Sachsen hebt ab
Die Luft- und Raumfahrt-Industrie zählt in Deutschland circa 70.000 Mitarbeiter, nur 2800 davon arbeiten in Sachsen und Thüringen. Allerdings wird hier pro Kopf 50 Prozent mehr Umsatz erzielt. Viele Arbeitsplätze sind in der Region neu entstanden, und die Arbeitgeber schwärmen von den zuverlässigen und hoch motivierten Arbeitskräften.
Alltag am Flughafen Dresden. Flugzeuge landen und starten, Passagiere eilen durch das Terminal. Kaum jemand weiß aber, dass dieses Terminal zu einem Hallen-Komplex gehört, der eine wechselhafte Geschichte hinter sich hat. Wo sich heute die Fluggäste begegnen und moderne Jets andocken, sind in den fünfziger Jahren Flugzeuge gebaut worden.
Auch das erste deutsche Passagierflugzeug mit Strahltriebwerken – die B-152. Die Regierung Ulbricht entschied 1954, in der DDR eine komplette Flugzeugindustrie aus dem Boden zu stampfen. Von Anfang an dabei war der heute 84-jährige Flugzeugbauer und Pilot Gerhard Güttel:
„Was gebaut werden sollte, wurde geplant. Wie groß muss es ein, wie viel Personal brauchen wir, wo können wir das unterbringen und, und, und.“
Das weit von den Westsektoren entfernte Dresden bot das günstigste Areal für den Neubau der zahlreichen Büros, Hallen und der langen Betonpiste.
„Der Flugplatz war ein kleiner Platz mit Rasen und einem Buckel in der Mitte, der musste geebnet werden, es musste eine Betonbahn gebaut werden, eine längere. Wir brauchten eine Startbahn von zweieinhalb Kilometer Länge. Der Platz war bloß ein Kilometer im Quadrat.“
1957 war Gert Wirthgen zweiundzwanzig Jahre alt und frisch gebackener Ingenieur. Er erinnert sich an die ungewöhnlichen Personal-Anwerbungen für das ehrgeizige Flugzeug-Projekt:
„Dass damals überall Schilder gestanden haben in der Stadt, große Tafeln: Wir suchen Statiker, Konstrukteure, Technologen – dass kann man sich heute nicht vorstellen. Und alle, die hier her kamen, die waren begeistert.“
Der junge Ingenieur Gert Wirthgen wird am Flugzeug B-152 arbeiten, mit dem 1960 der Pilot Gerhard Güttel Testflüge absolvierte. Doch bevor das erste deutsche Turbinen-Verkehrsflugzeug abheben konnte, mussten enorm viele Probleme gelöst werden. Schon zeitig drifteten Flugzeugkonstruktion und Fertigung auseinander, Materialschwierigkeiten begleiteten ständig das Projekt.
„Wir entwickeln und konstruieren und rechnen laufend neue Flugzeugtypen durch – und der Bau kommt nicht mal für die erste Variante richtig nach.“
Gravierende Fehlentscheidungen wurden von der damaligen Begeisterung für den Flugzeugbau noch kaschiert. Doch mit Enthusiasmus allein ließ sich keine Hochtechnologie etablieren. Grundlegende technische und ökonomische Regeln wurden missachtet und der politische Druck verdrängte Sicherheitsaspekte.
Die Belegschaft spürte genau, dass sich Spannungen aufbauten, die sich 1959 beim Absturz der ersten Versuchsmaschine entluden. Die wahren Gründe dafür wurden eilig vertuscht. Selbst der Testpilot Gerhardt Güttel erfuhr nichts über die Absturzursache:
„Das, was dort gelaufen ist, war streng geheim. Selbst den Untersuchungsbericht habe ich nicht gesehen.“
Stattdessen wurden politische Parolen ausgegeben.
