Sänger Asaf Avidan

Manchmal klinge ich "wie eine verwundete Katze"

Der Sänger Asaf Avidan bei einem Auftritt beim französischen Festival ArtSonic Briouze 2017.
Sänger Asaf Avidan: "So wurde die Imperfektion zur Ideologie." © picture alliance / dpa / MAXPPP / Victor Bergeon
Asaf Avidan im Gespräch mit Oliver Schwesig · 07.11.2017
Mit dem Song "One Day" wurde Asaf Avidan bekannt. Gerade ist sein neues Album "The Study On Falling" – eine Studie über das Fallen - erschienen. In seiner Musik drücke er seine Emotionen und Ängste aus, sagt der Sänger aus Jerusalem.
Oliver Schwesig: Das ist ein sehr erdiger, flehender Blues – eine durch und durch amerikanische Musik, in den USA aufgenommen. Sie sagen: Dort, wo auch die Wurzeln Ihrer Musik sind, wollten Sie unbedingt diese Musik aufnehmen. Blues und Rock kann man ja eigentlich überall auf der Welt spielen. Warum war Ihnen diese Verankerung dort so wichtig?
Asaf Avidan: Weil die Lieder das vorgegeben haben. Ich hatte eine Menge Songs angehäuft, die auf gewisse Art alle in der Tradition amerikanischer Storyteller standen. Hätte ich diese Lieder wie gewöhnlich in Israel aufgenommen – ich wäre zum Dieb geworden. Das hätte sich weder richtig noch echt angefühlt. Ich wollte aus meinen Inspirationsquellen kein Hehl machen. Daher habe ich nach Amerikanern gesucht, die dieses Album mit mir aufnehmen würden. Das erst hat mir die Legitimation für dieses Projekt gegeben. Und ich hatte Glück und fand einen Produzenten und Musiker, die mir das Gefühl gaben, dass das alles so okay ist.

Fehler sind ein wichtiger Teil der Session

Schwesig: Und haben Sie erreicht, was Sie eigentlich erreichen wollten?
Avidan: Ich glaube, kein Musiker, der wirklich ehrlich zu sich ist, wird sagen, dass er genau das erreicht hat, was ihm vorschwebte. Aber ich habe aus den Aufnahmen etwas Wichtiges für mich mitgenommen – und das kam von Mark Howard. Er hat Alben von Bob Dylan, Tom Waits, REM und U2 produziert, und nun auch meines. Von ihm habe ich gelernt, dass beim Aufnehmen nichts anderes eine Rolle spielt als ein guter Take. Man muss wissen, dass bei Howard alle Musiker zusammen in einem Raum spielen, nicht wie sonst üblich getrennt voneinander. Das hat zu Folge, dass sich immer irgendwelche Fehler einschleichen, selbst bei noch so tollen Session-Musikern. Was Howard mir also beibrachte, ist, nicht nur diese Fehler zu akzeptieren, sondern sie als wichtigen Teil der Session zu begreifen. So wurde die Imperfektion zur Ideologie. Wenn Sie mich also fragen, ob ich erreicht habe, was ich wollte, muss ich verneinen. Aber ich habe etwas viel Wichtigeres gelernt: dass man nicht perfekt sein kann.
Schwesig: Hat sich denn Ihre Sicht auf die amerikanische Musik, die Sie spielen, über die Arbeit an dem Album verändert?
Avidan: Genau andersrum. Als Musiker aus Jerusalem, der vor allem in Europa auftritt, hatte ich das Gefühl, mich mit meiner Persönlichkeit besonders stark in die Musik einbringen zu müssen, damit sie überhaupt nach mir klingt. Aber die Musiker, die auf dem Album zu hören sind, haben mir gezeigt, dass das gar nicht nötig ist. Dass ich sowieso immer rauszuhören bin. Wir mussten also gar nicht versuchen, irgendetwas neu zu erfinden. Was mich der Bluesrock gelehrt hat: Versuch nicht, jemand anderes sein zu wollen. Selbst wenn sich das Klangbett um dich herum ändert, wird noch genug von dir in der Musik durchschimmern.

Ich sehe mich als klagende Katze

Schwesig: Wir müssen natürlich auch noch einmal über Ihre markante Stimme reden. Das ist ja auch das, was einem als Erstes auffällt, wenn man Ihre Musik hört: Sie kann viele Oktaven umfassen, ganz ausgeprägte Emotionen spiegeln. Das Weinen, das Klagen, manchmal klingt es wie ein Kind, eine Stimme der Extreme. Viele sagen, sie erinnert sie auch an Janis Joplin, Eine Stimme, finde ich, an die man sich auch ein bisschen gewöhnen muss. Und Sie haben in einem Interview mal gesagt, Sie wollen auch gar nicht schön singen. Warum ist das nicht so wichtig für Sie?
Avidan: Von allen Vergleichen, die ich gehört habe, gefällt mir der einer französischen Journalistin am besten. Sie hat gesagt, dass ich mich wie eine verwundete Katze anhöre. Wahrscheinlich hat sie das gar nicht als Kompliment gemeint, aber für mich ist das ein größeres Kompliment als der ewige Vergleich mit Janis Joplin. Denn ich denke nicht, dass ich an sie herankomme. Gegen Joplin kann man doch nur verlieren! Bei der verwundeten Katze hingegen ... Jeder, der schon mal über eine halbtote Katze gestolpert ist, weiß, dass die nicht einfach so aus dem Leben scheidet. Die schreit und klagt. Und so sehe ich mich auch. Denn es geht mir darum, meine Gefühle so unmittelbar wie möglich auszudrücken. Ich fühle mich sehr stark mit meinen Emotionen und Ängsten verbunden. Das in meiner Musik rauszulassen, gibt mir Halt.
Schwesig: Wir müssen natürlich auch noch einmal über den Albumtitel reden, "The Study On Falling" – eine Studie über das Fallen, wenn man so will. Und in dem Titelstück gibt es eine schöne Zeile, wo Sie singen: "Du lässt los, und ich lass auch los." Also eine Studie in Beziehungsarbeit oder doch auch eine Lebenslektion für Sie?
Avidan: Tatsächlich ist das der erste Song, den ich für das Album geschrieben habe. Auf dem Album geht es um zwei Beziehungen. Und dieser Titel hat sich wie von selbst geschrieben, als die eine Beziehung am Ende war, und ich wusste: Diese Person werde ich nie wieder sehen. In dem Song geht es darum, wie wir mit anderen Menschen Bindungen eingehen, wie wir uns manchmal regelrecht an anderen festbeißen. Wir bluten, schwitzen, weinen, weil wir davon überzeugt sind, dass es die Sache wert ist. Für jemanden wie mich, der weder an Gott noch an ein Leben nach dem Tod glaubt, fühlen sich solche Erfahrungen wie eine Religion an. Dafür bin ich hier auf der Erde. Auf dem ganzen Album geht es um menschliche Beziehungen – und die Hoffnungen und Ängste, die mit ihnen einhergehen.
Informationen zum Album und zu Konzerten in Deutschland gibt es hier.
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