Trotz Finanzkrisen
In Halle hatte anlässlich der Händelfestspiele die späte und selten aufgeführte Oper "Arminius“ Premiere. Ein Gespräch mit unserem Kritiker Dieter David Scholz, der zugehört hat.
Deutschlandradio Kultur: Herr Scholz. Im vergangenen Jahr fielen die Händelfestspiele ja buchstäblich ins Wasser. Die Folgen des Hochwassers waren fatal, finanziell. Das Festival stand vor quasi unlösbaren finanziellen Folgeproblemen. Wie sieht die Situation der Händelfestspiele in Halle denn heute aus?
Scholz: Also nachdem sie im vergangenen Jahr durch die Absage wegen Hochwassers finanziell vor dem Ruin standen, sind sie nun gerettet. Sachsen Anhalts Ministerpräsident Haseloff und Kultusminister Dogerloh haben der Stiftung Händelhaus jährlich bis zu 511.000 Euro zugesagt bis 2017. Auch wenn dieser Betrag nur ein Drittel die Kosten deckt, der Rest muss durch Sponsoring, Fundraising und Eigeneinnahmen gedeckt werden.
Dennoch ist das eine Perspektive, die flankiert wurde von der Zusage, dass man alles tun werde, dass die Händelfestspiel in Halle nicht ernsthaft in Gefahr kommen. Es handelt sich schließlich im das bedeutendste Festival Sachsen-Anhalts, es ist die Visitenkarte der Geburtsstadt Händels, in der dieses Festival ja seit 1922 stattfindet, seit 1952 jährlich.
Deutschlandradio Kultur: Eine der letzten Neuausgaben der Hallischen Händelausgabe, die Oper "Arminius" aus dem Jahre 1737, kam heute Abend zu Ehren. Denn das Werk wurde erstmals nach dieser kritischen Gesamtausgabe der Werke aufgeführt. Wie hat sich der britische Regisseur Nigel Lowery dem Stück genähert?
Scholz: Wie zu erwarten, hat Lowery natürlich keinen historisch-heroischen Schinken um die Schlacht im Teutoburger Wald inszeniert, um die es ja in dieser Oper geht. Der römisch-germanische Konflikt der Handlung wird parodiert. Beziehungsweise gespiegelt zwischen Barock-Oper und Wagner-Theater.
Vor allem die verzwickten Beziehungskisten des Stücks werden bewegungstechnisch als übertrieben barocke Konventionen dargeboten. Daneben viel Teutonisch-Parodistisches. Es wagnert gewaltig! Tusnelda tritt auf wie Brünnhilde, Segeste sieht aus wie Wotan persönlich, Arminio darf wie Siegfried sein Schwert schmieden. Alles "Ring"-Situationen. Die Kostüme sehen denn auch aus wie bei der Uraufführung in Bayreuth, germanischer Mummenschanz also, oder in Händels Aufführungen im London Georges des Ersten, römisch-barock im Opernstil der Zeit.
Schließlich wird sogar Hans Sachsens nationalistische Schlussansprache aus den "Meistersingern" als Paradebeispiel eines vermeintlich chauvinistischen Deutschtums in großen Lettern auf einem Zwischenvorhang vom Bühnenhimmel herabgelassen. Bildnerisches Symbol des Germanisch-Deutschen ist für Lowery übrigens nicht etwa das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald, was naheläge, sondern das Brandenburger Tor, das zu Beginn vor dem Mauerfall auf der Bühne steht, dann demontiert wird um am Ende der Oper wieder aufgebaut zu werden.
Das Ganze ist eine Show, eine Revue, gewürzt mit viel Klamauk, Ironie und Slapstick. Und es spielt in einem papiernen, gemalten Barocktheater. Theater auf dem Theater also wieder einmal. Verkehre Welt und desillusionierendes Spiel. Es darf und soll gelacht werden. Ich fand dieses Spiel allerdings gar nicht so komisch, und wenn dann auch noch der Untergang des Abendlandes beschworen wird und per Videoeinspielungen polemisiert wird gegen blühende Kinos, teure Einkaufszentren und sterbende Theater dagegengehalten werden, dann wird’s doch etwas plakativ, Lowery hat mal wieder den Holzhammer im Regiebesteck und hat auf das Stück gehauen, dass es nur so kracht.
Deutschlandradio Kultur: Bei der Uraufführung in Londons Covent Garden - übrigens in Anwesenheit der Königsfamilie – war eine hochkarätige Sänger-Equipe engagiert worden. Gleichwohl hatte die Oper keinen nachhaltigen Erfolg. War die sängerische Besetzung in Halle heute Abend?
Scholz: Also es war keine Starbesetzung, wirklich nicht, aber mit Hagen Matzeit als Arminio hatte man einen hoch gehandelten Countertenor zur Verfügung, der hatte allerdings in Jeffrey Kim als Sigismondo starke Konkurrenz. Es war ein Wettstreit zweier Counter. Melanie Hirsch als Tusnelda war mir stimmlich etwas zu ungelenk und scharf in der Höhe, dafür entschädigte die Altistin Julia Böhme als samtstimmige Ramise, das ist die Schwester Arminios. Auch die tiefen und hohen Männerstimmen waren zuverlässig besetzt. Es war kein Sängerfest barocken Ziergesangs, keine Virtuosenveranstaltung großen Stils, aber immerhin eine sängerisch überzeugende Aufführrung.
Deutschlandradio Kultur: Das Opernhaus Halle ist ja eines der ersten gewesen, das aus dem eigenen Ensemble ein „Originalklang“-Orchester rekrutiert hat. Das Händelfestspielorchester spielt seit 1993 auf historischen Instrumenten. In diesem Jahr hat man Bernhard Forck verpflichtet, die Opernproduktion einzustudieren und zu leiten. Was hat er der doch etwas melancholischen Musik, die Händel in diesem Werk komponierte, abzugewinnen vermocht?
Scholz: Ich muss sagen, ich bin überrascht, was Bernhard Forck, der ja musikalischer Leiter des Händelfestspielorchesters ist, aus diesem Stück herausgeholt hat an Farben, an rhythmischer Pointiertheit. Forck ist heute Abend so temperamentvoll gewesen, wie ich ihn selten erlebt habe in den vergangenen Jahren. Er hat für ein geschärftes Klangbild gesorgt, hat viele Delikatessen der Partitur hörbar herausgearbeitet und eigentlich bewiesen, dass das Stück gar nicht so dröge und melancholisch ist, trotz der sich durchziehenden Moll-Tonarten, wie es auf den ersten Blick scheint. Und das Orchester hat diesen „Arminius“ technisch außerordentlich präzise und klangschön gespielt. Also musikalisch ein sehr erfreulicher Opernauftakt der diesjährigen Händelfestspiele in Halle.