Gert Wirthgen:
„Wenn ihr denkt, der Flugzeugbau geht nicht weiter – das ist der Klassenfeind, der euch das einredet. Es geht weiter!“
Doch Plan-Termine rutschten immer weiter weg, staatliche Subventionen flossen spärlicher. Die B-152 wurde umkonstruiert. Im Spätsommer 1960 flog dann Gerhard Güttel zweimal erfolgreich die neue Versuchsmaschine V4:
„Das Bugrad hat sich angehoben. Wir sind freigekommen vom Boden. Die Maschine hat Fahrt geholt. Wir haben probiert, wie die Steuerausschläge kommen. Es ging alles. Da sind wir ganz normal unseren Törn gezogen. Als wenn es schon ein fertiges Flugzeug war.“
Die lange Bau- und Nach-Entwicklungs-Zeit führte aber dazu, dass 1961 die B-152 nicht mehr konkurrenzfähig war. Die russische Seite hatte ihre 100 Bestelloptionen ohnehin zurückgezogen, und ein gravierender Konstruktionsfehler der Tankanlage warf das Projekt auf unbestimmte Zeit zurück. Diese Turbulenzen führten schließlich zum abrupten Aus.
Gert Wirthgen erinnert sich genau an diesen 17. März 1961:
„Die Nachtschicht hat noch den Kampftermin erfüllt, weil die am 1. Mai fliegen sollte, die haben noch dran gearbeitet. Und die Frühschicht hat den Hammer durch die Fenster geschmissen und alles zerpocht. Also das war ganz schlimm.“
1961 waren elf Rümpfe der Flugzeug-Serie 152 gebaut, einige Maschinen waren teilweise, andere komplett montiert. Alles wurde wieder ausgebaut – aber fast alles gleich verschrottet. Doch die Aluminium-Rümpfe ließen sich nicht demontieren, sagt Pilot Gerhard Güttel:
„Das fertige Flugzeug ist zersägt worden. Unsere V4, die wir geflogen hatten, ist zersägt worden. Die ganze Arbeit, die man bis dato gemacht hatte, war kaputt. Das war schon eine traurige Stimmung.“
In großer Eile löste sich der komplette Industriezweig auf, enttäuschte Fachkräfte wanderten bis zum Mauerbau im August 1961 scharenweise westwärts. Über den gescheiterten Flugzeugbau wurde zu DDR-Zeiten eisern geschwiegen.
Neben anderen Betrieben zerfielen die Flugzeugwerke 1961 in zwei volkseigene Betriebe: die Flugzeugwerft und das Institut für Leichtbau. Der junge Ingenieur Wirthgen fand Arbeit in dem Institut, das vom ehemaligen Chef des Flugzeug-Projektes 152, Brunolf Baade, geleitet wurde.
1993 entsteht aus diesem Institut durch „Management bei Out“ die IMA Materialforschung und Anwendungstechnik. Das wissenschaftlich-technische Unternehmen agiert sehr erfolgreich beim Test aller Komponenten der Fahrzeug- und Schienenfahrzeugtechnik. Doch die IMA möchte sich erneut im Luftfahrtbereich profilieren und kämpft um das wichtige Standbein.
Am historischen Baade-Schreibtisch des 152er Projektes sitzt heute der IMA-Geschäftsführer Professor Wilhelm Hanel:
„Nach der Wende haben wir uns natürlich sehr bemüht, in die Luftfahrtindustrie wieder rein zu kommen. Und wir sind eigentlich immer herum gefahren und haben gesagt, probiert uns doch mal aus. Ihr könnt nur über uns reden, wenn ihr uns mal einen Auftrag gegeben habt.“
Weil das Institut 1961 noch den kompletten Festigkeitsnachweis am eingestellten Flugzeug B-152 durchgeführt hatte, kann die IMA Materialforschung und Anwendungstechnik ihren Kunden, vierzig Jahre später, eine immer noch gute Referenz nachweisen. Erste Aufträge für die Luftfahrtbranche werden abgearbeitet.
