Säxit

Die Okkupanten gehen freiwillig

Ein Fallschirmspringer zieht eine Deutschlandfahne über dem Bürgerfest in Dresden hinter sich her.
Ein Fallschirmspringer zieht eine Deutschlandfahne über dem Bürgerfest in Dresden hinter sich her. © picture-alliance / dpa / Arno Burgi
Von Astrid Friesen · 12.10.2016
Dresden ist ganz ohne Zweifel eine der schönsten Städte Deutschlands. Doch wegen Pegida, AFD und einer aggressiven Wutbürgerkultur denken manche darüber nach, die Stadt zu verlassen, berichtet die Journalistin und Erziehungswissenschaftlerin Astrid von Friesen.
Im August 2015 legte ein Zeit-Journalist den Sachsen einen "Säxit" nahe, einen Austritt aus der Bundesrepublik, weil Pegida demokratische Errungenschaften bepöbele und weil hier alles "greller, verrohter, gefährlicher" sei. Eine Facette dazu: 2005 berichteten zwei meiner Friseurinnen im prosperierenden, phantastisch renovierten Freiberg, dass wohl 60 Prozent ihrer Kunden die Mauer gerne wieder hätten: Natürlich einschließlich Reisefreiheit, Westautos und Arbeitsplätzen für ihre Kinder in der Schweiz, in Österreich oder sogar beim 40 Jahre lang gehassten Klassenfeind.

Aufarbeitung von Verrat und Schuld dauert Generationen

Die psychische Angleichung zweier Gesellschaftssysteme sowie die Aufarbeitung von Verrat und Schuld dauern mehrere Generationen, wie wir Psychologen wissen. Besonders viele Spannungen gibt es zwischen den ehemaligen DDR-Bewohnern: Wer hatte wen bespitzelt? Wer unter der Stasi gelitten? Welche Akademiker-Kinder durften nicht studieren, während Dümmere dieses Privileg bekamen?
Diese Gefühlstabus aus 40 Jahren Diktatur projizierte man nach 1989 munter auf die "West-Okkupanten" und die nie artikulierte Wut bricht sich nun als Fremdenfeindlichkeit Bahn. Wie hoch der Projektionsgehalt ist, lässt sich an den minimalen 2,8 Prozent Ausländern in Sachsen fest machen. Auch die Pegida- und AfD-Eliten-Verachtung ist eine verschobene Wut, die nicht gegen die eigene Eltern-und Autoritäts-Generation – wie 1968 im Westen – formuliert werden konnte, sondern nun verschoben wird auf eine gut funktionierende Demokratie, auf die Schwächsten, die Minderheiten, erneut auf die Wessis.
Natürlich gab es nach der Wende die abzockerischen, die unfähigen, sogar kriminellen, Wessis. Doch wahrscheinlich genauso viele wie auf allen Führungsetagen der DDR, die das Land in den wirtschaftlichen Ruin führten, um im vereinten Deutschland sehr rasch zu Wohlstand zu kommen.

Immer noch fremd Osten

Es gab viele enthusiastische Westdeutsche, die zum Teil wegen ihrer – von der DDR brutal abgeschnittenen Familienbeziehungen – begeistert in den Osten zogen, um beim Aufbau mitzuhelfen. Die einfühlsam und immer wieder schwer drangsaliert mit allen Widrigkeiten, allen unterirdischen Seilschaften, Schweigekartellen und Stasiverstrickungen ringend, um demokratische Strukturen kämpften, die Kunst und Kultur belebten, Welterfahrungen mitbrachten. Sie litten, weil so vieles unter ehemaligen DDR-Bürgern nicht angesprochen werden durfte, sowieso nicht die Wessi-Diskriminierung. Diese Deutsche werden von den ach so deutschtümelnden Pegida-Leuten erneut als Fremde angepöbelt: beim Einkaufen, wegen einer westdeutschen Autonummer. Weil sie keine Sachsen, weil sie an ihrem Hochdeutsch zu erkennen sind. Denn als fremd werden keineswegs nur ausländische Wissenschaftler und Flüchtlinge empfunden!

Westdeutsche wollen weg

Nun höre ich immer häufiger in Dresden, dass engagierte Westdeutsche weg wollen, auswandern: Wegen Pegida, der AfD, der Verrohung. Ein befreundeter Rechtsanwalt klagt: "Wir haben 25 Jahre hier am Aufbau einer Demokratie mitgewirkt. Was hat es genutzt? Gerade Dresden in seiner Schönheit ist eine "Als-ob-Stadt", eine hübsche Fassade und dahinter lauern die ewig Gestrigen aus allen Schichten, die zu Verschwörungstheorien greifen und Intoleranz praktizieren. Viele Westdeutsche wollen also auswandern, bevor es zum "Säxit" kommt!

Astrid von Friesen, Jahrgang 1953, ist Journalistin, Erziehungswissenschaftlerin, sowie Gestalt- und Trauma-Therapeutin in Dresden. Sie unterrichtet an der Universität in Freiberg, macht Lehrerfortbildung und Supervision.




© privat
Mehr zum Thema