Sachbuch

Dem falschen Zug aufgesprungen

Ein Fiaker vor Schloss Schönbrunn
Finaler Schauplatz der Habsburgermonarchie: Schloss Schönbrunn © picture alliance / Daniel Kalker
Von Stefan May · 07.05.2014
Ein Sachbuch, ein Roman, eine Essay-Sammlung? Richard Wagner geht in seinen "Habsburg-Skizzen" assoziativ vor, in denen er die Nachfolgestaaten des Ostblocks in den Blick nimmt. Wie er sich der Habsburgermonarchie gegenüber positioniert, scheint er dabei selbst nicht so genau zu wissen - doch es gelingen ihm einige treffende Bemerkungen.
Er spricht von "Habsburg" und meint "Ostmitteleuropa". Das mag einer der Gründe sein, warum man Wagners Buch mit ambivalenten Gefühlen aus der Hand legt. Fast scheint es, als wäre der Autor auf den in diesem Jahr mit der Zahl "1914" geschmückten Zug aufgesprungen, um etwas ganz anderes zu verhandeln: Die Völker im Osten Europas im Spiegel der Zeit.
Zwar geht es immer wieder um das Reich der Habsburger, doch ebenso häufig verlässt Wagner Zeit und Raum des Vielvölkerstaats, den er mit Vorliebe mit der Wortschöpfung Robert Musils bedenkt: "Kakanien", jene abschätzige Verbalisierung von "k. und k.", die der österreichischen Monarchie einen lächerlichen Anschein gibt, den einer von einem degenerierten Adelsgeschlecht geführten Besatzungsmacht. So sitzt der Autor dann selbst gerne dem Klischee auf – dem der Konditoreien als einem das Reich einenden Geheimcode und dem des auf dem Sofa liegenden Offiziers.
Genre-Einordnung bleibt schwierig
Dennoch geht es Richard Wagner kapitelweise nicht um die Nachfolgestaaten der Monarchie, sondern um die Nachfolgestaaten des Ostblocks, was zwar meist gleichbedeutend ist. Doch stellt er in diesen Kapiteln nicht den Bezug zu Habsburg, sondern zur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts regierenden kommunistischen Nomenklatura her, nimmt die Verwerfungen nach 1989 in den Blick.
Richard Wagner
Der Schriftsteller Richard Wagner auf der Frankfurter Buchmesse 2007© dpa / picture alliance / Arno Burgi
"Habsburg" – ein Sachbuch, ein Roman, eine Essay-Sammlung? Es ist auch die Schwierigkeit, das Werk einzuordnen, die den Leser nicht ganz zufrieden daraus entlässt. Der Klappentext verheißt den Gang durch die fiktive Bibliothek einer untergegangenen Welt, und tatsächlich lässt sich der Autor mitunter assoziativ von einem Kapitel zum anderen treiben, als nähme er Bücher zum Thema aus dem Regal. Mitunter erscheint dies aber beliebig, wirft er seine Stellungnahmen kunterbunt durcheinander, mischt er Kochrezepte altösterreichischer Süßspeisen darunter.
Das ist schade, denn dem Autor gelingen oft großartige, sprachlich präzise Bemerkungen, kleine Aperçus, die es wert sind, sie sich zu merken. Etwa, wenn er Thomas Bernhard als "Ein-Mann-Fundamentalopposition" bezeichnet und über ihn schreibt: "Der gleichermaßen als Bühnen- und Prosaautor berühmt gewordene Schriftsteller besaß einen so ausgeprägten Willen zur Tatsachenbehauptung, dass es schließlich nur noch um die Pointe ging." Auch für Österreich findet Wagner ein zeitlos zutreffendes Bonmot: "Österreich hat das Glück, nicht reformierbar zu sein und trotzdem regierbar bleiben zu können."
Ablehnung gegenüber Habsburgern spürbar
Immerhin scheint der Autor im Verlauf des Buchs an Tritt und Richtung zu gewinnen. Wobei er sich mit seiner Positionierung der Habsburgermonarchie gegenüber schwer zu tun scheint. Man fühlt, dass er die Habsburger selbst und das Aufzwingen eines Systems, einer Sprache, innerlich ablehnt.
Dennoch kommt er nicht umhin, das Geschick der Implementierung einer europaweit einheitlichen Verwaltung anzuerkennen und letztlich zuzugestehen, dass nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates in den einzelnen neuen Staaten die starke Klammer fehlt, was Orientierungslosigkeit und Fehlentwicklungen verursacht. Schließlich endet er fast versöhnlich: "Die Lebenskunst, von der wir gerne sprechen, hat ihre Rahmenbedingungen. Zu ihrer Festlegung haben die Habsburger und ihr Imperium einen wesentlichen Beitrag geleistet."

Richard Wagner: Habsburg – Bibliothek einer verlorenen Welt
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2014
240 Seiten, 27,99 Euro

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