Sachbuch

Mitreißend erzählte Zeitgeschichte

Von Carsten Hueck · 13.01.2014
Der Religionswissenschaftler Aslan legt das Ergebnis einer fast 20-jährigen, kritischen Lektüre christlicher Quellen und theologischer Forschung vor. Herausgekommen ist keine Kampfschrift, sondern eine historisch fundierte Darstellung des Jahrhunderts um Christi Geburt.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie belegt, dass in den USA ein Drittel der Bevölkerung die Bibel wörtlich nimmt und mehr als die Hälfte daran glaubt, dass Gott die Evolution in die Wege geleitet hat. Wissenschaftliche Lehre hingegen, so einer der republikanischen Präsidentschaftsbewerber im vergangenen Jahr, sei "Indoktrination gegen die Religion“.
Unter diesen Umständen wundert es nicht, dass das neue Buch des US-amerikanischen Religionswissenschaftlers Reza Aslan in seiner Heimat Anlass für Kontroversen war. Auch dass der Autor Muslim ist, hat bei manchem für Aufregung gesorgt. Darf der das? Er darf, denn Aslan, selbst eine Zeit lang evangelikaler Christ, legt mit "Zelot, Jesus von Nazareth und seine Zeit“ das Ergebnis einer nahezu 20-jährigen, kritischen Lektüre christlicher Quellen und theologischer Forschung vor – und eröffnet auf keiner Seite eine wie immer geartete muslimische Sicht auf Jesus. Keine Kampfschrift hat der Autor verfasst, sondern eine historisch fundierte und vor allem hervorragend geschriebene Darstellung des Jahrhunderts um Christi Geburt.
Mitreißend schildert Aslan den zeitgeschichtlichen Hintergrund, vor dem der historische Jesus agierte. Soziologische und kulturhistorische Informationen arbeitet er dabei so anschaulich ein, dass sich dem Leser tatsächlich ein Panoramablick auf Lebensverhältnisse und politische Konstellationen zwischen Rom und Jerusalem darbietet. In einem Prolog rekonstruiert Aslan die Festzeit in Jerusalem: Das Treiben zwischen den Säulengängen des Tempels, die religiösen Zeremonien, die Beschaffenheit der Priestergewänder, den Mord am Hohepriester Jonathan. Unweigerlich sieht man sich in einen üppig ausgestatteten Historienfilm versetzt. Fakten und Informationen sind hier, wie auch in der Folge, ausgesprochen kulinarisch dargeboten. Die wissenschaftliche Sorgfalt leidet darunter nicht.
Zwei Gestalten: Religiöser Eiferer und Religionsstifter
Gleichwohl sind Kernaussagen von Aslans Buch im Kontext religionsgeschichtlicher Forschung nicht neu. Deutlich trennt er zwei Gestalten voneinander: vor allem porträtiert er einen analphabetischen Handwerker und Tagelöhner, Jesus aus Nazareth, der einer großen Familie mit mindestens vier Brüdern entstammt, und der als Wanderprediger und Wundertäter in die Rolle eines Aufrührers gegen die römische Herrschaft hineinwächst. Er gewinnt zahlreiche Anhänger, die in ihm den Messias sehen und wird schließlich vom römischen Statthalter als Zelot, als religiöser Eiferer, zum Tod am Kreuz verurteilt. Mit nationalreligiöser Ideologie gegen die Herrschaft der Römer zu kämpfen, hatte bereits vor Jesus‘ Auftreten Tradition, und diese Tradition setzte sich auch nach seinem Tod fort.
Die Erfolglosigkeit dieses Bemühens, symbolisiert durch die Zerstörung des Tempels im Jahr 70 unserer Zeit, führte zu einer Neuinterpretation des Judentums – und zur Schaffung jener Figur, die wir als Jesus Christus kennen. Aslan unterstreicht durchgängig die Unterschiede zwischen dem religiösen Eiferer, der für einen Gottesstaat in Palästina eintrat, und dem Religionsstifter, dessen jüdische Wurzel von den Evangelisten ausgeblendet und dessen Reich in den Himmel verlegt wurde.
Diese Konfrontation des historischen Jesus mit dem des Neuen Testaments, bereichert jeden theologisch und historisch Interessierten. Und regt überdies zu einer erneuten Bibellektüre an. Wer mehr will als Glauben, sollte "Zelot“ also unbedingt lesen.

Reza Aslan: Zelot. Jesus von Nazaret und seine Zeit
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013
380 Seiten, 22,95 Euro