Sachbuch

Selbstbewusste Familiengründer

Wehende Regenbogenflaggen auf einer Demonstration.
Regenbogenfamilien sind genauso individuell wie andere Familien, beschreibt Katja Irrle. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Susanne Billig · 01.04.2014
Sind lesbische Mütter und schwule Väter sogar die besseren Eltern, fragt die Journalistin Katja Irrle provokativ. Mit ihrer Bestandsaufnahme "Das Regenbogenexperiment" liefert sie einen wertvollen Beitrag zu einer teils hysterisch geführten Debatte.
In den 1980er-Jahren schien es den meisten lesbischen Frauen und schwulen Männer undenkbar, Kinder innerhalb ihrer Partnerschaft zu bekommen und eine Familie zu gründen. Wie sehr sich das geändert hat, beschreibt Katja Irle jetzt eindrucksvoll in ihrem Buch "Das Regenbogen-Experiment": Schon heute wachsen in Deutschland 18.000 Kinder in homosexuellen Lebensgemeinschaften auf, möglicherweise sind es wegen der hohen Dunkelziffer noch sehr viel mehr.
Rechnerisch bleiben lesbische Mütter und schwule Väter zwar ein Randphänomen. Doch sie verunsichern traditionelle Familienbilder - darum gilt das Thema als politisch brisant.
Nachwuchs im homosexuellen Lebensplan
Sorgfältig zeichnet die Journalistin im ersten Teil des Buches, "Die Erwachsenen", den Weg der Schwulen und Lesben nach - von einer ausgegrenzten Minderheit hin zu Frauen und Männern, die selbstbewusst Gleichberechtigung einfordern. Viele Homosexuelle verstehen sich heute als ganz normaler Teil der Gesellschaft. Die Gründung einer Familie gehört zum bürgerlichen Lebensplan, erklärt Katja Irle, und der will umgesetzt sein.
Darum reisen lesbische Frauen mit Kinderwunsch zu Samenbanken nach Dänemark, finden Spermaspender im Internet oder bitten Freunde und Verwandte um Unterstützung.
Nicht selten tun sich schwule und lesbische Paare auch zu "Kleeblatt"-Familien zusammen. Und es gibt Konstruktionen voller Grenzüberschreitungen: Weil Homosexuellen die Adoption eines Kindes verwehrt bleibt, treiben Männer im Ausland eine Eizellspenderin auf und lassen deren Eizelle mit ihrem Samen befruchten. Der so entstandene Embryo wird dann von einer anderen Frau, einer Leihmutter, ausgetragen. Ist das Kind geboren, schmuggeln die Väter es unter halblegalen Bedingungen nach Deutschland; denn Leihmutterschaft ist hierzulande verboten.
Stabile Regenbogenkinder
Wie aber verarbeiten Kinder solch eine Herkunft? Darum geht es im zweiten Teil des Buches: "Die Kinder". Homosexuelle Eltern muten ihren Sprösslingen zwangsläufig hybride Identitäten zu, räumt die Autorin ein. Dennoch attestiert die bisherige wissenschaftliche Forschung Regenbogen-Kindern eine rundum durchschnittliche Entwicklung: Weder werden sie häufiger homosexuell, noch zeigen sie psychologische Auffälligkeiten. Einer australischen Studie zufolge sind Kinder aus Regenbogenfamilien sogar stabiler und selbstbewusster und bewerten den Zusammenhalt in ihren Familien als besonders positiv.
Katja Irle liefert einen wertvollen Beitrag zu einer teils hysterisch geführten Debatte. Ruhig, sachlich, wohlwollend und ohne sich anzubiedern, erkundet sie das Regenbogenexperiment, liefert rechtliche Informationen und gibt in Zitaten und Interviews Einblicke in die Familien. Sie zeigt so: Regenbogenfamilien sind genauso individuell und besonders wie jede "normale" Heterofamilie auch.
Weil das Kindeswohl aber an erster Stelle stehen muss, fordert die Autorin, dass jedes Kind ein Recht darauf haben muss, seine Wurzeln zu kennen. Und deshalb sollten weder hetero- noch homosexuelle Eltern die Reproduktionsmedizin in einer Weise nutzen, die den Kindern den Zugang zu ihren leiblichen Eltern für immer versperrt.

Katja Irle: Das Regenbogenexperiment. Sind Schwule und Lesben die besseren Eltern?
Beltz und Gelberg Verlag, Weinheim 2014
220 Seiten, 17,95 Euro

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