„Und da ist damals die Vor-Entwicklung der Airbus auf uns aufmerksam geworden und hat uns dann zur Kenntnis gegeben, dass sie sehr starkes Interesse an Schalenprüfungen hätten. Und die Schalenprüfung, mit der wir dann bei Airbus gelandet waren, die hat große Resonanz gefunden bei Airbus und inzwischen heißen die Schalen, die wir hier her bekommen, bei Airbus ‚die IMA-Schalen‘.“
Damit öffnet sich das Tor zu ganz großen Aufgaben. Denn die riesige Halle von damals ist einsatzfähig, und so wird die lange Version des Airbus 340 hier in Dresden getestet. Airbus ist sehr zufrieden, und die IMA erhält den Zuschlag, in Kooperation mit einem anderen Unternehmen den Airbus A380 zu testen.
In ein blaues Stahlgerüst eingespannt, wird der A380 nun in mehr als drei Jahren so beansprucht, als ob er 25 Jahre im ständigen Einsatz wäre. Das mächtige Flugzeug erhält Stöße wie bei einer echten Landung, und die Flügel werden hin und her gebogen. Dafür wird extra eine riesige Halle am Flughafen Dresden gebaut, die die weltgrößte Hydraulikanlage beherbergt.
In die benachbarten, großen Hallen zog 1961 der – im gleichen Jahr gegründete – VEB Flugzeugwerft Dresden ein. Dort kamen einige Flugzeugbauer der B-152 unter.
Auch der Test-Pilot Gerhard Güttel arbeitete da bis in die siebziger Jahre. Bis zur Wende wurde ziviles und militärisches Fluggerät repariert, und danach gründet das EADS-Konsortium an dem traditionsreichen Standort die Elbe Flugzeugwerke EFW.
„Also man hatte hier schon, auch als das Unternehmen 1991 gegründet wurde, fähiges Personal, fähige Mitarbeiter. Das ist natürlich ein wichtiges Kapital für ein Unternehmen und auch ein wichtiger Faktor, wenn man sich irgendwo ansiedeln möchte,“
erläutert die Pressesprecherin der EFW Sabine Klie und nennt die beiden wichtigsten Geschäftsfelder der Elbe Flugzeugwerke.
„Das eine ist die Herstellung faserverstärkter Ausstattungskomponenten für alle Flugzeuge der Airbusfamilie. Das sind zum Beispiel Fußbodenplatten. Also, wenn Sie mit einem Airbusflugzeug fliegen und sie laufen dort entlang, sind das immer Platten aus Dresden. Oder aber auch schusssichere Cockpit-Türen.
Das zweite Geschäftsfeld ist die Frachterumrüstung. Wie rüsten A300- und A310- Passagiermaschinen zu Frachtmaschinen um. Dabei greifen wir massiv in die Struktur der Flugzeuge ein. Also wir bauen ein komplett neues Fußbodengerüst ein, wir bauen natürlich ein großes Frachttor ein, zum Schluss wird noch ein Frachtladesystem eingebaut.“
Zwei Airbus A300, im Durchschnitt bereits 15 Jahre als Passiermaschine geflogen, stehen in der 2006 für zehn Millionen Euro gebauten Halle und werden in vier Monaten zu Frachtern umgebaut.
Noch einmal drei große Maschinen stehen nebenan in der ehemaligen Montage-Halle der B-152. Das Bild, das sich heute in der Halle bietet, gleicht dem der fünfziger Jahre. Auch der Lärm ist, durch das Vernieten der Bauteile, identisch.
Der 23-jährige Martin Hofmann arbeitet gerade an der großen Fracht-
Luke, die in jede umgebaute Frachtmaschine exakt eingepasst wird:
„Es ist viel Verantwortung, die hier auf einen Mitarbeiter übertragen wird. Und es macht auch ziemlich viel Spaß, weil man seine Fähigkeiten unter Beweis stellen kann, es ist halt schön. Auch die Technik, mit der wir arbeiten und die hier angewendet wird, ist sehr interessant eigentlich. Für Technikbegeisterte ist das auf Fälle was.“
Der Jahresumsatz 2006 von über 200 Millionen Euro belegt, dass diese Flugzeugumrüstungen weltweit zunehmend nachgefragt werden. Das amerikanische Frachtunternehmen FedEX ist ein großer Kunde, der die Qualität der Dresdner Arbeit schätzt.
