Saarbrücker Bauruine

Die Brücke, die einfach nur so da ist

05:38 Minuten
Die "Geisterbrücke" am Rand von Saarbrücken sollte eigentlich in ein Industriegebiet führen - das aber nie gebaut wurde.
Die "Geisterbrücke" am Rand von Saarbrücken sollte eigentlich in ein Industriegebiet führen - das aber nie gebaut wurde. © Deutschlandfunk Kultur / Tonia Koch
Von Tonia Koch · 27.07.2020
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Am Rand von Saarbrücken steht eine vierspurig angelegte Brücke ohne Namen und ohne Funktion. Ein Auto ist nie darüber gerollt. Diese 50 Jahre alte Brücke ist einer der vielen "Lost Places" in Deutschland - und doch hat sie ihre Bestimmung gefunden.
"Diese Brücke ist ein Lost Place", sagt Ruth Meyer. "Sie ist scheinbar nutzlos, aber sie hat einen ganz großen Nutzen für Filmschaffende, wenn sie den besonderen Charme dieser Brücke sehen. Sie ist auch logistisch gut gelegen – dazu machen wir auch immer Angaben, wie man angebunden ist und was man im Umfeld findet. Wenn Sie die Bilder anschauen, die in unserer Datenbank hinterlegt sind, dann erkennen Sie, dass man dort für bestimmte Stimmungen in einem Film einen sehr guten Drehort findet."
Die Schwärmerei der Leiterin der Saarländischen Landesmedienanstalt, Ruth Meyer, gilt der Saarbrücker "Geisterbrücke". Die Filmförderung listet das Bauwerk als geeigneten Drehort.
"Ich glaube, dass wir viele solcher Orte im Saarland haben, die ganz großen Charme haben, die ganze Industriekultur", sagt Meyer, "und ich glaube, dass wir deshalb auch ein guter Standort für Filme sind."

Ein Zweckbau ohne Zweck

Ein bisschen abgewrackt sieht sie schon aus, die Brücke. Vier Fahrspuren hatten die Planer angelegt, dazu einen breiten Mittelsteg, der wohl für die Beleuchtung vorgesehen war, und Gehwege links und rechts der Fahrbahn, die von einem niedrigen Geländer gesäumt werden. Ein Zweckbau, der seinen Zweck jedoch nie erfüllt hat.
"Sie wollen mir sagen, sie haben diese Brücke umsonst gebaut. Ja super!"
Wundern darf man sich, wie dieser Passant. Aber ja, es stimmt: Die Brücke steht einfach nur so rum. Deshalb nennen die Saarbrücker sie auch "Geisterbrücke" oder ganz einfach nur "So-da-Brücke". Der Brückenbogen überspannt im Osten der Landeshauptstadt die Saar und mündet in ein Naturschutzgebiet.
Heute ein prima Ort zum Chillen. "Das ist schön, da ist Wasser, ein bisschen Sonne, ein bisschen entspannen, das wär’s."
Das war nicht immer so, und schon gar nicht so geplant, erläutert ein Fahrradfahrer, der sich auskennt:
"Zum einen: Die Saar ist früher so nicht verlaufen, sondern ist eher da hinten entlang, die wurde begradigt. Das hier ist der ehemalige Flughafen Saarbrücken St. Arnual, da sollte ein Industriegebiet hin. Man hat in weiser Voraussicht wohl gedacht, wir bauen schon mal die Brücke. Nur kam dann kein Industriegebiet hin, und seitdem steht diese Brücke hier. Das ist die grobe Geschichte und seitdem ist hier wieder Naturschutz."

Trümmer, Bauschutt und Sand

Bis 1955 diente die etwa 50 Hektar große Fläche zunächst als Flughafen. Noch bevor der Flugbetrieb eingestellt wurde, wurde bereits auf einem nicht benötigten Areal Trümmerschutt gelagert. Später kamen durch den Bau der Autobahn, die mitten durch die Stadt führt, Bauschutt und Sand hinzu. Der Saar wurde wegen der Stadtautobahn ein neues Flussbett gegraben, dabei fielen große Mengen Sand an. Nur das geplante Gewerbegebiet kam nicht zustande.
Ein Einzelfall sei die Fehlkonstruktion bestimmt nicht, sagt ein anderer Fahrradfahrer. Seit 30 Jahren lebt er im Stadtteil St. Arnual, die "So-da- Brücke" immer vor Augen. "Wenn ich da so rumschaue in Deutschland, ich komme viel rum, da kann man nur mit dem Kopf schütteln über viele Sachen", sagt er. "Es ist kein Sonderfall. Ja, jetzt ist die Brücke da, abreißen kostet wahrscheinlich auch wieder Geld, ist auch Quatsch. Punkt!"
Warum in der Planungsphase zu Beginn der 1970er-Jahre der erste Schritt vor dem zweiten erfolgte, erst eine Brücke errichtet wurde, bevor das dazugehörige Industriegebiet in trockenen Tüchern war, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen.
"Da war man einmal ein bisschen schneller und da war es auch wieder nicht recht. Aber so läuft es halt", meint ein Fahrradfahrer.

Die Natur hat sich den Ort erobert

Es sei eben lange her, heißt es seitens der Stadt. Heute verbindet die völlig überdimensionierte Brücke den Leinpfad, einen beliebten Spazier- und Fahrradweg entlang der Saar, mit den St. Arnualer Wiesen. Die Natur hat sich die Wiesen in den letzten fast 50 Jahren zurückerobert, völlig ungeplant auf natürliche Art und Weise.
So mancher fragt sich, warum die Brücke hier steht. Ein Spaziergänger mutmaßt: "Da hinten ist ja die Brebacher Hütte oder so, das wäre meine Vermutung. Die kommt meiner Meinung nach aus dem Zweiten Weltkrieg und wurde für Panzer gebaut. Ich bin davon ausgegangen, dass es eigentlich als Autobahnbrücke geplant war, stimmt das? Das habe ich mir nur so erschlossen."
Nur ein Auto ist noch nie darüber gerollt, und zaghafte Versuche, das Naturschutzgebiet doch industriell zu nutzen, wurden schnell wieder verworfen. Das sei gut so, da sind sich Jogger, Fahrradfahrer, Spaziergänger, Schiffchengucker und Angler einig.
"Für mich ist es keine Fehlinvestition, zum Drüberjoggen ist sie sehr gut, die Brücke. Es ist schön, dass es nicht so gekommen ist, denn das Naturschutzgebiet ist ein Traum, ich fahre jetzt gerade aus der Stadt zum Freibad und ansonsten gehe ich hier immer laufen. Es ist ein schöner Ort entstanden hier, man kann abends hier hingehen, den Sonnenuntergang genießen, wir sind jeden Tag mit dem Hund da und regelmäßig trinken wir ein Bier hier, man setzt sich abends hier hin, ist auf jeden Fall was Besonderes."
Die Saarbrücker "So-da-Brücke" hat ihre Bestimmung gefunden.
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