"Sag Du zur Dattelpalme!"

Von Stefan Keim |
Der Name Gottes und Tamar, die Dattel, dienten Rupert Huber als Ausgangspunkt für seine musikalische Installation "Tamar". Bei der Ruhrtriennale wurde das skurrile Stück uraufgeführt.
Schwarz gekleidete junge Menschen brüllen eine Palme an. Einige hundert Besucher schauen ihnen dabei zu. Nein, Hape Kerkeling hat seine Neue-Musik-Persiflage "Hurz!" nicht in größerem Rahmen wiederholt. Es handelt sich um eine offizielle Uraufführung bei der Ruhrtriennale, um die musikalische Installation "Tamar" von Rupert Huber.

Der kleine Mann mit Glatze und Wallebart ist ein Schamane. Und gleichzeitig Leiter des ChorWerks Ruhr, das gerade noch bei den Aufführungen von Schönbergs "Moses und Aron" eine fantastische Leistung gebracht hat. Diesmal gibt der Projektchor ein seltsames Bild ab. Doch der Reihe nach: Rupert Huber will im ersten Teil einen alttestamentarischen Ritus nachstellen. Damals reinigte sich der oberste Priester durch Fasten und Enthaltsamkeit, um Gott bei seinem geheimen Namen anrufen zu können. Einen ähnlichen Prozess haben nun einige Tänzer und Musiker hinter sich. "Lebe vier Tage ganz allein, ohne Speise, in größter Stille ohne viel Bewegung." Das verlangt in diesem Fall nicht Gott, sondern Karlheinz Stockhausen. Damit will er den "kreativen Geist in eine bestimmte Richtung treiben." Denn sein Stück "Goldstaub" aus dem Zyklus "Aus den sieben Tagen" besteht nicht aus Noten, sondern aus Spielanweisungen, die den Musikern die Grundlage für "intuitive Musik" geben.

Beim Auftritt in der Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Nord, dem Ort, an dem auch Christoph Schlingensiefs "Kirche der Angst" entstand, treten erst mal die Tänzer auf. Kalkweiß sind ihre Körper, sie zucken, winden sich, einer schlägt den Kopf auf den Boden und kratzt daran mit den Fingernägeln. Sie sind eine Art mentale Putzkolonne für die Musiker. Ein kleines Ensemble um den Komponistensohn Markus Stockhausen entwickelt nun Klänge, die oft überraschend harmonisch wirken. Dann folgt die Anrufung Gottes. Weil sein geheimer Name nicht mehr bekannt ist, gibt es als Ersatz die Motette "Singet dem Herrn ein neues Lied" von Johann Sebastian Bach. Das ChorWerk Ruhr singt ordentlich, aber nicht überragend, mit einigen Intonationsproblemen, wie ein mittelklassiger Kirchenchor.

Vor der Pause war es – bei mangelnder spiritueller Erleuchtung – langweilig, im zweiten Teil wird der Abend grotesk. Da kommt die Dattelpalme, die in der jüdischen Überlieferung mit dem Baum des Lebens im Garten Eden in Verbindung gebracht wird. Rupert Huber erprobt in seiner Komposition "Tamar" – so heißt die Dattel auf Hebräisch – verschiedene ungewöhnliche vokale Formen. Kontakt- und Resonanzgesang zum Beispiel, der auf Berührung reagiert oder auf eine Wirkung zielt. Dabei klingt die Stimme nicht geformt, sondern ursprünglich, bei einigen überschlägt sie sich wie bei Tarzans Rufen durch den Urwald. Dazu schlagen die Sänger auf Klangschalen oder streichen mit Geigenbögen daran. Für das ChorWerk Ruhr mag es ein spannendes spirituelles Erlebnis sein, von außen sieht die ganze Sache einfach nur behämmert aus, wie junge Leute bei einer Schreitherapie.

Es gab schon einige seltsame Erlebnisse bei der diesjährigen Ruhrtriennale, zum Beispiel ein Konzert mit Marianne Faithfull, bei der die mollig gewordene Sängerin ständig ihre Texte vergaß. Aber skurriler geht´s immer, "Tamar" schießt in dieser Hinsicht die Dattel ab. Doch Willy Deckers Inszenierung von "Moses und Aron" war so stark, dass dieser Jahrgang des Festivals in positiver Erinnerung bleiben wird.