Aber es ist natürlich sehr viel Handarbeit dabei, es ist eine richtige Manufakturtätigkeit. Die Genauigkeit der Arbeit ist extrem wichtig, weil die Frachtflugzeuge durchaus weitere 15 bis 20 Jahre im Einsatz sein werden. Durch den Hallenneubau können jährlich 20 Frachtflugzeuge ausgeliefert werden.
Damit sorgen die Elbe Flugzeugwerke für einen zusätzlichen Wachstumsschub in der Region, sagt Sabine Klie:
„Natürlich haben wir im Zuge dessen auch neue Mitarbeiter eingestellt. 175 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Die meisten dieser neuen Kollegen haben wir auch in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit qualifiziert, also auch umgeschult.“
Gut 1200 Mitarbeiter sind hier in Dresden beschäftigt, dazu kommen noch etwa 60 Auszubildende. Zuverlässiges und gut ausgebildetes Personal ist Voraussetzung für den Erfolg in dieser sensiblen Branche. Deswegen bilden die Elbe Flugzeugwerke auch selbst aus.
Dass auch Frauen in den technischen Bereichen arbeiten, ist für die 18-jährige Katharina Siehs selbstverständlich:
„Die Mädels sollten sich wirklich bewerben, die da so ein bisschen Interesse zeigen. Ich selber bin jetzt auch vom ersten Lehrjahr die Klassensprecherin. Und die Mädels, die werden dort auch aufgenommen. Ich dachte erst, ich krieg dann dort ein bisschen Probleme, so als mit einziges Mädel, aber wir sind ein richtig gutes Team. Und helfen uns auch gegenseitig.“
Katharina Siehs bereut ihre Entscheidung für die Technik nicht. Im Gegenteil; sie ist stolz auf den besondern Beruf.
„Das ist so etwas Spezielles, und dann noch als Mädchen Fluggerätemechaniker, das ist so etwas Besonders. Und irgendwie fand ich es interessant. Was anderes interessiert mich auch gar nicht mehr. Die anderen Richtungen, die liegen mir auch gar nicht so. Technik ist es schon und Luftfahrttechnik, das ist natürlich das, wo ich denke, das macht seine Wege.“
Dieser innovativen Branche erliegen also nicht nur die Männer.
„Das Phänomen Flugzeug, also so ein Riesenvogel mit so einer Masse, der halt eben so durch die Lüfte fliegt – und dann an so etwas mitarbeiten zu können.“
Schon Katharinas Oma und ihr Vater waren in der Luftfahrt beschäftigt. Ihre Oma hat sogar an der legendären B-152 mitgebaut und oft von der damaligen Aufbruchstimmung geschwärmt.
„Meine Oma sagte auch, das war was ganz Großes damals. Ja, kann ich verstehen, klar.“
Testpilot Gerhard Güttel erinnert sich besonders an die kameradschaftliche Zusammenarbeit damals:
„Also es gab bei uns keinen Neid. Es kriegte jeder seinen Anteil in der Fliegerei.“
Für den Jung-Ingenieur Gert Wirthgen hingegen war der Beginn seiner beruflichen Laufbahn 1957 überraschend. Er hat einen, vielleicht nicht so erst gemeinten Satz, nie vergessen können:
„Wir waren Jungingenieure und da hieß es dieses geflügelte Wort: Jungingenieure und Reißbretter sind totes Inventar.“
Doch das hat den in der Fachwelt anerkannten Akademiker nie entmutigt. Im Gegenteil. Erst im März 2007, nach einer Betriebszugehörigkeit von 50 Jahren, wird er sein Arbeitsleben bei der IMA Materialforschung und Anwendungstechnik beenden.
