Sachsen

Ab nach Osten

Ein Auto fährt über eine Brücke durch das Parkhaus eines neuen Einkaufszentrums im Zentrum von Leipzig (Sachsen), aufgenommen am 03.06.2014.
Leipzig, Dresden - Hauptsache zurück in die Heimat! Ein Projekt will Abgewanderte zur Rückkehr bewegen. © dpa / picture-alliance / Jan Woitas
Von Nadine Lindner · 10.10.2014
Wegen hoher Arbeitslosigkeit haben viele Menschen in den vergangenen Jahren Ostdeutschland verlassen. Mittlerweile suchen Betriebe im Osten aber händeringend Mitarbeiter. Ein Projekt bei Dresden soll Abgewanderte zurück nach Sachsen locken.
Na, sind denn auch noch alle Spangen im Haar? Stefanie Stuhr streicht ihrer Tochter liebevoll über den Kopf und zählt sicherheitshalber noch mal nach, als sie die Kleine aus dem Kindergarten abholt.
Stefanie Stuhr: "Die Große ist vier und geht hier in den Kindergarten. Die Kleine ist anderthalb und geht noch zu Tagesmutti. Bald hier in den Kindergarten."
Vor anderthalb Jahren ist sie mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern aus Rosenheim nach Kamenz gezogen, die Kleinstadt nordöstlich von Dresden.
Die Kinderbetreuung hat mit den Ausschlag gegeben bei der Entscheidung, wieder zurückzugehen, nach Ostdeutschland:
"Das war das erste, was ich gesucht habe, und das erste, was wir gefunden haben. Ich kannte das schon, aus Rosenheim wusste ich, dass das schwierig sein kann, die Kinder in den Kindergarten zu integrieren. Kinderkrippe kennen die nicht wirklich, das ist alles erst im Aufbau."
Die zierliche Frau mit den kurzen dunkelblonden Haaren ist Zahnärztin. So wie ihr Mann. Fünf Jahre lang haben beide in Rosenheim gearbeitet. Nach dem Studium wollten sie einfach mal was anderes sehen. Und Geld verdienen für eine eigene Praxis, die ihr Mann nach der Rückkehr in Kamenz eröffnet hat.
"Wir haben uns wohl gefühlt, aber ich sag mal so, so richtig angekommen, haben wir uns nicht gefühlt. Wie die Bayern sehr reserviert sind gegenüber allem, was von außen kommt."
Region um Dresden ist am Wachsen
Wirklich schwer ist ihnen der Abschied deshalb nicht gefallen, erzählt sie, während sie die Jacke ihrer Tochter sucht.
"Und wir haben eher ostdeutsche Kontakte gehabt. Die haben einen akzeptiert als Arzt, als Patient. Aber so richtig private Kontakte sind mit Bayern nicht entstanden."
Einmal Westdeutschland und zurück – Das wünschen sich die Initiatoren der Kampagne "Ab in die Wachstumsregion Dresden" noch öfter. Und haben deshalb Stefanie Stuhr zu ihrem Werbegesicht gemacht, ein großes Foto von ihr und ihren Töchtern auf ihre Prospekte gedruckt.
Für die Kampagne haben sich vorerst Kamenz und das 20 Kilometer entfernte Radeberg zusammengetan. Beides Kleinstädte im Umkreis von Dresden. Andere sollen folgen, so hoffen die Initiatoren. Denn in der Region hat es einen rasanten Wandel auf dem Arbeitsmarkt gegeben.
Am beschaulichen Marktplatz von Radeberg liegt das Rathaus. Das Büro des Bürgermeisters ist mit dunklem Holz getäfelt, an der Decke Malereien. Ja, es ist schön in unserer kleinen Stadt geworden, nur das müssen wir auch sagen, findet Gerhard Lemm.
Denn sonst bleiben die Fachkräfte weg, die die 18.000-Einwohner Stadt so dringend sucht.
Gerhard Lemm: "In Radeberg gibt es eine große Branchenvielfalt. Und wir haben eine geringe Arbeitslosigkeit von sechs Prozent. Das ist schon fast Vollbeschäftigung. Allein in der Medizintechnik gibt es fast 1.000 Arbeitsplätze. Schwerindustrie, das Karosseriewerk."
Radeberg wirbt mit Arbeitsplätzen und Kinderbetreuung
Arbeit und gute Kinderbetreuung - das sind zwei Trümpfe, mit denen seine Stadt punkten will.
Und sind Teil des Deals, den der Bürgermeister und die Projektvertreter anbieten: Für gleiche Arbeit gibt es zwar etwas weniger Lohn als im Westen, dafür sind Grundstückspreise und Mieten deutlich geringer.
"Nur wenn sie in München das Doppelte verdienen. Dann können sie sich kein Haus leisten. Aber das können sie hier."
Ein paar Treppen tiefer liegt die kleine Abteilung für Wirtschaftsförderung von Marco Wagner.
Wie so oft ist Projektleiterin Tina Zander vorbeigekommen, um die nächsten Schritte der Rückholkampagne abzuklären. Welche Gemeinden, welche Firmen kommen als nächstes an Bord, das beschäftigt die beiden gerade.
Tina Zander: "Also die aktuellen Zahlen sagen: Dass wir 2.800 offene Stellen im Landkreis Bautzen haben, in Dresden sind es über 3.000 offene Stellen. Wir reden also für den Großraum, für die Wachstumsregion Dresden von 5.000 offenen Stellen, die nicht besetzt sind. Das sind produzierendes Gewerbe, Metallverarbeitung, KFZ-Zuliefer-Betriebe, Pflege ..."
Das Projekt läuft erst rund einem Monat. Und es wird dauern, bis der ein oder andere anbeißt – weil meistens eine ganze Familie mit an der Entscheidung hängt. Das kennt Tina Zander aus eigener Erfahrung.
"Ich hab aber auch die Erfahrung gemacht, wenn es um die Zusammenarbeit mit Unternehmen geht, dass es viele Firmen es gut finden, das ich aus dem Osten komme und kein Besser-Wessi bin, der ihnen die Welt erklären."
Auf dem Tisch liegen die neuesten Werbe-Broschüren der Kampagne. Auf der Titelseite des DIN-A-4 Hefts: Zahnärztin Stefanie Stuhr und ihre zwei Töchter. Ihre Geschichte, ihr Umzug von Rosenheim nach Kamenz soll andere inspirieren.
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