Sachverständigenrat: Flüchtlinge besser über die EU verteilen

Klaus Bade im Gespräch mit Katrin Heise · 05.10.2009
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration hat kurz vor den Koalitionsverhandlungen einen Forderungskatalog an die Politik veröffentlicht. Im Mittelpunkt des Papiers stehen Zuwanderung, Einbürgerung und der Umgang mit Flüchtlingen.
Katrin Heise: Fast ein Jahr ist es jetzt her, dass der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration gegründet wurde. Von politischen Weisungen unabhängige Experten beobachten unsere Gesellschaft in Bezug auf Migration und Integration und geben der Politik Ratschläge und Empfehlungen. Das haben sie jetzt an die neue Regierung gerichtet getan, pünktlich zu den heute beginnenden Koalitionsverhandlungen. Die Zuwanderung, die Einbürgerung und der Umgang mit Flüchtlingen, diese Themen stehen im Mittelpunkt des siebenseitigen Papiers. Ich begrüße jetzt den Migrationsforscher und Vorsitzenden des Sachverständigenrats, Professor Klaus Bade. Schönen guten Tag, Herr Bade!

Klaus Bade: Guten Tag, Frau Heise!

Heise: Fangen wir doch mal mit dem letzten Schwerpunkt, den ich genannt habe, dem Bleiberecht für Bürgerkriegsflüchtlinge, an, weil's zeitlich für die nämlich eng wird. Die bestehende Bleiberechtsregelung läuft nämlich Ende des Jahres aus, und das hat Konsequenzen für 60.000 geduldete Ausländer. Was empfehlen Sie?

Bade: Wir empfehlen zweierlei. Einmal empfehlen wir, diese Stichtagsregelung zu verlängern. Wir sind ja in einer Wirtschaftskrise, wir sind in einer Wirtschaftskrise, die zunehmend auch auf den Arbeitsmarkt übergreift, und wir sind in einer Situation, wo Menschen mit befristeten Arbeitsgenehmigungen, die aus ihren befristeten Aufenthaltsgenehmigungen resultieren, schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt haben. Deswegen sagen wir, wir müssen diesen Stichtag nach vorne verschieben, damit diese Leute eine Chance haben. Zum Zweiten sagen wir, es sollte eine befristete Erweiterung des Angebots dergestalt implantiert werden, dass man sagt, wenn sich jemand in der Tat nachdrücklich, glaubwürdig, überzeugend bewirbt, sodass man annehmen könnte, er würde den Job wahrscheinlich kriegen können, den er sich ausgesucht hat, er kann ihn aber nicht kriegen aufgrund der wirtschaftlichen Situation, dann soll man das Bemühen als solches auch würdigen. Das sind die beiden Empfehlungen, die wir ausgesprochen haben.

Heise: Denn mit einer Aufenthaltsgenehmigung verknüpft war bisher oder ist bisher, dass die Flüchtlinge, die Bürgerkriegsflüchtlinge, einen Arbeitsplatz nachweisen können und sich und ihre Familie ernähren können. Pro Asyl, Amnesty und Flüchtlingsvertreter wünschen sich eigentlich sichere Aufenthaltsgenehmigungen. Fordern Sie von der neuen Regierung jetzt nur diese Verlängerung eigentlich, weil die das bereit sind zu erfüllen, oder hält der Rat nichts von dauerhaften Aufenthalt für diese Gruppe?

Bade: Wir halten auch durchaus etwas von dauerhaften Aufenthaltsgenehmigungen, wenn der entsprechende Flüchtlingsschutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention an sich erforderlich wäre. Dazu haben wir ja auch Empfehlungen gemacht, hier Vorstellungen auf europäischer Ebene zu folgen, die dahin führen, dass die Bundesrepublik Deutschland ein bestimmtes Kontingent von Flüchtlingen jährlich übernimmt, dass der UNHCR, also der Hohe Flüchtlingskommissar, mit gewissermaßen im Qualitätsausweis sozusagen echter Flüchtlingseigenschaften versehen hat. Auch das haben wir uns vorgestellt. Man kann natürlich auch ebenso gut ohne eine Stichtagsregelung operieren, man könnte ebenso gut auch sagen, wenn entsprechende Aufenthaltszeiten vorliegen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen für eine Integration vorliegen und nach wie vor nicht abgeschoben werden kann aus humanitären Gründen, dann sollte man eine Aufenthaltserlaubnis aussprechen. Das kann man als Alternative ebenso gut sehen.