Sein Chef, Professor Hanel:
„Wir haben zum Glück, als wir uns privatisiert haben, nicht die Fehler gemacht, die andere gemacht haben, indem sie das ältere, qualifizierte Personal alles vor die Tür gesetzt haben.“
Für Gert Wirthgen war die Arbeit immer Erfüllung. Und dass sich für den heute 72-jährigen Ingenieur der berufliche Kreis mit der Rückkehr des Flugzeugbaus wieder schließt, das berührt ihn besonders:
„Wenn ich mir das hier unten in der Halle, jeden Tag wenn ich kam, ankucken konnte – es gibt ja von der 152 genau solche Bilder – das hat mich auch gehalten, dass ich nicht aufhören wollte. Das hat mich begeistert. Dass das nach 40 Jahren wieder möglich wurde. Ich habe meine Berufslaufbahn mit Flugzeugbau angefangen und beende meine berufliche Laufbahn mit dem Flugzeugbau.“
Auch das erste deutsche Passagierflugzeug mit Strahltriebwerken – die B-152. Die Regierung Ulbricht entschied 1954, in der DDR eine komplette Flugzeugindustrie aus dem Boden zu stampfen. Von Anfang an dabei war der heute 84-jährige Flugzeugbauer und Pilot Gerhard Güttel:
„Was gebaut werden sollte, wurde geplant. Wie groß muss es ein, wie viel Personal brauchen wir, wo können wir das unterbringen und, und, und.“
Das weit von den Westsektoren entfernte Dresden bot das günstigste Areal für den Neubau der zahlreichen Büros, Hallen und der langen Betonpiste.
„Der Flugplatz war ein kleiner Platz mit Rasen und einem Buckel in der Mitte, der musste geebnet werden, es musste eine Betonbahn gebaut werden, eine längere. Wir brauchten eine Startbahn von zweieinhalb Kilometer Länge. Der Platz war bloß ein Kilometer im Quadrat.“
1957 war Gert Wirthgen zweiundzwanzig Jahre alt und frisch gebackener Ingenieur. Er erinnert sich an die ungewöhnlichen Personal-Anwerbungen für das ehrgeizige Flugzeug-Projekt:
„Dass damals überall Schilder gestanden haben in der Stadt, große Tafeln: Wir suchen Statiker, Konstrukteure, Technologen – dass kann man sich heute nicht vorstellen. Und alle, die hier her kamen, die waren begeistert.“
Der junge Ingenieur Gert Wirthgen wird am Flugzeug B-152 arbeiten, mit dem 1960 der Pilot Gerhard Güttel Testflüge absolvierte. Doch bevor das erste deutsche Turbinen-Verkehrsflugzeug abheben konnte, mussten enorm viele Probleme gelöst werden. Schon zeitig drifteten Flugzeugkonstruktion und Fertigung auseinander, Materialschwierigkeiten begleiteten ständig das Projekt.
„Wir entwickeln und konstruieren und rechnen laufend neue Flugzeugtypen durch – und der Bau kommt nicht mal für die erste Variante richtig nach.“
Gravierende Fehlentscheidungen wurden von der damaligen Begeisterung für den Flugzeugbau noch kaschiert. Doch mit Enthusiasmus allein ließ sich keine Hochtechnologie etablieren. Grundlegende technische und ökonomische Regeln wurden missachtet und der politische Druck verdrängte Sicherheitsaspekte.
Die Belegschaft spürte genau, dass sich Spannungen aufbauten, die sich 1959 beim Absturz der ersten Versuchsmaschine entluden. Die wahren Gründe dafür wurden eilig vertuscht. Selbst der Testpilot Gerhardt Güttel erfuhr nichts über die Absturzursache:
„Das, was dort gelaufen ist, war streng geheim. Selbst den Untersuchungsbericht habe ich nicht gesehen.“
Stattdessen wurden politische Parolen ausgegeben.
Gert Wirthgen:
„Wenn ihr denkt, der Flugzeugbau geht nicht weiter – das ist der Klassenfeind, der euch das einredet. Es geht weiter!“
Doch Plan-Termine rutschten immer weiter weg, staatliche Subventionen flossen spärlicher. Die B-152 wurde umkonstruiert. Im Spätsommer 1960 flog dann Gerhard Güttel zweimal erfolgreich die neue Versuchsmaschine V4:
„Das Bugrad hat sich angehoben. Wir sind freigekommen vom Boden. Die Maschine hat Fahrt geholt. Wir haben probiert, wie die Steuerausschläge kommen. Es ging alles. Da sind wir ganz normal unseren Törn gezogen. Als wenn es schon ein fertiges Flugzeug war.“
Die lange Bau- und Nach-Entwicklungs-Zeit führte aber dazu, dass 1961 die B-152 nicht mehr konkurrenzfähig war. Die russische Seite hatte ihre 100 Bestelloptionen ohnehin zurückgezogen, und ein gravierender Konstruktionsfehler der Tankanlage warf das Projekt auf unbestimmte Zeit zurück. Diese Turbulenzen führten schließlich zum abrupten Aus.
Gert Wirthgen erinnert sich genau an diesen 17. März 1961:
„Die Nachtschicht hat noch den Kampftermin erfüllt, weil die am 1. Mai fliegen sollte, die haben noch dran gearbeitet. Und die Frühschicht hat den Hammer durch die Fenster geschmissen und alles zerpocht. Also das war ganz schlimm.“
1961 waren elf Rümpfe der Flugzeug-Serie 152 gebaut, einige Maschinen waren teilweise, andere komplett montiert. Alles wurde wieder ausgebaut – aber fast alles gleich verschrottet. Doch die Aluminium-Rümpfe ließen sich nicht demontieren, sagt Pilot Gerhard Güttel:
„Das fertige Flugzeug ist zersägt worden. Unsere V4, die wir geflogen hatten, ist zersägt worden. Die ganze Arbeit, die man bis dato gemacht hatte, war kaputt. Das war schon eine traurige Stimmung.“
In großer Eile löste sich der komplette Industriezweig auf, enttäuschte Fachkräfte wanderten bis zum Mauerbau im August 1961 scharenweise westwärts. Über den gescheiterten Flugzeugbau wurde zu DDR-Zeiten eisern geschwiegen.
Neben anderen Betrieben zerfielen die Flugzeugwerke 1961 in zwei volkseigene Betriebe: die Flugzeugwerft und das Institut für Leichtbau. Der junge Ingenieur Wirthgen fand Arbeit in dem Institut, das vom ehemaligen Chef des Flugzeug-Projektes 152, Brunolf Baade, geleitet wurde.
1993 entsteht aus diesem Institut durch „Management bei Out“ die IMA Materialforschung und Anwendungstechnik. Das wissenschaftlich-technische Unternehmen agiert sehr erfolgreich beim Test aller Komponenten der Fahrzeug- und Schienenfahrzeugtechnik. Doch die IMA möchte sich erneut im Luftfahrtbereich profilieren und kämpft um das wichtige Standbein.
Am historischen Baade-Schreibtisch des 152er Projektes sitzt heute der IMA-Geschäftsführer Professor Wilhelm Hanel:
„Nach der Wende haben wir uns natürlich sehr bemüht, in die Luftfahrtindustrie wieder rein zu kommen. Und wir sind eigentlich immer herum gefahren und haben gesagt, probiert uns doch mal aus. Ihr könnt nur über uns reden, wenn ihr uns mal einen Auftrag gegeben habt.“
Weil das Institut 1961 noch den kompletten Festigkeitsnachweis am eingestellten Flugzeug B-152 durchgeführt hatte, kann die IMA Materialforschung und Anwendungstechnik ihren Kunden, vierzig Jahre später, eine immer noch gute Referenz nachweisen. Erste Aufträge für die Luftfahrtbranche werden abgearbeitet.
„Und da ist damals die Vor-Entwicklung der Airbus auf uns aufmerksam geworden und hat uns dann zur Kenntnis gegeben, dass sie sehr starkes Interesse an Schalenprüfungen hätten. Und die Schalenprüfung, mit der wir dann bei Airbus gelandet waren, die hat große Resonanz gefunden bei Airbus und inzwischen heißen die Schalen, die wir hier her bekommen, bei Airbus ‚die IMA-Schalen‘.“
Damit öffnet sich das Tor zu ganz großen Aufgaben. Denn die riesige Halle von damals ist einsatzfähig, und so wird die lange Version des Airbus 340 hier in Dresden getestet. Airbus ist sehr zufrieden, und die IMA erhält den Zuschlag, in Kooperation mit einem anderen Unternehmen den Airbus A380 zu testen.
