Rust als fleischgewordener Durchschnitt

Von Ulrich Fischer · 21.10.2010
Das Comedy-Trio "Studio Braun" führt Regie in Hamburg. Bei all dem Nervig-naiven geht es in "Rust - ein deutscher Messias" um fehlende Kräfte. Der Mangel ist schmerzlich. Aber, einmal erkannt, könnte er vielleicht überwunden werden.
"Fliegen!" ist die zentrale Metapher von "Rust – ein deutscher Messias". "Studio Braun", drei mehr oder minder anspruchsvolle Volkstheaterleute aus Hamburg, nennen ihr Stück über den Kreml-Flieger "Eine moderne Fantasie".

Ihre bewusst naiv gehaltene Szenenfolge erzählt vor allem die Geschichte Rusts. Als kleiner Junge wurde er von den Größeren bedroht und dreist bestohlen. Damals entwickelte er seinen Wunsch, es ihnen heimzuzahlen und seine Überlegenheit zu beweisen. Mathias' familiäre Verhältnisse sind bedrückend eng, er möchte die Fesseln sprengen, nimmt Flugunterricht.

Das zentrale Bild zeigt den jungen Piloten in seiner Cessna, ein Moped der Lüfte, das an drei Drahtseilen im Schnürboden hängt, mit einem Propeller, der sich langsam, langsam dreht – auf dem Weg nach Moskau. Helden der Luftfahrt treten auf, Richthofen, Zeppelin, und Mathias fühlt sich als einer von ihnen!

Die Russen glauben ihm nicht, dass sein Flug ein Flug für den Frieden sein sollte, er landet im Knast. Als er endlich heimkehrt, ist die öffentliche Aufmerksamkeit nur ein Strohfeuer, das rasch erlischt. Der junge Mann, schwer enttäuscht, gerät auf die schiefe Bahn und gründet schließlich eine Sekte. Der Bilderbogen endet, als die Sektenmitglieder in eine Rakete steigen und gen Himmel starten, in eine bessere Welt.

Regie führt das Trio von Studio Braun: Die Szenen wirken meist hölzern, das Tempo zäh, es soll alles Volks-Laientheater sein. Bloß nichts Professionelles! Aber es gibt auch triftige Bilder, zum Beispiel das "gemütliche" Wohnzimmer von Mathias' Eltern und eben der Flug in der kleinen Maschine.

Fabian Hinrichs hat die Titelrolle übernommen, ein erfahrener Schauspieler, aber er agiert, als wäre er ein Laie. Komisch wird so der Anspruch Rusts, er sei etwas ganz Besonderes, Überragendes, denn Hinrichs spielt Rust als durch und durch medioker, der fleischgewordene Durchschnitt. Wenn er seinen pädagogisch erigierten Zeigefinger hebt und dem Publikum eine seiner vielen Lehre erteilt, ist Rust nur das lächerliche Zerrbild einer Autorität.

Juliane Koren spielt Rusts Mutter als hilflos possessiv. Sie hat ihren Jungen recht lieb und will, dass er was ganz besonders wird, groß rauskommt. Das übrige Ensemble spielt mehrere Rollen, alles zweidimensional, flach, holzschnittartig, wie im Volkstheater üblich. Es wurden viele Witze gerissen, auch Zoten: Das Publikum hatte viel zu lachen. Vor mir saß eine junge Dame, die sich ausschüttete vor Lachen, zwei Sitze neben ihr ein älterer Herr, der immer wieder seine Nachbarin befremdet anschaute. Studio Brauns Humor ist alles, nur nicht subtil.

So schien es zumindest. Aber das Schlussbild gibt zu denken. Als Sektenchef trägt Mathias einen weißen Anzug und Fittiche. Rust wird zum IKARUST. Aber die Federn der Flügel sehen aus wie in der Mauser, sie könnten keine Fledermaus tragen. So kann kein Aufschwung gelingen.

Das ist die Quintessenz des "deutschen Messias": einer möchte was Gutes tun, aber es fehlen die Kräfte.

Das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg bemüht sich um modernes Volkstheater – und das ist "Rust" gewiss. Bei all dem Nervig-naiven geht es um fehlende Kräfte. Der Mangel ist schmerzlich. Aber, einmal erkannt, könnte er vielleicht – in the long run – überwunden werden. Der Humor von Studio Braun macht Mut. Man darf sich nicht einschüchtern lassen.

Nur wer wagt, gewinnt!

Zum Thema:
Homepage des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg