Sahin, Altintop, Bastürk: Wer spricht hier von Integration

Von Norbert Seitz |
Da wurden selbst notorische Türkenhasser im Lande richtig neidisch:
Kaum eingewechselt, verpasste der 17-jährige Nuri Sahin der deutschen Fußball-Nationalmannschaft das spielentscheidende 0:2.

So geschehen beim jüngsten Länderspiel in Istanbul.

Währenddessen wirkten jene jungen Deutschen auf dem Rasen ungelenk und müde, wo sie doch im nächsten Jahr in heimischen Stadien den vierten WM-Titel holen sollen.

Nuri Sahin stammt aus dem Sauerland, ist in Lüdenscheid aufgewachsen

Zudem ist er Gymnasiast, also keiner, der dem landläufigen Vorurteil nach das deutsche Pisa-Niveau an den Schulen drückt. Eine Integration par excellence – möchte man meinen.

Doch weit gefehlt. Denn viele deutsche Fans sind verwundert darüber, dass der Junge nicht für Deutschland kickt, obwohl er dort das Licht der Welt erblickt hat, der deutschen Sprache mächtiger ist als der seiner Eltern und hierzulande mit dem Fußballspielen groß geworden ist.

Es gibt viele solcher deutsch-türkischen Talente, die in der Bundesliga heranreifen, deren Eltern aber - mit einer einzigen Ausnahme - bislang entschieden haben, dass ihre Kinder lieber den Halbmond als den Adler auf der nationalen Brust tragen sollen.

Dazu zählen auch die in Gelsenkirchen geborenen Zwillinge Altintop, die in Schalke und Kaiserslautern in der Stammelf stehen, der aus Herne kommende Ildiray Bastürk, bei Hertha BSC einer der besten Techniker der Liga.

Was wunder, dass sich am Fall des Ausnahmefußballers Nuri Sahin wieder einmal die Geister heftig scheiden.

Auf der einen Seite die Multi-Kulti-Euphoriker, die den intelligenten Jungkicker als Musterbeispiel einer gelungenen Integration bejubeln, weil er schließlich nicht für Türkyemspor sondern für Borussia Dortmund spiele und ein deutsches Gymnasium besuche.

Heimatstolz in der Ferne sei noch lange kein Nationalismus, dröhnt es belehrend aus jener Ecke.

Auf der anderen Seite halten Kritiker das Verhalten von Sahins Eltern für ein zynisches Signal von verweigerter Integration.

Und politisch verweisen sie auf eine erwartbare Spätfolge des von Rot-Grün eingeführten Doppelpasses, der in den Augen seiner Gegner im Namen von kultureller Vielfalt nur zu nationaler Beliebigkeit geführt habe.

Doch das Beispiel des deutsch-türkischen Jungtalents muss auch unter einem anderen Aspekt betrachtet werden:

Denn wieder einmal sind dem Deutschen Fußball-Bund Versäumnisse vorzuhalten.

Der größte Sportverband der Welt hat sich offenbar wenig Mühe gemacht, Nuri Sahin für Deutschland zu gewinnen. Er schickte lediglich zwei Jugendtrainer mit einer höflichen Anfrage zu seinen Eltern.

Währendessen richtete der türkische Fußballverband ein Europabüro ein, um Talente frühzeitig zu Sichtungslehrgängen einzuladen.

Und Vater Sahin gibt offen zu: "Wären die Deutschen hartnäckiger gewesen, würde Nuri jetzt für Deutschland spielen." Doch mit Verlaub: Was kostet solche Hartnäckigkeit?

Trotz dieser Versäumnisse wies Jürgen Klinsmann gerade die Offerte des im Elsass geborenen französischen Bundesligakickers Valerien Ismael zurück, bei der WM 2006 für Deutschland spielen zu wollen.

Der Spitzenverteidiger des deutschen Rekordmeisters FC Bayern habe "keine richtige Beziehung zu Deutschland" erklärt der in Kalifornien ansässige Sunnyboy des deutschen Fußballs.

Mit einer solchen Begründung wäre DFB-Präsident Mayer-Vorfelder wohl in der liberalen Presse als Rechtsradikaler verunziert worden.

Zwei Gegenfragen seien dazu gestattet:

Soll die rasche Einbürgerung von auswärtigen Spielern die Defizite bei der deutschen Nachwuchsarbeit vergessen machen?

Und wenn schon - warum gilt nicht für Ismael, was für unseren aus Ghana stammenden Nationalspieler Asamoah schon lange gilt?

Die Personalie Nuri Sahin berührt schließlich auch das Selbstverständnis von Nationalmannschaften überhaupt.

Erinnern wir uns: 1998 zur WM in Frankreich hatte Franz Beckenbauer zum Entsetzen vieler die Nationalmannschaft als einen Anachronismus abgestempelt. Den Global Players und Global Teams gehöre stattdessen die Zukunft.

Doch hier irrte der geschmeidige Trendsetter gewaltig. Denn Nationalmannschaften haben nirgendwo an Identifikation und Publikumszuspruch eingebüßt.

Im Gegenteil: Längst geht von ihnen ein neuer Charme aus. Gerade weil für Nationalmannschaften Gagenhöhe und Werbeverträge nicht konstitutiv sind, sondern traditionelle Wertbezüge wie Herkunft oder eine gemeinsame Kultur, die eine Zeit lang als nicht mehr up to date galten.

Die gemeinsame Kultur gehorcht freilich keiner Blut-und Boden-Ideologie mehr, sondern der eher locker verwandten Devise: "Deutscher ist, wer für Deutschland spielt."


Norbert Seitz, geboren 1950 in Wiesbaden, promovierter Politologe, ist verantwortlicher Redakteur der politischen Kulturzeitschrift "Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte"; schreibt u. a. für den "Tagesspiegel", die "Frankfurter Rundschau" und verschiedene Magazine. Letzte Buchveröffentlichung: "Die Kanzler und die Künste. Die Geschichte einer schwierigen Beziehung" (2005).