Sachbuch

Wegweiser in die Welt des Yoga

Kopfüber: Beim sogenannten Antigravity-Yoga hängen die Teilnehmer in einer Schlaufe.
Kopfüber: Beim sogenannten Antigravity-Yoga hängen die Teilnehmer in einer Schlaufe. © dpa / picture alliance / Sitdikov
Von Frank Schüre · 22.06.2014
Die Zahl der Yoga-Lehrer und -Schulen ist kaum noch überschaubar. Welcher Weg ist da der richtige? Orientierung verspricht der Psychologe, Neurologe und Meditationslehrer Ulrich Ott mit seinem Buch "Yoga für Skeptiker".
"An einem Punkt hat es mich tatsächlich getroffen: völlig unvermittelt beim Sitzen in der Küche, wo auf einmal so Energiewellen aufgestiegen sind."
Kundalini - der dramatische Aufstieg dieser Energie im Rückgrat kennzeichnet die mystische Dimension von Yoga. Yoga - das heißt Joch. Wie das Joch die beiden Ochsen so verbindet Yoga Körper und Geist.
"Als die im Kehlkopf und Halsbereich waren, habe ich angefangen zu schreien, und zwar so laut, für etwa 15 Minuten, wie ich vielleicht geschrien habe, als ich aus dem Mutterleib rauskam."
Damit solche Erfahrungen möglich und integriert werden, braucht es einen guten Verbund zwischen Körper und Geist - ein "Joch". Anders als bei Ochsen geht das im Yoga nicht äußerlich und mechanisch, sondern physisch und metaphysisch. Von Bauch-Beine-Po-Yoga bis zu Kundalini-Wellen zwischen Beckenboden und Scheitel:
"Wirklich mit maximaler Intensität. Und ich war im Hintergrund vollkommen ruhig, habe das Ganze beobachtet - und nachdem das vorbei war, war die Welt vollkommen verändert."
Yoga erforscht seit 3500 Jahren und in über 1000 Übungen dieses verbindende Potenzial. Ulrich Ott hat in seinem Buch "Yoga für Skeptiker" eine Auswahl getroffen und darin die mystische Dimension des Yoga ernst genommen:
"Gerade das Feld Kundalini, das ist auch etwas, wo Sie sichtbar Effekte haben in der Motorik, in der Bewegung. Wo Sie Empfindungen haben, dass im Nervensystem, in der Wirbelsäule, im Rückenmarkskanal irgendwas aufsteigt. Und wenn Sie das wirklich bei sich erleben, wie es beschrieben wird in den alten Kulturen: dass Sie auf einmal eine wahnsinnige Intuition haben; dass Sie auf einmal spüren, dass irgendetwas eintreten wird - und dann tritt es ein!"
Verbund von Physik und Metaphysik
Seit gut zweihundert Jahren probiert der Westen die östliche Weisheitslehre am eigenen Körper und Geist, seit 25 Jahren wird sie erforscht von westlicher Wissenschaft. Wie auch bei anderen östlichen Lehren auf dem Weg in den Westen ist bei dieser kulturellen Übersetzung einiges auf der Strecke geblieben und vieles hinzugekommen. Altindische Yogis würden staunen über die schlichte Fitness-Haltung postmoderner Yoga-Kurse. Sie würden sich freuen über Ulrich Ott, dem es um den Verbund von Physik und Metaphysik geht - skeptisch und yogisch:
"Glauben reicht nicht – da habe ich im Buch Vivikananda zitiert: Wenn es eine Seele gibt, dann müssen wir die erfahren können. Wenn es einen Gott gibt, dann müssen wir den schauen können. Sonst ist es besser, gar nicht zu glauben. Und das ist im Yoga der Weg: Man muss nichts glauben, sondern es gibt die Methoden. Wende sie an und schau, was passiert."
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts sorgten britisches Bodybuilding, schwedische Ling-Gymnastik und Kneippsche Wassergüsse für ein Yoga-Revival im Herkunftsland Indien. Selbst das grundlegende Yoga Sutra von Patanjali wurde erst durch Import in den Westen zum Klassiker. Diese interkulturelle Geschichte des Yoga von der Religion zum Sport zu Krankengymnastik und Entspannung setzt Ulrich Ott fort mit einem wissenschaftlich ambitionierten Wegweiser in die spirituelle yogische Tiefe.