Heise: Sie betonen ja auch, die Aufnahme von Schutzbedürftigen ist humanitäre Pflicht, das wird ja wahrscheinlich auch niemand bestreiten, nur kommt ja kaum noch ein Flüchtling nach Deutschland her, der nicht vorher in sogenannten sicheren Drittstaaten war. Darüber stöhnen die natürlich sehr. Sie fordern Neuansiedlungen jetzt im Rat, Neuansiedlungen, in der EU wird das Resettlement genannt. Wie soll das eigentlich aussehen genau?

Bade: Ja, das sieht so aus, dass man sich überlegt, dass für Europa Zugänge geschaffen werden sollten, bei denen gewissermaßen der UNHCR, also der Hohe Flüchtlingskommissar, eine Art Filter davorsetzt und sagt, wir schauen uns diese Personen an und dann versuchen wir zu einer Verteilung innerhalb Europas zu kommen. Deutschland hat ja nun die Gnade der zentralen Lage, es ist kaum noch zu erreichen. Wir haben von Januar bis August 2009 gerade mal 17.000 Personen, die als Aslysuchende nach Deutschland gekommen sind. Das ist also sehr, sehr wenig, wenn man sich überlegt, dass früher also bis zu 100.000 und mehr pro Jahr gekommen waren. Andere Länder wie zum Beispiel Malta, Zypern, Italien, Griechenland haben im Vergleich zu ihrer Einwohnerzahl unvergleichbar höhere Flüchtlings- und Asylbewerberquoten. Es geht darum, hier zu entlasten und die Dinge für Flüchtlinge besser erreichbar zu machen. Der Grundgedanke ist, dass diesen Flüchtlingen, die vom UNHCR ausgesucht werden, von Anbeginn an dann ein sicherer Aufenthalt und Integrationsmöglichkeiten geboten werden.

Heise: Bisher ist die CDU da nicht sehr angetan von, wie sehen Sie die Chancen dafür?

Bade: Ich sehe die Chancen eigentlich gar nicht so schlecht, weil dann in dieses Geschäft mit den Flüchtlingen etwas mehr ordnungspolitisches Denken hineinkommt, und das ist eigentlich der CDU ja relativ nahe. Nun wollen die Menschen im Sinne des Sacro egoismo in den einzelnen Staaten immer gerne selber bestimmen, was da im Einzelnen passiert, aber es muss im aufgeklärten europäischen Gesamtinteresse sein, hier eine Lösung zu finden, die der Sache angemessen ist.

Heise: Der Sachverständigenrat für Migration und Integration legt der neuen Regierung einen Empfehlungskatalog vor. Im Deutschlandradio Kultur hören Sie dazu den Vorsitzenden Klaus Bade. Herr Bade, im Katalog an die neue Regierung steht das Thema auch ganz vorne: Wen lassen oder wen holen wir uns ins Land? Vorgeschlagen wird von Ihnen ein Punktesystem, das Qualitätskriterien für die Auswahl von Zuwanderern festlegt. Dagegen war die CDU schon damals während der Verhandlungen zum Staatsbürgerschaftsrecht. Hat sich denn da was geändert?

