Sachbuch über kuriose Orte

Die seltsamsten Schlupfwinkel der Welt

Die Weltkugel-Plastik am Nordkap auf der norwegischen Insel Magerøya, die im Jahr 1978 aufgestellt wurde.
Die Weltkugel-Plastik am Nordkap auf der norwegischen Insel Magerøya © picture-alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Gabriele von Arnim · 25.07.2015
Google Earth und Co. vermitteln den Eindruck, die Welt sei bis in den letzten Winkel erforscht und vermessen. In seinem Buch "Die seltsamsten Orte der Welt" versucht Alastair Bonnett das Gegenteil zu beweisen. Er entführt in versteckte Labyrinthe, unterirdische, verlassene oder überbaute Städte und offenbart geografische Kuriositäten.
Einst hat Alastair Bonnett an der Universität von Newcastle in England eine psychogeographische Zeitschrift gegründet. Er glaubt nämlich, dass es ein ursprüngliches Bedürfnis des Menschen gebe nach einer seelischen Bindung an einen Ort. Und so sieht er es als seine Aufgabe an, den Ort gegen den Rivalen Raum zu verteidigen, mit dem sich die Wissenschaft heute so übermäßig beschäftige.
Alle Welt rede über Räume, und alle Welt sehne sich nach Orten. Denn es ist der Ort, der essentiell zum Menschsein dazugehöre und im modernen Leben täglich bedroht werde. Diese Entwicklung kennen wir alle: Einzigartige Landschaften werden zubetoniert, Gesichter von Städten werden gierig zerstört, aus Lebens-Orten werden Konsumklotzwüsten, die jede Verbundenheit zwischen Mensch und Ort zerstören.
Wir brauchen Orte, so Bonnetts These, weil wir Orte lieben. Topophilie ist daher das Thema seines neuesten Buches, in dem er 47 der seltsamsten Orte der Welt vorstellt. Orte, die verstören oder verlocken, die spektakulär sind oder gänzlich unscheinbar.
Romantische, abstruse, verletzte Orte
Er zitiert Herman Melville, der in Moby Dick über die Heimatinsel von Queequeg sagte, sie sei auf keiner Karte verzeichnet, denn die richtigen Orte stünden ohnehin nie drauf.
Die richtigen Orte – das sind in Bonnetts Verständnis die romantischen, die abstrusen, die verletzten Orte, die sich oft dem kartographischen Weltwissen entziehen. Mal sind sie temporäre Erscheinungen, wie Bimssteinflösse oder Müllinseln, mal sind es Friedhöfe, die zu Wohnsiedlungen wurden, mal sind es Orte, die von zwei Nationen beansprucht oder von keiner aufgenommen werden.
Immer wieder werden seine seltsamen Orte zu Projektionsflächen von Widerstand gegen die Geheimnislosigkeit der ausgemessenen Welt. Da ist zum Beispiel Sandy Island vor der australischen Küste. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Insel entdeckt und vor wenigen Jahren als Schimäre enttarnt. Geographische Verlässlichkeit wurde erschüttert und neue Freiheit gewittert. Denn wenn alte Inseln verschwinden können, könnten auch neue entdeckt werden.
Faszinierende Lektüre, und doch etwas enttäuschend
Bonnett interessieren Orte, die übersehen werden, das kann ein Parkdeck oder ein archäologischer Park sein, aber er beschäftigt sich auch mit Orten und ihren Erinnerungen. Was geschieht mit einer Stadt wie Leningrad, die mehrfach umbenannt wurde im Laufe ihrer Geschichte, wie macht sich die „flüsternde Vergangenheit" bemerkbar und welches Ich der Stadt gewinnt die Oberhand.
Bonnetts Beschreibung seltsamer Orte ist eine faszinierende Lektüre - und immer wieder ein bisschen enttäuschend. Nicht nur hat er offenbar mehr Zeit zu Hause mit Google als auf Reisen verbracht, so dass den Beschreibungen immer wieder die liebende Lebendigkeit fehlt, die doch Menschen und Orte verbinden soll. Der Autor hat auch im Rausch der Entdeckerlust seine eigenen Fragen verloren: Was bedeuten Orte, die er das Gewebe unseres Lebens nennt, in einer globalisierten Welt? Wann sind Orte Heimat, wann Fluchtpunkte? Sind seltsame Orte der letzte Schlupfwinkel für Überraschungen und Abenteuer? Ein paar Orte weniger und ein paar Überlegungen mehr, hätten dem Buch gut getan.

Alastair Bonnett: Die seltsamsten Orte der Welt Gabriele v.Arnim
Geheime Städte Verlorene Räume Wilde Plätze Vergessene Inseln
Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn
C.H. Beck Verlag 2015
288 S., 19,95 Euro

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