In ein blaues Stahlgerüst eingespannt, wird der A380 nun in mehr als drei Jahren so beansprucht, als ob er 25 Jahre im ständigen Einsatz wäre. Das mächtige Flugzeug erhält Stöße wie bei einer echten Landung, und die Flügel werden hin und her gebogen. Dafür wird extra eine riesige Halle am Flughafen Dresden gebaut, die die weltgrößte Hydraulikanlage beherbergt.
In die benachbarten, großen Hallen zog 1961 der – im gleichen Jahr gegründete – VEB Flugzeugwerft Dresden ein. Dort kamen einige Flugzeugbauer der B-152 unter.
Auch der Test-Pilot Gerhard Güttel arbeitete da bis in die siebziger Jahre. Bis zur Wende wurde ziviles und militärisches Fluggerät repariert, und danach gründet das EADS-Konsortium an dem traditionsreichen Standort die Elbe Flugzeugwerke EFW.
„Also man hatte hier schon, auch als das Unternehmen 1991 gegründet wurde, fähiges Personal, fähige Mitarbeiter. Das ist natürlich ein wichtiges Kapital für ein Unternehmen und auch ein wichtiger Faktor, wenn man sich irgendwo ansiedeln möchte,“
erläutert die Pressesprecherin der EFW Sabine Klie und nennt die beiden wichtigsten Geschäftsfelder der Elbe Flugzeugwerke.
„Das eine ist die Herstellung faserverstärkter Ausstattungskomponenten für alle Flugzeuge der Airbusfamilie. Das sind zum Beispiel Fußbodenplatten. Also, wenn Sie mit einem Airbusflugzeug fliegen und sie laufen dort entlang, sind das immer Platten aus Dresden. Oder aber auch schusssichere Cockpit-Türen.
Das zweite Geschäftsfeld ist die Frachterumrüstung. Wie rüsten A300- und A310- Passagiermaschinen zu Frachtmaschinen um. Dabei greifen wir massiv in die Struktur der Flugzeuge ein. Also wir bauen ein komplett neues Fußbodengerüst ein, wir bauen natürlich ein großes Frachttor ein, zum Schluss wird noch ein Frachtladesystem eingebaut.“
Zwei Airbus A300, im Durchschnitt bereits 15 Jahre als Passiermaschine geflogen, stehen in der 2006 für zehn Millionen Euro gebauten Halle und werden in vier Monaten zu Frachtern umgebaut.
Noch einmal drei große Maschinen stehen nebenan in der ehemaligen Montage-Halle der B-152. Das Bild, das sich heute in der Halle bietet, gleicht dem der fünfziger Jahre. Auch der Lärm ist, durch das Vernieten der Bauteile, identisch.
Der 23-jährige Martin Hofmann arbeitet gerade an der großen Fracht-
Luke, die in jede umgebaute Frachtmaschine exakt eingepasst wird:
„Es ist viel Verantwortung, die hier auf einen Mitarbeiter übertragen wird. Und es macht auch ziemlich viel Spaß, weil man seine Fähigkeiten unter Beweis stellen kann, es ist halt schön. Auch die Technik, mit der wir arbeiten und die hier angewendet wird, ist sehr interessant eigentlich. Für Technikbegeisterte ist das auf Fälle was.“
Der Jahresumsatz 2006 von über 200 Millionen Euro belegt, dass diese Flugzeugumrüstungen weltweit zunehmend nachgefragt werden. Das amerikanische Frachtunternehmen FedEX ist ein großer Kunde, der die Qualität der Dresdner Arbeit schätzt.
Aber es ist natürlich sehr viel Handarbeit dabei, es ist eine richtige Manufakturtätigkeit. Die Genauigkeit der Arbeit ist extrem wichtig, weil die Frachtflugzeuge durchaus weitere 15 bis 20 Jahre im Einsatz sein werden. Durch den Hallenneubau können jährlich 20 Frachtflugzeuge ausgeliefert werden.
