Sachbuch

Von Rosen und Brennnesseln

Eine Libelle auf einer Brennnessel, fotografiert in der Oberlausitz bei Wartha
Eine Libelle auf einer Brennnessel © picture alliance / ZB
Von Susanne Billig · 11.05.2014
Er ist Professor für Umweltjournalismus - und will einen Garten. In "Meine zweite Natur" erzählt Michael Pollan, wie er ein riesiges, verwildertes Stück Land zum Blühen bringt und dabei fast ein Murmeltier umbringt.
1983 kehren Michael Pollan, Professor für Umweltjournalismus, und seine Frau der Stadt New York den Rücken und lassen sich im Bundesstaat Connecticut nieder. Dort kaufen sie ein zweieinhalb Hektar großes, felsiges und wildbewachsenes Grundstück, das der Autor nach und nach in einen blühenden Garten verwandelt.
Sein wunderschön erzähltes Buch "Meine zweite Natur" berichtet von seinem Ringen mit Brennnesseln und Murmeltieren, der rechten Art, einen Komposthaufen oder ein Rosenbeet anzulegen, den Naturidealen der amerikanischen Transzendentalisten, die der Gärtner bei der Arbeit im Herzen bewegt sowie der Geschichte des Gartens im großen Vorbild England und den USA.
Schon auf den ersten Seiten entführt Michael Pollan seine Leserinnen und Leser in seine poetische Welt. In einer reichen, ruhigen Sprache erinnert er sich an den ausufernden Garten des Großvaters, in dem duftende Obstbäume, Zuckermais und riesige Fleischtomaten gediehen.
Eifersüchtig überwachte der alte Mann diese Schätze und führte einen erbitterten Kampf gegen Unkraut und Linksliberalismus - für ihn alles dasselbe. Andere Erinnerungen stammen vom Vater, der daheim stets in Unterhosen und schwarzen Schuhen umherlief und im Vorgarten, zum Zorn der Nachbarn, statt des perfekten Rasens eine Blumenwiese wuchern ließ. Nur ein einziges Mal, so der Autor, holte sein Vater den Rasenmäher hervor und mähte - seine Initialen in die wilde Sommerwiese.
Kämpfe zwischen Natur und ihrer Nutzung
Wie Michael Pollan seinen Figuren Leben einhaucht, wie er sich selbst und seine nimmermüden Kämpfe um eine moralisch aufrechte Balance zwischen Achtung vor der Natur und ihrer Nutzung zum Zwecke der Selbstversorgung ironisch dem Publikum preisgibt, wie er, mit den Händen tief in die Erde greifend, die Entgleisungen der amerikanischen Kultur anprangert und doch ihre Qualitäten preist - die Offenheit, die Liebe zur Freiheit und zur ungezähmten Natur - das mutet beim Lesen so wohltuend an wie ein lauer Sommernachmittag im Grünen.
Zäune, so Michael Pollan mit heiterem Grundton, gelten in seinem Land als elitär und unsozial. Doch was tun, wenn Murmeltiere die Zaunfreiheit nutzten und sich über das mühsam hochgezogene Gemüse hermachen? Im inneren Dialog mit seinen intellektuellen Vorbildern Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau bemüht sich der gärtnernde Professor um friedliche Koexistenz - und kapituliert dann doch.
Mit einem anti-ökologischen Crescendo brachialer Methoden rückt er dem Tier auf den Pelz: Erst mit faulen Eiern, dann mit Motoröl und schließlich mit literweise Benzin, das er in den Murmeltier-Bau gießt und anzündet - wobei er sich nur mit Mühe vor der Stichflamme retten kann. Am Ende baut er einen Zaun. „Was ich hier schaffe", seufzt Michael Pollan in tiefer gärtnerischer Erkenntnis, „ist ein Mittelweg zwischen Natur und Kultur - ein Ort, der Teil der Kultur ist und ihr doch auch kompromisslos entgegensteht. Was ich hier schaffe, ist ein Garten".

Michael Pollan: Meine zweite Natur - Vom Glück, ein Gärtner zu sein
Aus dem Amerikanischen von Eva Leipprand
oekom Verlag, München 2014
368 Seiten, 19,95 Euro