Sagenhafte Amazonen

Der Amazonen-Mythos gehört zu den stärksten und beständigsten "großen Erzählungen" der europäischen Kulturgeschichte. Doch gab es die Amazonen überhaupt? Dieser Frage geht das Historische Museum der Pfalz in einer neuen Ausstellung nach.
Amazonenmeer – diesen Beinamen soll das Schwarze Meer lange Zeit gehabt haben. Das Historische Museum der Pfalz untermauert mit seiner neuen Ausstellung die These, dass die legendären Kriegerinnen, die seit der Antike europäische Geschichtsschreibung und Kultur bewegen, ihren Ursprung an den Ufern des Schwarzen Meeres haben.

Zur Beweisführung kombiniert man in Speyer kunstvoll antike Schriftquellen mit archäologischen Funden aus dem Steppenraum auf der Nordseite des Schwarzen Meeres. Dort, in der heutigen Ukraine, sind erst in jüngster Zeit mehrere hundert Gräber bewaffneter Frauen geöffnet worden. Diese Frauen gehörten zu den Skythen, einem nomadischen Reiterkriegsvolk, das etwa seit dem siebten vorchristlichen Jahrhundert bekannt ist.

Dazu passt der Schlüsseltext der Amazonen-Ausstellung, zweieinhalb Seiten aus dem vierten Buch von Herodots "Historien". Der Text dient als Leitfaden für den antiken Teil der Ausstellung. Auf der Flucht vor den Griechen sollen die Amazonen am Nordufer des Schwarzen Meeres mit den Skythen ein neues Volk gegründet haben, berichtet Herodot. Dazu der Speyerer Kurator Lars Börner:

"Und dieses Volk kennt Herodot als ein skythisches Volk der Sauromaten und er erklärt sich eben über diese Legende, warum sauromatische Frauen zu seinen Lebzeiten noch sich kleiden wie Männer, reiten wie Männer, jagen wie Männer. Weil sie von den Amazonen abstammen."

Herodot hält jedoch die Region Themiskyra am südöstlichen Ufer des Schwarzen Meeres auf dem Gebiet der heutigen Türkei für das Ursprungsgebiet der Amazonen.
Aus diesem Gebiet fehlen jedoch noch archäologische Beweise. Das kann auch mit dem männlichen Blick der Forscher zusammenhängen, betont der Speyerer Kurator Lars Börner:

"Die ältere Forschung hat sich immer ein Dogma auferlegt, indem dann die Gräber, in denen Waffen gefunden wurden, automatisch mit Männern verbunden wurden. Und so kann es sein, dass uns noch etliche andere Gräber einfach verloren gegangen sind, weil die anthropologischen Untersuchungen damals auch nicht gemacht worden sind oder auch nicht gemacht werden konnten, da es auch keine Anthropologie gerade im 19. Jahrhundert gegeben hat."

Die Kolonialzeit des 19. Jahrhunderts sorgt jedoch dafür, dass sich der europäische Amazonenmythos über die ganze Welt verbreitet. Immer am Rande neu kolonisierter Gebiete tauchen die sagenhaften Kriegerinnen als Erzählung wieder auf – als politisches Gegenbild zum eroberten Raum, das macht die Ausstellung sehr schön anschaulich.

Gleichzeitig werden die Amazonen, die immer auch schon in Afrika vermutet wurden, Gegenstand des Triumphes und der Vergnügungssucht der europäischen Eroberer. In den sogenannten "Völkerschauen" zoologischer Gärten wurde auch ein "Amazonen-Corps" aus Afrika gleich neben den Käfigen der Tiere beim Bogenschießen vorgeführt. In Speyer gibt es dazu historische Filmsequenzen zu sehen. Andrea Rudolf vom Museum Speyer hat dieses Thema auch in einem Text für den Katalog aufgearbeitet:

"Das heißt, wir haben seit dem 17. und 18. Jahrhundert bekannt in Westafrika im damaligen Dahomey – heute Benin - eine Elitetruppe und diese Elitetruppe des Königs von Dahomey bestand in erster Linie aus Frauen. Diese Frauen wurden besonders durch die Kriege mit Frankreich, die Kolonialkriege Ende des 19. Jahrhunderts bekannt und dann erlangten sie schließlich Berühmtheit im Zuge der Völkerschauen, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sehr populär waren und eine beliebte Freizeitunterhaltung."

Eine Freizeitunterhaltung ganz anderer Art, eine Amazonenoper nämlich, schuf 1763 die Kurfürstin von Sachsen, Maria Antonia Walpurgis. Mit ihr beginnt der letzte Teil der Speyerer Ausstellung, der die Faszination andeutet, die die Amazonen wohl immer schon auf Frauen ausgeübt haben. Maria Antonias fiktive Amazonenkönigin Tallestri verzichtet am Ende der Oper zum ersten Mal nicht auf ihre Macht, sondern fordert Gleichberechtigung der Geschlechter in Ehe und Politik. Die Kurfürstin verstand sich wohl selbst als bewaffnete Amazone. Ein Teil ihrer großen Flintensammlung ist in Speyer zu sehen. Andrea Rudolf:

"Eine der Flinten zeigt sogar sehr starke Abnutzungsspuren, das heißt, sie war oft in Benutzung und aufgrund der häufigen Verwendung musste sie entsprechend oft gereinigt werden, so das die Gravuren schon fast wegpoliert sind. Eine andere Besonderheit ist eine Damengarnitur, die für sie angefertigt wurde, die aus einer Flinte und zwei eigenen Pistolen besteht."

Der Amazonenmythos lebt also Jahrtausende nach seiner Entstehung weiter – nicht zuletzt als Vorbild für politisch engagierte Frauen. Ein bisschen zu kurz kommt in der Speyerer Ausstellung und im Katalog die Rezeptionsgeschichte im jüngeren Feminismus, etwa in den 1970er Jahren. Doch alles in allem ist dem Historischen Museum der Pfalz wieder eine Präsentation gelungen, die zu Recht weit über den deutschen Südwesten hinaus Beachtung finden wird. Nicht nur für Amazonen im Geiste heißt es nun: Auf nach Speyer!

Homepage des Historischen Museums der Pfalz
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