Bade: Ja, die Lernprozesse nehmen ganz beschleunigt zu. Man hat 30 Jahre gebraucht, bis man gemerkt hat, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Inzwischen ist sie schon wieder zum Teil auch ein Auswanderungsland, wird auch eine Weile dauern. Aber es hat nur relativ kurze Zeit gedauert, bis die Engpassdiagnose zum Beispiel, die der Zuwanderungsrat 2004 vorgeschlagen hat, in Gestalt der sogenannten Engpassanalyse, 2008 von der Bundesregierung übernommen wird. Es ist ein System, das sagt, wenn Arbeitgeber nachweisen können, dass am Binnenmarkt inklusive EU-Ausländern die entsprechenden Arbeitskräfte, die dringend gesucht werden, nicht vorhanden sind, und die Bundesagentur das bestätigen kann, dann kann man für diese Bereiche die Grenze aufmachen. Dieses System ist also schon mal da. Was nicht da ist, ein Punktesystem. Das Punktesystem hat vielerlei Schwächen, wir bräuchten ein reformiertes Punktesystem, das auch arbeitsmarktorientiert ist. Also haben wir gesagt, dann fassen wir doch beides zusammen: Ein Punktesystem, das arbeitsmarktorientiert ist, in dem diejenigen, bei denen es Engpässe gibt, sozusagen Bonuspunkte auf der Bewerberliste bekommen, sodass man gezielt diese Leute zulassen kann. Und dann haben wir neben diese beiden Säulen, Punktesysteme in reformierter Form und Engpassdiagnose, noch eine dritte Säule gesetzt, eine Art Akutprogramm für Akutsteuerungen. Das heißt, hier ein Stück weit den Arbeitgebern entgegenkommen und sagen, wenn ihr es wirklich so dringend habt mit der Anwerbung von Arbeitskräften, könnt ihr auch am System vorbeigehen, müsst aber dann eine Arbeitgeberabgabe in Gestalt von einmalig 20 Prozent des Jahreseinkommens abgeben, und die soll für Qualifikationszwecke eingesetzt werden.

Heise: Qualifikation ist auch ein gutes Stichwort, auf der anderen Seite stehen nämlich sehr viele Migranten, die hier leben in Deutschland, ohne Job und ohne Schulabschluss, die bedenken Sie in Ihrem Empfehlungskatalog zum Beispiel mit bedarfsgerechter Sprachförderung und so weiter. Sagen Sie, im Wahlkampf spielte das Thema Migration/Integration überhaupt keine Rolle. Haben Sie denn Hoffnung, dass das in die Koalitionsverhandlungen eingeht?

Bade: Ich denke, aus einem ganz einfachen Grund wird es in die Koalitionsverhandlungen eingehen. Wir haben ja einen langsamen, erfreulicherweise aber dann doch erkennbar steigenden Anteil an Abgeordneten mit Migrationshintergrund im Bundestag. Im letzten Bundestag hatten wir 612 Abgeordnete und nur elf mit Migrationshintergrund, das waren ungefähr 1,8 Prozent. In diesem Bundestag haben wir ungefähr 622 Abgeordnete, wenn ich's recht weiß, und wir haben aber um die 25 Abgeordnete mit Migrationshintergrund, das ist also mehr als Doppelte, rund 3 Prozent. Immer noch zu wenig, denn wir haben 9 Prozent von Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund und 20 Prozent in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Aber man merkt, dass sich die Stimme der Menschen mit Migrationshintergrund zunehmend zu Wort meldet. Und insoweit denke ich schon, dass Politik gut daran täte, dieses Stimmenpotenzial mit zu berücksichtigen.

Heise: Sollte man es berücksichtigen, indem man ein Ministerium für Integration einrichtet? Das war ja mal irgendwie die Rede davon, und es war auch schon mal der Name Armin Laschet, der so ein Amt in Nordrhein-Westfalen bekleidet, in der Rede.

Bade: Also wer ein solches Amt übernehmen sollte, ist natürlich nicht Gegenstand der Empfehlungen eines Sachverständigenrates. Man kann über die Einrichtung eines solchen Amtes mit einem sehr klaren Jein sprechen. Ja, wenn ein solches Amt als Querschnittsamt mit einer Reihe von zusätzlichen Aufgaben versehen wird, wie dies etwa bei dem Amt in Nordrhein-Westfalen, das von Armin Laschet geleitet wird, der Fall ist, also Generationen, Familie, Jugend und Integration. Man könnte auch als Alternative Bildung sagen, dann wäre das denkbar. Man kann sich aber auch vorstellen, dass es eine Anhebung des interministeriellen Ausschusses, den es jetzt gibt, auf Staatssekretärsebene gibt. Man kann also verschiedene Möglichkeiten sich überlegen. Entscheidend wichtig ist, dass das Thema Integration und Migration höherrangig in den Institutionen der Bundesregierung noch angesiedelt wird, als es derzeit bereits ist mit der Staatsministerin.

Heise: Wünscht sich nicht nur Klaus Bade, Vorsitzender des Sachverständigenrates für Migration und Integration. Herr Bade, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Bade: Danke!