakuk Traber: "Saisonfinale mit Brahms" in DSO-Nachrichten 05/06/2014)
Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 20.06.2014
Benjamin Britten
„Four Sea Interludes" aus „Peter Grimes" für Orchester op. 33a
Dmitrij Schostakowitsch
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 a-Moll op. 99
ca. 21:00 Uhr Konzertpause
Johannes Brahms
Klavierquartett Nr. 1g-Moll op. 25
für Orchester gesetzt von Arnold Schönberg
Lisa Batiashvili, Violine
Leitung: Tugan Sokhiev