Saftiges Theater

Von Sven Ricklefs |
Zum zweiten Mal treffen sich beim Theaterfestival "Radikal jung" im Münchner Volkstheater junge Regisseure. Der 28-jährige Florian Fiedler hat zum Beispiel Goethes "Werther" in die Legende des Rockmusikers Kurt Cobain umgedeutet. Nach dem Dekonstruktionstheater gibt es wieder Geschichten mit Anfang und Ende.
Sehr frech, sehr vital, sehr einfallsreich und theatral strotzend kommt dieser "Werther" aus Frankfurt daher, die schnelle schlichte Dreiecksgeschichte von Albert, dem Emsigen, von Lotte und von Werther, dem Lebensverschwender. Mit ihr begann das Festival "Radikal jung" in München und was der 28-jährige Regisseur Florian Fiedler aus der ebenso angejahrten wie noch immer heißspündigen Leselektüre macht, ist saftiges Theater.

Das beginnt wie auf der Bühne eines Rockkonzerts und schrammt dann den ganzen Parcours zwischen Liebe, Eifersucht und Verzweiflung mit Witz und Einfühlung in nichts weiter als einer Kartonlandschaft. Fiedler hat dabei die Anmaßung, Lebensgier und Unbedingtheit eines modernen Rockstars in Goethes Dranggestalt gefunden und hat sie angelehnt an keinen Geringeren als die moderne Grunge-Ikone Kurt Cobain, der sich 1994 das Leben nahm.

Der ehemalige Theaterkritiker und heutige Hochschulprofessor für Kritik C. Bernd Sucher ist einer der drei Juroren, die für das Festival "Radikal jung" des Münchner Volkstheaters nun schon zum zweiten Mal die Auswahl getroffen hat. Und auch, wenn die Veranstalter des überaus erfolgreichen Festivals im letzten Jahr leichte Prügel bezogen für ihr allzu griffig gewagtes Label "Radikal jung", so sieht er doch eine gewisse, wenn auch besondere Radikalität dieser neuen Regisseure:

"Als was für mich verrückt ist, ist diese Lust an privaten Geschichten, also dass die große Welt nicht mehr die Rolle spielt, die sie noch vor zehn Jahren für junge Menschen gespielt hat. Dass die Liebe, selbst in den Aufführungen, die man nicht eingeladen hat, ziemlich zentral ist. Und dass die jungen Menschen reflektieren - sozusagen ihr ganz privates Leben, ihre Situation in einer Gesellschaft. Aber eben nicht wirklich politisch. Es gibt keine Auseinandersetzung über Irak oder Iran, es ist irgendwie sehr privat. "

Mit diesem Interesse an dem, was gemeinhin als privat gilt, setzen sich die jungen Regisseure zwischen 20 und 30 gehörig von dem bis zum Exzess behaupteten politischen Gutmenschengestus der längst in die Jahre gekommenen Alt-68er ab, aber auch von derjenigen Generation, die vor zehn Jahren in ihrem Alter war.

Mitte der 90er Jahre waren diese damals jungen Regisseure in einem Buch versammelt, das versuchte die Gemeinsamkeiten einer Generation zu formulieren. Heute sind Regisseure wie Mathias Hartmann, Anselm Weber, Amelie Niermeyer oder auch Christian Stückl selbst längst Intendanten. Stückl, der einst bei Dieter Dorn an den Münchner Kammerspielen begann, ist Hausherr des Münchner Volkstheaters und damit auch Initiator des Festivals "Radikal jung":

"Wenn man den Jungen aufdrücken will, dass sie radikal sein sollen, das funktioniert sowieso nicht, ich weiß noch, wie Dorn zu mir gesagt hat, setzt mir mein Theater unter Wasser, der wollt immer, dass wir radikal sein sollen, das ist, wie wenn du zu einem Schauspieler sagst, sei mal spontan, dann wird er ganz unspontan."

C. Bernd Sucher: " ... ich glaube auch wirklich, dass Theater sehr viel mit Moden zu tun hat, und jetzt ist wieder die Mode nach diesem Kaputtmachen, nach diesen Sprachflächenkisten von Jelinek, ich will ne Rolle, ich will ne Psychologie, und ich will einen Anfang und ein Ende. Das kann man gut finden, das kann man schlecht finden, aber man muss konstatieren, dass diese jungen Leute da anfangen, wo ihre Großväter aufgehört haben."

Nach Dekonstruktionstheater also wieder die Geschichte mit Anfang und Ende wie andere Künste auch, so lebt auch das Theater von Rückbesinnung und Neubelebung, ohne dass diese Regisseure allerdings als reaktionär gelten könnten.

Die Unbedingtheit, mit der die neuen Regisseure ihre Geschichten erzählen, ist auf ihre Art längst wieder politisch und die Professionalität, mit der sie auf der Klaviatur des Theaters spielen, ist frappant. Es ist die erste Generation, die in den neuen Studiengängen für Regie an Hochschulen und Akademien ausgebildet wurde und die nicht mehr nur allein die nicht immer fruchtbare Ochsentour der klassisch langen Regieassistenz vorweisen kann.

Und so sitzen denn auch die Talentscouts und die Intendanten höchstpersönlich schon in den Zwischenprüfungen, um sich ihre Regisseure von morgen zu sichern. Hoch gehandelt sind Namen wie Florian Fiedler, Jorinde Dröse oder Roger Vontobel – alles Gäste jetzt auch bei "Radikal jung" in München schon heute, und so stehen auch und gerade die Intendanten in der Verantwortung, ihre jungen Talente nicht ungeschützt verbrennen zu lassen.

Eine Ratlosigkeit als Lebensgefühl, sie war es, die sich als Quintessenz im letzten Jahr im Rahmen eines Symposions von "Radikal jung" formulierte, eine Ratlosigkeit, die im Angesicht von Komplexität von Welt im viel zitierten Zeitalter von Informationsflut und Globalisierung vielleicht auch eine politische Äußerung im herkömmlichen Sinne unmöglich macht.

"Radikal jung - 2. Festival junger Regisseure" findet vom 23. bis 30. April 2006 im Volkstheater München statt.