Sachbuch: "Der Quantenbeat des Lebens"

Wie entsteht der Mensch?

Modell eines DNA-Moleküls
Die Autoren vermuten, dass aus toter Materie nur deshalb Leben entstehe, weil die beteiligten Moleküle sich Quanteneigenschaften zunutze gemacht haben. © imago/Westend61
Von Gerrit Stratmann |
Leben ist das faszinierendste Phänomen des Universums. Aber wie entsteht es? Die Quantenbiologie liefert bahnbrechende Erklärungen. Jim Al-Khalili und Johnjoe McFadden zeigen in ihrem Buch "Der Quantenbeat des Lebens" wie kleine Ereignisse große Wirkung haben.
Zugvögel orientieren sich am Magnetfeld der Erde, das ist aus Experimenten bekannt. Unbekannt war jedoch lange Zeit, wie sie das äußerst schwache Magnetfeld überhaupt wahrnehmen. Jim Al-Khalili und Johnjoe McFadden geben in ihrem Buch "Der Quantenbeat des Lebens" nicht nur darauf eine Antwort, sie stellen zugleich ein neues Forschungsgebiet vor. Die junge Disziplin der Quantenbiologie untersucht, was viele Wissenschaftler noch vor Kurzem für absurd gehalten haben: Welche Rolle spielt die Quantenmechanik für das Funktionieren biologischer Prozesse?
Die Quantenmechanik beschreibt das Verhalten von Protonen und Elektronen, Atomen und Molekülen. In dieser Welt des Allerkleinsten scheint es bizarre Phänomene zu geben. Elementarteilchen halten sich etwa mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit an verschiedenen Orten zugleich auf. Oder sie durchtunneln undurchdringliche Barrieren und gehen mit Partnern mitunter merkwürdige Verbindungen ein, die auch auf große Entfernungen bestehen bleiben.
Aber diese Zustände sind hochempfindlich. Die geringste Störung von außen genügt, und die wundersame Welt der Quanten bricht zusammen. Deshalb können Physiker sie nur in isolierten, tiefgekühlten Umgebungen für kurze Zeit herstellen. Wie könnten diese sensiblen Quanteneigenschaften dazu beitragen, das Funktionieren lebender Systeme zu erklären? Und wie sollten quantenmechanische Prozesse in Menschen, Pflanzen oder Tieren überhaupt stabil bleiben, in denen es feucht und warm ist und von störenden Einflüssen nur so wimmelt?
Grenze des Wissens
Am Beispiel des Magnetsinns der Zugvögel, des Riechens bei Mensch und Tier und der Photosynthese bei Pflanzen schlüsseln der Kernphysiker Jim Al-Khalili und der Molekulargenetiker Johnjoe McFadden diese Fragen auf. Sie zeigen, dass quantenmechanische Eigenschaften tatsächlich eine fundamentale Rolle bei diesen Prozessen spielen. Vielleicht, so ihre Vermutung, konnte aus toter Materie sogar nur deshalb Leben entstehen, weil die beteiligten Moleküle sich Quanteneigenschaften zunutze gemacht haben. Auch unser Bewusstsein ist möglicherweise von quantenmechanischen Vorgängen abhängig, spekulieren sie.
Al-Khalili und McFadden trennen deutlich zwischen Fakten und Vermutungen und zeigen die (augenblickliche) Grenze des Wissens auf. Sie erzählen Geschichten aus der Forschung, fassen wissenschaftshistorische Hintergründe zusammen und nehmen den Leser Schritt für Schritt verständlich an die Hand, wenn es um die Wanderung von Elektronen in Enzymen oder Photorezeptoren geht oder um die Wahrnehmung von Duftmolekülen. Sie stellen die richtigen Fragen an den richtigen Stellen und helfen mit wenigen, aber sinnvollen Abbildungen dem Verständnis zusätzlich auf die Sprünge. So sollten Sachbücher geschrieben sein: von Fachleuten mit Kenntnis und Leidenschaft für ihr Gebiet, detailliert, ohne den Blick auf das große Ganze zu verlieren.

Jim Al-Khalili und Johnjoe McFadden: "Der Quantenbeat des Lebens"
Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel
Ullstein Verlag, Berlin 2015
432 Seiten, 24 Euro

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