In seinem Buch befruchten sich westliche und östliche Erforschung des Verbundes von Körper und Geist. Wie im Labor probiert, analysiert und demonstriert er die yogische Methodik zur Entfaltung geistiger Potenziale:
"Sie müssen diese mentalen Trainingsmethoden stärker einbeziehen als ein Forschungsinstrument. Nur wenn ich den Geist in gewisse Regionen führe, wo ich Freiheitsgrade gewinne und eben nicht an unserem normalen Welt-Navigationsmodell mit Raum, Zeit: Ich bin hier, und da ist was anderes, und da muss es eine Interaktion geben mit Energie und Information - wenn wir uns davon lösen können im eigenen Bewusstsein, dann treten solche Phänomene vermehrt auf. In anderen Kulturen, die da nicht so verhaftet sind, ist das selbstverständlich, dass das auftreten kann."
Wellness, Stressreduktion, Erleuchtung
Nicht einfach glauben, sondern selber ausprobieren. Im Yoga geht es um die Ausbildung der körperlich-geistigen Verfassung zu einem Instrument und Medium spirituellen Forschens. Die Haltung dafür ist Meditation, das Medium der Atem. Das Yoga des Atems verbindet und vertieft die Beziehung von Körper und Geist. Je kompetenter dieses Atem-Joch im Üben wird, desto offener wird der Übende für tiefe Erfahrungen. Für den Psychologen und Hirnforscher Ulrich Ott begegnen sich dabei uralte mit aktuellen Einsichten in die Metaphysik des Menschen:
"Was passiert in der Meditation ist, dass ich im Hirn dieses Gegenseitig-Kontrollieren auflöse und das Gehirn als Ganzes in einen Zustand bringe, wo es hochempfänglich ist. Ich bin in einem Zustand großer Offenheit und Wachheit, wo das Gehirn als Ganzes, als erregungsfähige Masse, überspringen kann in eine sehr schnelle hochfrequente Aktivität. Aus Sicht der Hirnforschung ist das ein Attraktor, wo massiv eine Aktivierung, eine Synchronisierung des Gehirns stattfindet. Inzwischen gibt es viele Hinweise darauf, dass der Mensch, indem er sein Bewusstsein und die Dynamik des Gehirns klärt, dass dann es eintreten kann, dass ich in so einen mystischen Einheitszustand hinein komme. Diesen Erfahrungsbereich, den haben wir als Möglichkeit, das ist das, was in den Religionen angestrebt wird."
Und aktuell auch von Neurosoziologen unter dem Leitwort "Empathie" erforscht wird. Wieder bestätigt sich die Plastizität des Gehirns: Mitgefühl und all die damit verbundenen Qualitäten lassen sich üben und verfeinern - yogisch eben. Weil das wissenschaftlich versierte Yoga des Westens so jung ist wie fortschrittlich, will es hier mit Riesenschritten vorankommen. Nach Wellness, Stressreduktion und Schmerzlinderung steht Erleuchtung auf dem Programm. Aber mit der Skepsis von Ulrich Ott und der Ruhe aus 3500 Jahren Yoga bleibt die schwere Qualität des Jochs von Körper und Geist spürbar und wegweisend:
"Hingabe, Demut, Bescheidenheit - das sind Dinge, die im Grunde vorher schon trainiert werden müssen, damit ich nicht mit einer schrägen Egostruktur in diese Erfahrungsbereiche hinein komme. Das heißt, ein Großteil der Arbeit sollte vorher passieren, dafür sind die ersten beiden Glieder im Yoga Sutra da: nämlich das ethische Training, Yama nyama, nicht schädigen. Je mehr ich mich im Alltag schon frei mache von egoistischen Bestrebungen, umso tiefer komme ich in der Meditation. Wenn ich tief in die Meditation reingehe, dann fällt mir dieses ethische Verhalten alltäglich sehr leicht. Aber der Anspruch ist ein viel größerer, dass ich Yoga verstehe als System, mit dem ich meine gesamte Persönlichkeit transformieren kann."
Nutzen Sie das Yoga-Buch von Ulrich Ott wie ein Kochbuch - voll praktischer Rezepte für ein gutes Verbinden von Körper und Geist. Probieren Sie es aus, lassen Sie sich anregen, glauben Sie nichts! Sie erfahren eine Menge über sich und Ihr Wohlsein. Wie weit das geht, hängt vom Aufwand ab, von Geduld und der Bereitschaft, sich auf ungewohnte Übungen einzulassen. Auf keinen Fall wird es exotisch oder gar indisch. Aber vielleicht trifft es Sie auf einmal mitten in der Küche: es kocht über, es brennt an, Sie fluchen und schreien und bleiben zugleich ganz ruhig dabei und schauen zu: wie Energiewellen aufsteigen und Körper und Geist sich verbinden für einen tiefen Moment.