Damit sorgen die Elbe Flugzeugwerke für einen zusätzlichen Wachstumsschub in der Region, sagt Sabine Klie:
„Natürlich haben wir im Zuge dessen auch neue Mitarbeiter eingestellt. 175 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Die meisten dieser neuen Kollegen haben wir auch in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit qualifiziert, also auch umgeschult.“
Gut 1200 Mitarbeiter sind hier in Dresden beschäftigt, dazu kommen noch etwa 60 Auszubildende. Zuverlässiges und gut ausgebildetes Personal ist Voraussetzung für den Erfolg in dieser sensiblen Branche. Deswegen bilden die Elbe Flugzeugwerke auch selbst aus.
Dass auch Frauen in den technischen Bereichen arbeiten, ist für die 18-jährige Katharina Siehs selbstverständlich:
„Die Mädels sollten sich wirklich bewerben, die da so ein bisschen Interesse zeigen. Ich selber bin jetzt auch vom ersten Lehrjahr die Klassensprecherin. Und die Mädels, die werden dort auch aufgenommen. Ich dachte erst, ich krieg dann dort ein bisschen Probleme, so als mit einziges Mädel, aber wir sind ein richtig gutes Team. Und helfen uns auch gegenseitig.“
Katharina Siehs bereut ihre Entscheidung für die Technik nicht. Im Gegenteil; sie ist stolz auf den besondern Beruf.
„Das ist so etwas Spezielles, und dann noch als Mädchen Fluggerätemechaniker, das ist so etwas Besonders. Und irgendwie fand ich es interessant. Was anderes interessiert mich auch gar nicht mehr. Die anderen Richtungen, die liegen mir auch gar nicht so. Technik ist es schon und Luftfahrttechnik, das ist natürlich das, wo ich denke, das macht seine Wege.“
Dieser innovativen Branche erliegen also nicht nur die Männer.
„Das Phänomen Flugzeug, also so ein Riesenvogel mit so einer Masse, der halt eben so durch die Lüfte fliegt – und dann an so etwas mitarbeiten zu können.“
Schon Katharinas Oma und ihr Vater waren in der Luftfahrt beschäftigt. Ihre Oma hat sogar an der legendären B-152 mitgebaut und oft von der damaligen Aufbruchstimmung geschwärmt.
„Meine Oma sagte auch, das war was ganz Großes damals. Ja, kann ich verstehen, klar.“
Testpilot Gerhard Güttel erinnert sich besonders an die kameradschaftliche Zusammenarbeit damals:
„Also es gab bei uns keinen Neid. Es kriegte jeder seinen Anteil in der Fliegerei.“
Für den Jung-Ingenieur Gert Wirthgen hingegen war der Beginn seiner beruflichen Laufbahn 1957 überraschend. Er hat einen, vielleicht nicht so erst gemeinten Satz, nie vergessen können:
„Wir waren Jungingenieure und da hieß es dieses geflügelte Wort: Jungingenieure und Reißbretter sind totes Inventar.“
Doch das hat den in der Fachwelt anerkannten Akademiker nie entmutigt. Im Gegenteil. Erst im März 2007, nach einer Betriebszugehörigkeit von 50 Jahren, wird er sein Arbeitsleben bei der IMA Materialforschung und Anwendungstechnik beenden.
Sein Chef, Professor Hanel:
„Wir haben zum Glück, als wir uns privatisiert haben, nicht die Fehler gemacht, die andere gemacht haben, indem sie das ältere, qualifizierte Personal alles vor die Tür gesetzt haben.“
Für Gert Wirthgen war die Arbeit immer Erfüllung. Und dass sich für den heute 72-jährigen Ingenieur der berufliche Kreis mit der Rückkehr des Flugzeugbaus wieder schließt, das berührt ihn besonders:
„Wenn ich mir das hier unten in der Halle, jeden Tag wenn ich kam, ankucken konnte – es gibt ja von der 152 genau solche Bilder – das hat mich auch gehalten, dass ich nicht aufhören wollte. Das hat mich begeistert. Dass das nach 40 Jahren wieder möglich wurde. Ich habe meine Berufslaufbahn mit Flugzeugbau angefangen und beende meine berufliche Laufbahn mit dem Flugzeugbau.“